Prekäre Ausbildungen: Arme Erzieher*innen

Erzieher*innen werden dringend gesucht, doch viele Auszubildende leben am Rande des Existenzminimums. Die GroKo berät eine Gesetzesreform.

Viele Laufräder im Hof eines Kindergartens.

Viel Bedarf für Erzieher*innen, aber die Ausbildungsverhältnisse sind weiter prekär Foto: Christian Ditsch/imago

BERLIN taz | Erzieherin wollte ich eigentlich schon immer werden“, erzählt Nadine Sturm. „Es ist einfach toll, junge Menschen zu begleiten – da kann ich etwas bewegen.“ Doch die 41-jährige Magdeburgerin ging zunächst einen anderen Weg. Die vierfache Mutter lernte Friseurin, konnte aber aufgrund einer Hautkrankheit nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten. Als ihre älteste Tochter im Kindergarten ausgegrenzt wurde, zog sie erstmals ernsthaft in Erwägung, tatsächlich eine Ausbildung zur Erzieherin zu beginnen. Schließlich entschied sie sich dazu. „Das muss doch auch anders gehen!“

Nadine Sturm machte sich damit auf den Weg zu einem Berufsfeld, das derzeit dringend Fachkräfte braucht. Schon jetzt fehlen bundesweit Erzieher*innen in Kitas und Schulen. Ab dem Jahr 2025 tritt dazu der gesetzliche Anspruch auf Ganztagesbetreuung für Grundschulkinder in Kraft. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft geht davon aus, dass für die Umsetzung bis 2030 mehr als 300.000 Erzieher*innen fehlen.

Aber: Die Ausbildungsbedingungen für Erzieher*innen sind weiter prekär. Die Ausbildung bedeutet, drei Jahre lang die ganze Woche in einer Fachschule oder Ausbildungseinrichtung zu verbringen – und zwar in den meisten Fällen ohne Einkommen. Die Bundesregierung ersann deshalb das sogenannte Aufstiegs-Bafög. Es soll Menschen unterstützen, die sich nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung weiterbilden möchten. Aber auch das erreicht viele Betroffene nicht. Das könnte sich jetzt ändern. Denn die Große Koalition berät dieser Tage eine Novellierung des zuständigen Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes.

Kein Geld fürs Busticket

Nadine Sturm hofft auf eine Verbesserung des Status quo: Denn sie gehört zu denjenigen, die bisher nicht vom Aufstiegs-Bafög profitieren – obwohl die Förderhilfe eigentlich für Menschen wie sie angelegt ist. Auch die 41-Jährige suchte nach Beginn ihrer Erzieherinausbildung finanzielle Hilfe, wurde vom Wohngeldamt über das Bafög-Amt zum Jobcenter und wieder zurück geschickt. Dann beantragte sie das Aufstiegs-Bafög.

Aber das Bafög-Amt macht Sturm keine großen Hoffnungen: Der Praxisanteil ihrer Ausbildung sei zu hoch, als dass sie gefördert werden könne. Zurzeit erhält Sturm weder Vergütung noch Unterstützungsleistungen. „Ich fühle mich ziemlich alleingelassen“, klagt sie.

Auch Jeannette Quaas kennt das Problem. Viele Auszubildende seien knapp bei Kasse, sagt die Koordinatorin von Sturms Berufsschule in Aschersleben. „Es ist schon hart, wenn ich wieder mal einen Schüler vor mir sitzen habe, der mich fragt, wie er sein Busticket bezahlen soll.“ Quaas sieht das Problem im Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz begründet. Es schreibt vor, dass die sogenannte „Fortbildungsdichte“ einer Ausbildung bei mindestens 70 Prozent liegen muss, damit eine Förderfähigkeit durch das Aufstiegs-Bafög besteht. Heißt konkret: Mindestens 70 Prozent der Ausbildungszeit muss in der Fachschule stattfinden.

Besteht die Ausbildung aber aus zwei Jahren Schule und einem praktischen Anerkennungsjahr, sind die Auszubildenden im 3. Ausbildungsjahr nicht mehr Bafög-berechtigt. Ein ganzes Jahr stehen sie dann ohne Einkommen da.

Knapp unter der vorgeschriebenen „Fortbildungsdichte“

Noch gravierender ist die Situation für Auszubildende in der „praxisintegrierten Ausbildung“. Bei dieser Ausbildungsform wechseln sich Theorie- und Praxisphasen ab. Zusammengerechnet verbringen die Auszubildenden zwei Drittel ihrer Zeit in der Schule, ein Drittel in der Einrichtung und bleiben somit knapp unter den gesetzlich vorgeschriebenen 70 Prozent „Fortbildungsdichte“. Für sie besteht deshalb über die gesamten drei Ausbildungsjahre kein Anspruch aufs Aufstiegs-Bafög.

Von der Regelung sind neben Erzieher*innen auch Auszubildende anderer fach­schulischer Ausbildungs­berufe in Vollzeitform betroffen. Dazu gehören angehende Heil­erziehungs­pfle­ge­r*in­nen und Heil­päda­go­g*in­nen.

Wird der bisher geplante Gesetzentwurf verabschiedet, gehen die betroffenen Auszubildenden jedoch weiterhin leer aus. Die Reduzierung der „Fortbildungsdichte“ – und damit die Möglichkeit, praxisintegrierten Ausbildungen zur Förderfähigkeit zu verhelfen – ist in der Novellierung nicht vorgesehen. Und das, obwohl der bundesweite Trend klar zu diesem Ausbildungsmodell geht.

Aus guten Gründen, wie Silke Mertens, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Sachsen-Anhalt, sagt. „Wenn sich Theorie- und Praxisphasen abwechseln, kann in der Schule Erlerntes unmittelbar angewendet werden.“ Würden die Auszubildenden hingegen nach zwei Jahren Fachschule zum ersten Mal in die Kita geschickt, sei die Überforderung programmiert. Praktische Phasen zugunsten von mehr Theorie zu ersetzen, sei keine erstrebenswerte Lösung, so Mertens. Das führe zu einem Qualitätsverlust in der Ausbildung, der nicht hinzunehmen sei. „Es geht hier um das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen!“

Doppelschichten bis zur Gesetzesänderung

Nadine Sturm bleibt, bis sich die Gesetzeslage ändert, nichts anderes übrig, als neben der Ausbildung selbst für den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sorgen. Von 8 bis 15 Uhr besucht sie derzeit die Er­zie­her*innenfachschule in Aschersleben, von 16.30 Uhr bis 21 Uhr arbeitet sie in einer Mutter-Kind-Einrichtung in Magdeburg. Dazwischen liegen ­­45 ­Minuten Fahrzeit. Um ihre Kinder kümmert sich Sturm, bevor sie aus dem Haus geht. Danach ist ihr Partner zuständig, der gerade nicht berufstätig ist.

„Wenn meine fünfjährige Tochter mich um sieben Uhr früh mit ‚Tschüss, bis morgen‘ verabschiedet, macht mich das schon nachdenklich“, erklärt Sturm. Und: „Ohne meinen Mann könnte ich das niemals schaffen. Der schmeißt gerade den kompletten Haushalt.“

Sturm hofft deshalb, dass sich die Bundesregierung doch noch auf eine Geset­zesreform einigt, die auch in Fällen wie ihrem helfen würde. „Es wäre schon traumhaft, wenn wir Quer­ein­steiger*innen ­endlich besser unterstützt werden.“ Aber: „Aufgeben ist keine ­Option!“

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