Radunfall in Berlin: Tot trotz Abbiege-Assistent
Der BVG-Bus, unter dem am Sonntag eine Radfahrerin starb, hatte einen Abbiegeassistenten. Der ADFC fordert Systeme, die einen Nothalt herbeiführen.
Die Polizei will sich vor Abschluss der Ermittlungen nicht über Details des Unfallhergangs äußern. In einer dürren Pressemitteilung hatte sie am Sonntag festgehalten, der Fahrer eines BVG-Busses der Linie 265 habe die Radfahrerin beim Rechtsabbiegen in die Pilotenstraße „offenbar übersehen“. Die 35-Jährige Rennradfahrerin fuhr auf dem Radweg des Groß-Berliner Damms geradeaus in Richtung Segelfliegerdamm, eine Ampel gibt es an der Straßenkreuzung nicht. „Die Frau geriet mit ihrem Fahrrad unter das Fahrzeug und wurde überrollt“, heißt es seitens der Polizei, „sie starb noch an der Unfallstelle.“ Der Busfahrer sei mit einem Schock ins Krankenhaus gebracht worden.
Tatsache ist: Der moderne Citaro-Bus der BVG, mit 12 Metern Länge eines der kürzeren Modelle, ist ab Werk mit dem Abbiegeassistenz-System „Sideguard Assist“ ausgestattet, das laut Hersteller Mercedes „den Fahrer dabei unterstützt, kritische Situationen beim Abbiegen rechtzeitig zu erkennen“, und so „die Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer gerade in Städten erheblich erhöht“. Beim Modell eCitaro werden laut Beschreibung FahrerInnen zuerst mit einer gelben LED über bewegliche Objekte in der seitlichen Überwachungszone „informiert“. Sollte sich der Bus auf Kollisionskurs befinden, blinke eine rote LED-Leuchte „mit hoher Leuchtkraft und danach permanent“. Hinzu komme eine „Vibrationswarnung am Fahrersitz“. Beim diesel betriebenen Citaro schaltet sich zumindest eine Kamera ein.
Ob der Fahrer den Abbiege-Assistenten ignoriert hat, das System möglicherweise nicht funktionierte oder andere Gründe für die fatale Fehlentscheidung verantwortlich waren, wird so schnell nicht feststehen. Einige der Diskutierenden auf Twitter und Facebook äußern allerdings jetzt schon scharfe Kritik an Busfahrenden – die nähmen wenig Rücksicht, würden gegenüber Menschen auf dem Rad unverschämt, telefonierten gar beim Fahren. „Bei der BVG wundert mich gar nichts mehr“, schreibt ein Diskussionsteilnehmer. Belegt werden diese Vorwürfe nicht.
Wenige Unfälle mit ÖPNV-Bussen
Nikolas Linck, Sprecher des ADFC-Landesverbands, sagte gegenüber der taz, es gebe gemessen an den zurückgelegten Kilometern und dem Stress der FahrerInnen ausgesprochen wenige Unfälle mit ÖPNV-Bussen. „Dafür gebührt der BVG grundsätzlich großes Lob.“ Die Position des Fahrradclubs sei jedoch schon länger, dass Lkws und Busse mit einem Abbiegeassistenten ausgestattet werden müssten, der noch vor einer Kollision – oder schlimmstenfalls direkt danach – einen Nothalt einleitet.
Darüber hinaus gebe es auch an der Unfallstelle einiges zu verbessern, so Linck: Der Hochbord-Radweg auf dem Groß-Berliner Damm, der schlecht einsehbar hinter Bäumen verlaufe, werde zwar vor der Kreuzung noch an die Straße verschwenkt – dieser Abschnitt sei aber zu kurz, um Radfahrende rechtzeitig ins Sichtfeld Abbiegender zu rücken.
Auch hier äußern viele in den Sozialen Medien ihre Empörung – am Unfallort habe man sich „nie wirklich um eine ausreichende Sicherung des Radverkehrs gekümmert“. Das Mobilitätsgesetz, das Sicherheit im Radverkehr gewährleisten soll, werde „ignoriert“, selbst „dringlichste Umsetzungen“ würden verzögert. „Das konnte sich selbst in den wildesten Träumen niemand ausdenken“, schreibt ein Nutzer.
Sophie Lattke vom Verein Changing Cities sagte, es mache „fassungslos und wütend, was in Berlin geschieht“. Ihre Organisation fordere „Sicherheit auf den Straßen für die 70 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, die nicht mit dem Auto unterwegs sind. Jetzt!“ Und Changing-Cities-Sprecherin Ragnhild Sørensen findet: „Die Untätigkeit der Unfallkommission ist unerträglich.“
Am Montag um 17.30 Uhr wird der ADFC am Unfallort ein weißes „Geisterrad“ zur Mahnung aufstellen. Im Anschluss an die Mahnwache findet eine Fahrraddemo zum Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in der Invalidenstraße statt. Die tote Radfahrerin war neben einem Motorradfahrer, einem Fußgänger und einer anderen Radfahrerin schon die vierte Person, die bei einem Verkehrsunfall seit Jahresbeginn ums Leben gekommen ist.
Update, 21. Januar: Das Sicherheitssystem des dieselbetriebenen Citaro-Busses der BVG beinhaltet nicht, wie zuerst im Text beschrieben, optische Warnhinweise oder einen Vibrationsalarm – diese Features sind nur beim elektrischen eCitaro serienmäßig. Stattdessen wird bei Betätigen des Blinkers durch den Busfahrenden eine Kamera aktiviert, die den Bereich neben dem Fahrzeug filmt.
Laut Sprecherin Petra Nelken schätzt die BVG optische oder akustische Warnsignale als wenig praktikabel ein, weil sie bei Abbiegevorgängen im dichten Berliner Straßenverkehr praktisch ständig anschlagen würden. Ob ein Radfahrer oder eine Fußgängerin sich auf Kollisisionkurs befinde oder lediglich an der Ecke stehe und auf „Grün“ warte, könne ein solcher Abbiegeassistent nicht einschätzen. Gegen die von AKtivistInnen und Verbänden geforderten Nothaltsysteme gibt es noch größere Vorbehalte: Notbremsungen seien für stehende Fahrgäste ein enormes Unfallrisiko, so Nelken.
Der im Netz als „Polizeibeobachter“ auftretende Verkehrsaktivist Andreas Schwiede bemängelt hingegen die Kameralösung als unzureichend: Die Person, die einen Bus steuere, müsse in alle Richtungen schauen und könne nicht ununterbrochen einen Monitor im Blick behalten.
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