Elektro-Dancefloor von Mount Kimbie: Lieben, was übrig bleibt

Abschied vom Post-Dubstep: Das englische Duo Mount Kimbie wagt auf seinem Album „Love What Survives“ einen Neuanfang.

Die beiden Musiker von Mount Kimbie

Angefangen bei Musik, die aus Computern kommt, hin zur Live-Band: eine rasante Entwicklung Foto: Frank Leblon

Treibende Schlagzeugschläge balancieren selbstsicher auf warmen, ausgreifenden Synthesizerspuren, geraten ins Wanken mit den zunehmenden Verzerrungen der Klänge. Das Stück „Four Years In One Day“ von Mount Kimbies neuem Album „Love What Survives“ schlingert, angeschlagen vom Leben, aber mit Zuversicht in den Nebel zwischen gestern und morgen.

Ihr Sound wirkt durch die starke Präsenz analoger Instrumente wie Synthesizer, Drumcomputer, Bass, Gitarre und Schlagzeug unmittelbarer als in den Anfängen. Hatte das Elek­tronikduo das melancholische Rauschen des Vergangenen auf seinen beiden bisherigen Alben noch im Computer erzeugt, so lässt es der brüchigen Patina der Erinnerung heute in den Zwischenräumen der Tasten und Saiten Platz. Diese Entwicklung weg von Computermusik forcierten Dominic Maker und Kai Campos schon, direkt nachdem sie zur Personifikation eines Genres namens „Post-Dub­step“ gemacht wurden.

Ihr Debütalbum, „Crooks & Lovers“ von 2010, wurde als Generalüberholung dieses Stils gefeiert. Ihre melodischen, an Songs orientierten und von Subbässen und schleppenden Beats angeschobenen Tracks sah man als abschließenden Gegenentwurf zur vermeintlich düsteren Krisenmusik. Dabei war und ist Dubstep genauso wenig einheitlich greifbar wie sein ausgerufener Nachkomme.

„ ‚Post-Dubstep‘ ist ein nutzloser Begriff geworden, weil sich schon verändert hatte, was Dubstep bedeutete“, rekapituliert Maker. „Ende der nuller Jahre, als wir im Umfeld dieser Szene waren, konnte man auf einer Party fünf Dubstep-DJs hören, die höchst unterschiedliche Musik gespielt haben. Das war es, was uns daran so angezogen hat. Es war sehr abwechslungsreich und spannend. Dieses Verständnis von Dubstep als klangliche Vielfalt ist aber verschwunden.“

Die Geburt einer Band

Nach dreijähriger Pause verabschiedeten sich Mount Kimbie mit dem zweiten Album, „Cold Spring Fault Less Youth“, von sämtlichen Vereinnahmungen durch Genre-Purist*innen. Mit verspielten, schrägen und rauen Popsounds, Klangelementen von Electronica über House bis zu Ambient, verschoben die Musiker, die sich beim Studium in London kennengelernt hatten, ihren Sound in Richtung Liveband. Sie bewegten sich auf Songstrukturen zu, sangen zum ersten Mal selbst und arbeiteten mit Archy Marshall alias King Krule zusammen. Mount Kimbie öffneten anschließend die Türen ihrer Schlafzimmer, in denen die Musik an Computern entstanden war.

Maker und Campos sind nicht allein. Auch auf ihrem aktuellen Album „Love What Survives“ haben sie Unterstützung. Mit Andrea Balency am Keyboard und Marc Pell an den Drums wuchsen sie im Studio zu einer Band an und treten bei Konzerten zu viert auf die Bühne. Über Pell, der auch bei Micachu & The Shapes am Schlagzeug sitzt, stieß auch Mica Levi alias Micachu zu der Band und wirkte auf der Single „Marilyn“ bei Mount Kimbie mit.

„Wir versuchen weder künstlerisch noch persönlich, uns an die Vergangenheit zu klammern“

Zu schillernden Samples, Synthesizersequenzen, swingendem Schlagzeug und simplen Bassmelodien, die immer wieder durch die Songs von Mount Kimbie ziehen, intoniert Levi verhuschte Zeilen, die im Gedächtnis bleiben: „I’m looking up at you, yeah/Are you looking up at me, yeah?“ Auf „Blue Train Lines“ schwankt der Gesang von King Krule zwischen lyrischer Abgeklärtheit und dem Verlust der Contenance. Seine Stimme kippt ins Unbeherrschte, begleitet von stur voranpreschenden und scheppernden Drums.

Nun dringen auch Einflüsse von Punk bei Mount Kimbie durch, was der Song „You Look Certain (I’m Not So Sure)“ mit Gesang von Balency und schrabbelnden Gitarrenriffs unterstreicht.

Suicide und Timmy Thomas als Vorbilder

Als Inspiration nennt Maker, der vor anderthalb Jahren nach Los Angeles gezogen ist, unter anderem das New Yorker Noise-Duo Suicide, das in den 1970er Jahren mit seiner düsteren ­Musik aus elektronisch produzierten Instrumentals und gemurmeltem Gesang den abgefuckten Alltag in seiner Heimatstadt zu großen Songs verarbeitet hat.

Aber auch der US-Soulsänger Timmy Thomas inspiriert das britische Duo nun, dessen Stück „Why Can’t We Live Together“ vor zwei Jahren prominent von Drake in seinem Hit „Hotline Bling“ gesampelt wurde. Dass Mount Kimbie nun kopfüber in die Popgeschichte eingetaucht sind und sich das auch in den aktuellen Stücken des Duos niederschlägt, führt aber keineswegs dazu, dass die beiden Musiker in einer Retroschleife gefangen sind.

Dafür bringen Mount Kimbie ihren zeitgenössischen Kolleg*innen viel zu große Wertschätzung entgegen. In ihre Radiosendung, die Maker in Los Angeles und Campos in London für das Internetradio NTS aufgenommen hat, luden sie Gäste wie den Londoner Produzenten Actress, die Elektronikvirtuosinnen Julia Holter und Kaitlyn ­Aurelia Smith und die Wassou­lou-Musikerin Oumou Sangaré ein. Dass sie mehr Frauen als Männer zu Besuch hatten, war nicht geplant, sagt Maker.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Eine Seltenheit, leider auch im Jahr 2017. Mount Kimbie sind sich der männlichen Dominanz bewusst. „Wir leben immer noch in einer sexistischen Welt und bewegen uns in der sexistischen Musikindustrie“, erklärt Maker.

Reflektierter Umgang mit Intimität

War die Instrumentalmusik von Maker und Campos, heute 30 und 31 Jahre alt, in ihrer ­digitalen Machart Ausdruck ab­strak­ter Emotionalität, offenbart sich auf „Love What Survives“ gerade durch die Kollaboration mit anderen Künstlern ein reflektierter Umgang mit Intimität.

Es ist zwar nur eine vage Botschaft, die in ihrer Musik und den Texten liegt, aber sie bleibt offen für Interpretationen und eigene Zugänge. „Auch wenn in dem Album eine gewisse emo­tionale Schwere liegt, hat es letztendlich eine positive Aussage“, meint Campos.

„Wir versuchen weder künstlerisch noch persönlich, uns an die Vergangenheit zu klammern. Darin liegen viele Verluste, weil Veränderung bedeutet, etwas zu verlieren. Wir wollen die Krise aber als Chance sehen, das wertzuschätzen, was man hat, was um uns herum ist. Wir schauen nach vorne.“

Mount Kimbie: „Love What Survives“ (Warp/Rough Trade)

Lieben, was übrig bleibt. Mount Kimbie bestreiten nicht, dass in der Losung des Albumtitels auch Schmerz liegt. Dabei bleibt es aber nicht. Verändern heißt verlieren. Aber eben auch gewinnen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.