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Grünenpolitiker über Berateraffäre„Ich erwarte mehr Selbstkritik“

Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen muss im Untersuchungsausschuss aussagen. Der Grüne Tobias Lindner nimmt sie in die Pflicht.

Gut beraten? Von der Leyen im Jahr 2017 auf Truppenbesuch in Hammelburg Foto: Christian Thiel
Tobias Schulze
Interview von Tobias Schulze

taz: Herr Lindner, am Donnerstag tritt Ursula von der Leyen im Bundestag auf – wahrscheinlich als letzte Zeugin im Untersuchungsausschuss, der genau ein Jahr lang getagt hat. Wie viele Stunden haben Sie in den zwölf Monaten mit der Berateraffäre verbracht?

Tobias Lindner: Auf jeden Fall mehr als hundert. Der Ausschuss hat immer donnerstags getagt und im Schnitt waren es zehn Stunden pro Sitzung. Hinzu kommt die Vorbereitung, wir hatten ja mehr als 4.000 Aktenordner Beweismaterial. Es war also ein ziemlich anstrengendes Jahr.

Sie haben in diesem Jahr wahrscheinlich viel Haribo gegessen? Im Sitzungsaal waren jede Woche große Kübel mit Gummibären zu sehen.

Richtig, beim Ausschuss-Sekretariat gab es immer eine Notversorgung für uns: Haribo und Gemüse-Sticks. Man gewöhnt sich auch gewisse Tricks an. Ich trinke Abends zum Beispiel keinen Kaffee mehr, sondern schlage mich mit Club Mate durch. Wenn man sich den ganzen Tag lang nur von Kaffee ernährt, wird man irgendwann hibbelig. So ein Ausschuss ist aber manchmal ein Kampf ums beste Sitzfleisch: Spannende Zeugenaussagen ergeben sich oft erst, wenn die Sitzung ein paar Stunden alt ist.

Weil bei den Zeug*innen die Konzentration nachlässt?

Damit hat es sicherlich auch zu tun. Vor allem aber entwickelt sich so eine Sitzung. Bis Sie zu einer Frage kommen, bei der ein Zeuge nervös wird und bei der Sie weiterbohren können, braucht es eine gewisse Zeit.

Haben Sie ein konkretes Beispiel im Kopf?

Gegen Ende hin bei Frau Suder …

Katrin Suder, ehemalige McKinsey-Managerin und unter Ursula von der Leyen Staatssekretärin im Verteidigungsministerium.

Sie hat in ihrer Befragung vor zwei Wochen auf viele Fragen geantwortet, dass sie sich nicht erinnern kann. Ich weiß nicht, ob das reell so ist oder nur eine Schutzbehauptung. Aber ich kann objektiv feststellen, dass andere Zeugen eine bessere Erinnerung hatten. Was ich auch enttäuschend fand: Von ihr war kein My der Selbstkritik zu hören. Zu keinem Zeitpunkt hat sie gesagt, dass Fehler gemacht wurden und sie einen Anteil daran haben könnte. Zum Ende hin wurden ihre Antworten aber doch einen Tick ergiebiger. Man merkte: Die Zeugin hat sich auf die Vernehmung vorbereitet, versucht sich extrem gut zu kontrollieren, kann das am Ende aber nicht komplett durchhalten.

Verschwiegen: Ex-Staatssekretärin Katrin Suder Anfang 2020 als Zeugin im U-Ausschuss Foto: Kay Nietfeld/dpa

Die hohen Erwartungen an die Vernehmung wurden trotzdem nicht erfüllt. Suder gilt in der Affäre als entscheidende Figur. Seit über einem Jahr stand der Verdacht im Raum, dass Unternehmensberater Aufträge in der Bundeswehr bekommen haben, weil sie Suder und andere im Ministerium gut kannten. Konkrete Beweise dafür haben Sie jetzt aber noch immer nicht.

Es hat niemand zu uns gesagt: Sie haben recht, da hat jemand einen Auftrag bekommen, weil er ein guter Freund von mir ist. Die Hinweise darauf sind in dem einen Jahr aber nicht weniger geworden. Wir wissen heute, dass es ein dichtes Netzwerk zwischen den beiden Seiten gab. Nehmen Sie nur mal als Beispiel, wer alles auf der legendären Taufe war …

Die Berateraffäre

Der Anfang

Aus Berichten des Rechnungshofs ging 2018 hervor, dass das Verteidigungsministerium in den letzten Jahren zig Millionen Euro für die Dienste von Unternehmensberatungen aus­gegeben hat, dass viele der Aufträge unnötig waren und Beamte systematisch gegen Ausschreibungsrichtlinien verstoßen haben.

Der Ausschuss

Seit einem Jahr versucht ein U-Ausschuss im Bundestag, die Hintergründe aufzuklären. Über 40 Zeug*innen mussten bisher aussagen – zuletzt die Ex-Staatssekretärin Katrin Suder.

Die Folgen

In den nächsten Wochen wird der Ausschuss seinen Abschlussbericht schreiben. Die Fraktionen können darin politische Konsequenzen fordern. Über strafrechtliche Schritte muss die Staatsanwaltschaft entscheiden. (taz)

Sie spielen auf den Unternehmensberater Timo Noetzel an. Die Bundeswehr war unter von der Leyen guter Kunde bei ihm. Taufpate seines Kindes war ein Abteilungsleiter des Ministeriums, Katrin Suder war ebenfalls zur Feier eingeladen. Dass Noetzel deswegen Aufträge bekommen hat, ist aber noch immer nicht bewiesen.

Ein Untersuchungsausschuss ist kein Gericht. Wir werden am Ende niemanden verurteilen oder freisprechen. Wir können aber Personen oder Strukturen benennen, die politisch verantwortlich sind. Ich glaube, man kann schon jetzt festhalten: Ursula von der Leyen und Katrin Suder wollten schnell Veränderungen herbeischaffen und haben deswegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermutigt, externe Unterstützung einzubinden. Für diese Einbindung setzten sie aber überhaupt keine Leitplanken.

Wie meinen Sie das?

Eine Woche vor Suder hatten wir die Zeugin Petrick da, eine ehemalige Mitarbeiterin des Ministeriums. Sie hat sich massiv daran gestört, wie viel Einfluss die Firma Accenture bei einem bestimmten Projekt hatte. Sie hatte den Eindruck, dass im Ministerium kaum jemand versteht, worum es bei dem Projekt geht. Die Rolle von Accenture wurde dadurch so stark, dass die sich selbst einen Folgeantrag nach dem anderen generieren könnten. Auch das meine ich mit Leitplanken: Wenn man schon sagt, wir brauchen mehr Externe, dann muss man wenigstens für vernünftige Regeln sorgen.

Stella von Saldern
Im Interview: Tobias Lindner

38, ist Bundestagsabgeordneter, Obmann der Grünen im Verteidigungsausschuss und Mitglied im Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre.

Wie müssten solche Regeln aussehen?

Erstens geht es um den Umfang von Beratungen. Wir reden über hoheitliche Aufgaben und dabei darf Beratung nur ein Ausnahmefall sein. Unter von der Leyen wurden Beratungsunternehmen wie Zeitarbeitsfirmen reingeholt, um Personallücken zu schließen. Das ist nicht nur rechtlich bedenklich, sondern auch schweineteuer. Da sind Berater auf Dienstposten A 12 unterwegs gewesen, die aber ein Jahresgehalt kassiert haben, das höher ist als das der Ministerin.

Mehr als 180.000 Euro also. Und was wäre die zweite Regel?

Wenn man schon auf Beratung zurückgreift, muss man immer die Frage stellen: Wie bauen wir eigene Kompetenzen auf, wie kriegen wir das Wissen ins Haus rein? Wenn man das nicht macht, können sich die Berater sofort Folgeaufträge generieren. Drittens: Es muss vor Beginn der Beratung klar sein, was man eigentlich von denen will. Mir haben Beratungsunternehmen erzählt, dass sie ins Beschaffungsamt der Bundeswehr geholt wurden, aber gar nicht so richtig wussten, was sie dort tun sollen. Dann haben sie gearbeitet und Stunden aufgeschrieben und als sie ihre Zwischenergebnisse präsentierten, hieß es: Macht es doch lieber andersherum. Und Viertens: Wir brauchen ein ganz anderes Compliance-System. In einem Privatunternehmen wäre er selbstverständlich gewesen, dass Suder ihr Freundschaftsverhältnis zu Noetzel zu den Akten bringt. Da hinkt der Staat meilenweit hinterher.

War für diese Erkenntnisse tatsächlich der Untersuchungsausschuss nötig? Den Anstoß für die Affäre lieferten 2018 Berichte des Rechnungshofs. Schon darin deuteten sich die Missstände zumindest an.

Die Frage stellt man sich natürlich vor dem Hintergrund von hundert Stunden Sitzungszeit. Aber diese Rechnungshofberichte beleuchteten im Wesentlichen nur zwei Projekte des Ministeriums. Im Untersuchungsausschuss konnten wir herausfinden, dass das Problem genereller ist. Auch in anderen Projekten gab es einen massiven Kontrollverlust, was wiederum zu Geldverschwendung und Rechtsverstößen geführt hat. Es laufen jetzt auch Disziplinarermittlungen gegen mehrere Mitarbeiter des Ministeriums. Der Ausschuss hat da einiges ans Tageslicht gefördert.

Die Disziplinarverfahren laufen gegen kleine Beamte. Müsste es weiter oben nicht auch jemanden treffen?

Eine bestimmte Strategie war im Ausschuss tatsächlich zu bemerken: Je weiter oben in der Hierarchie eine Zeugin oder ein Zeuge sitzt, desto stärker ist der Drang, die Verantwortung unten abzuladen. Von daher ist die Frage berechtigt. Aber von der Leyen, Suder und viele andere aus der Führung sind ohnehin schon weg. Da wird es schwierig, Konsequenzen zu fordern, wenn die eigentlich schon eingetreten sind – wenn auch aus anderen Gründen.

Erwarten Sie auch strafrechtliche Folgen? Dem Staat sind immerhin finanzielle Schäden in Millionenhöhe entstanden.

Es war mehrfach Thema in internen Sitzungen, ob wir Akten an die Staatsanwaltschaft abgeben. Wir widmen uns der Frage noch mal, wenn der Ausschuss seine Arbeit abgeschlossen hat. Aber wenn ich jetzt ins Detail gehe, könnten sich die entsprechenden Leute vorbereiten.

Welche Erkenntnisse kommen am Donnerstag hinzu, wenn Ursula von der Leyen aussagt?

Ich erwarte mir von Frau von der Leyen mehr Selbstkritik als von Katrin Suder. Ich wäre nicht überrascht, wenn sie wie in der Vergangenheit sagt, dass sie die politische Gesamtverantwortung trägt. Es darf aber nicht sein, dass sie unter diesem Deckmantel die Fragen nach der konkreten Verantwortung für konkrete Probleme verwischt.

Erwarten Sie, dass sie selbst konkrete Verantwortung übernimmt?

Sie wird an vielen Stellen sagen: Das habe ich meinen Staatssekretären überlassen, davon wusste ich nicht. Das wird sie aber natürlich nicht von der Frage entbinden, wie viel Beinfreiheit sie denen ließ.

Unterm Strich: Ein unangenehmer Termin für von der Leyen – großer politischer Schaden wird aber nicht an ihr hängenbleiben.

Sie ist uns zwar mittlerweile nach Brüssel abhandengekommen, aber uns als Fraktion geht es auch um die Frage, wie man auf ihre Ära als Verteidigungsministerin zurückblickt. Sie ist angetreten als die große Reformerin, die im Verteidigungsbereich aufräumt. Sie wollte bei der Beschaffung alles anders machen, sie wollte Transparenz, Compliance und eine neue Fehlerkultur. All das ist im Verlauf des Untersuchungsausschusses zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Von den selbstgesteckten Ansprüchen bleibt nicht viel übrig.

In Brüssel wird das von der Leyen aber kaum schaden. Höchstens steht im Wikipedia-Eintrag der EU-Kommissionspräsidentin künftig ein Unterkapitel zu ihrer Berateraffäre in Berlin.

Ganz ehrlich: Nicht nur da. Eine konkrete Auswirkung unserer Arbeit habe ich letzten Montag bei der Bundeswehrtagung in Berlin gesehen, wo Annegret Kramp-Karrenbauer schonungslos gesagt hat: Leute, wir haben über Jahre hinweg über Trendwenden gesprochen, mehr Geld ausgegeben, massiv auf Externe gesetzt, aber das hat nichts gebracht. Sie will jetzt wieder mehr Verantwortung in die Truppe selbst verlagern. Das ist erst mal nur eine Ankündigung, aber die geht in die richtige Richtung.

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1 Kommentar

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  • 100 Stunden in 12 Monaten? Kann mans dann nicht gleich sein lassen?