Genervt von Plagegeistern: Globale Vampire
Früher galten sie als ausgerottet. Heute breiten sich Bettwanzen immer weiter aus. In Hotels, Pensionen, Berghütten – und anderswo.
Guido Trojan geht schnurstracks durch ins Bad. Dort stellt er seine große Tasche in die Badewanne, holt einen weißen Schutzanzug heraus und streift ihn sich über. Kapuze, Füßlinge, Mundschutz. Er sieht aus wie jemand von der Spurensicherung an einem Tatort.
Gewissermaßen ist es auch ein Tatort, an dem der 43-Jährige nach Spuren sucht. Spuren von Bettwanzen: Nester, die die winzigen blutsaugenden Parasiten an Bettgestellen, Matratzen, an Sofas und an Sesseln bauen, kleine schwarze Kotkrümel, die sie nach jeder „Mahlzeit“ hinterlassen, Reste, wenn sie sich häuten.
Trojan ist ein großer, sportlicher Mann mit kurzen Haaren und ruhiger Stimme. Er ist Kammerjäger in Berlin und ein gefragter Mann. Jeden Tag betritt er vier, fünf Wohnungen, häufig findet er Bettwanzen. „Die Tiere sind wieder da“, sagt der Kammerjäger, der auch Ratten, Mäuse, Flöhe, Läuse, Schaben bekämpft. Bettwanzen galten nach dem Krieg, spätestens seit den 1970er Jahren als mehr oder weniger ausgerottet.
Damals bekämpfte man Bettwanzen wirkungsvoll mit dem mittlerweile weitreichend verbotenen Insektizid DDT. Seit etwa 1990 breiten sich die Tiere rasant und global aus, seit 1995 ist das Bekämpfen von Bettwanzen in Deutschland wieder ein Thema. Berlin ist neben Hamburg „Bettwanzenhauptstadt“.
Hochkonjunktur bei Wanzenjägern
Die Wanzen ernähren sich von Blut und halten sich in der Nähe von Menschen auf, vor allem in Schlafzimmern, Betten, Sofas, Liegelandschaften. Früher berichteten Schädlingsbekämpfer*innen von höchstens zwei Fällen im Jahr, jetzt zählte Mario Heisig, Geschäftsführer der Berliner Firma SchaDe, rund 5.000 Einsätze allein in Berlin im vergangenen Jahr. Trojan hat etwa zweimal in der Woche mit Bettwanzen zu tun.
Weil weltweit immer mehr gereist wird, breiten sich die Blutsauger verstärkt da aus, wo Menschen ständig wechseln, in Hotels, Hostels, Jugendherbergen, Wanderhütten. Ist eine Wanze erst einmal in einem Hotelzimmer in einen Koffer gekrabbelt, kann sie innerhalb weniger Stunden das Land und sogar den Kontinent wechseln und sich im nächsten Hotelzimmer oder Gästehaus ungehindert einnisten und vermehren. Ein einziges Weibchen genügt, um einen Haushalt komplett zu verwanzen, ein weibliches Tier trägt bis zu 300 Eier in sich. Pro Woche legt es laut Umweltbundesamt (UBA) ungefähr zehn Eier ab.
In Großbritannien haben Bettwanzen schon ganze Wohnblöcke unbewohnbar gemacht. Auch in Nordamerika, Australien, Dänemark, Kanada und der Schweiz hat der Befall so stark zugenommen, dass die Tiere dort mittlerweile als Plage gelten. Zum Teil haben sie bereits Resistenzen gegen chemische Bekämpfungsmittel entwickelt.
Nachtaktive Käfer
Der junge Mann, in dessen Badezimmer Kammerjäger Trojan jetzt zum fünften Mal steht, scheint so ein Fall zu sein. Seit gut einem Jahr kämpft er mit den Tieren. Er ist den Tränen nah, als er den Satz sagt. Vier Mal hat Trojan im Schlafzimmer und im Wohnzimmer Insektizide versprüht, vier Mal hatte der Mediendesigner in Berlin gehofft, dass es „jetzt vorbei ist“.
Doch es war nicht vorbei. „Das ist der schlimmste Fall in meiner langjährigen Laufbahn“, sagt Trojan: „So was hatte ich noch nie.“ Und schiebt hinterher: „Auch als Schädlingsbekämpfer lernt man nie aus.“
Bettwanzen sind als erwachsene Tiere vier bis sechs Millimeter groß, am Anfang sind sie noch recht klein, flach und braun und sehen aus wie unschuldige Käfer. Sie sind nachtaktiv und ernähren sich von Blut. Nachts, wenn der Mensch schläft, lassen sie sich von der Atemluft und der Körperwärme anlocken, krabbeln Bettbeine und -gestelle sowie an auf der Erde baumelnden Laken und Decken hoch und suchen sich eine nackte Körperstelle, häufig Nacken, Brust, Beine, Arme.
Ein Saugakt dauert etwa drei bis zehn Minuten, danach verkriechen sie sich wieder in Bett- und Fußbodenritzen, Scheuerleisten, Steckdosen, überall dort, wo sie mit bloßem Augen nicht zu sehen sind.
Anschwellende Bisse
Sie hinterlassen Bisse, die leicht anschwellen, in der Regel jucken sie so ähnlich wie Mückenstiche. Man kann sie relativ leicht von Mückenstichen unterscheiden, weil sie häufig hintereinander liegen, in einer Art Straße. Es dauert meist länger, bis sie abklingen, aber sie sind – und das ist das einzig Gute – nicht gesundheitsgefährdend.
Der junge Mann, den diese Tiere seit einem Jahr plagen, will unerkannt bleiben. Er möchte nicht, dass Freunde und Familie erfahren, womit er sich gerade herumschlägt. Seit Monaten hat der Single niemanden in seine Wohnung gelassen. Er schämt sich – so wie die meisten Menschen, die die Wanzen heimsuchen. Obwohl das vollkommen unangebracht ist.
Bettwanzen haben nichts mit Schmutz oder Unreinlichkeit zu tun, sie befallen auch teure Luxushotels und lupenreine Haushalte. Sie machen keinen Unterschied zwischen Arm und Reich, Alt und Jung, Frauen und Männern. Mittlerweile können sie sogar in Flugzeugen und in Polstern von Bussen und Bahnen sitzen.
Resistente Artgenossen
Vor drei Jahren zeigten Experimente am Virginia Polytechnic Institute in Blacksburg, der größten Universität im US-Staat Virginia, dass die in den Städten „domestizierten“ Bettwanzen durch den Einsatz von Bekämpfungsmitteln mittlerweile bis zu 33.000-mal resistenter sind als Artgenossen, die im Labor gezüchtet worden sind und keinerlei Kontakt mit Insektiziden und Pestiziden hatten. Das stellt Kammerjäger wie Trojan vor neue Herausforderungen.
Üblicherweise geht der Schädlingsbekämpfer ein- bis höchstens dreimal in eine befallene Wohnung und sprüht eine Kombination aus einem Langzeit- und einem Kurzzeitgift. Bei dem jungen Mann in Berlin wird er heute ein Gift verwenden, das stärker ist als alle anderen Mittel, mit denen er sonst die Tiere erfolgreich bekämpft. Das Gift steckt in einer Flasche mit einem Totenkopf darauf, ist aber ein zugelassenes Mittel und für den Menschen ohne direkten Kontakt nicht gefährlich.
Das Umweltbundesamt spricht von einer rasanten Ausbreitung, von der unter anderem Berghütten betroffen sind. Dort wechseln die Schlafgäste täglich, die Wanzen verbreiten sich also rasend schnell. Im vergangenen Sommer haben manche Hütten selbst auf das Problem aufmerksam gemacht und Strategien zur Bekämpfung ergriffen.
Es helfe niemandem, die Bettwanzen totzuschweigen, sagt Robert Kolbitsch, beim Deutschen Alpenverein zuständig für Hütten und Wege: „Wir können das Problem nur eindämmen, wenn alle Betroffenen das Thema offen ansprechen und gemeinsam an Lösungen arbeiten.“
Kreative Maßnahmen
In den Berghütten finden die Tiere mehr als anderswo Plätze, wo sie sich ungestört aufhalten und ausbreiten können: hinter Holzverkleidungen und in Holztrennwänden, in Dielen mit vielen Fugen, in Holztischen, Schränken und allen möglichen Hohlräumen, die es in den Hütten zuhauf gibt.
Manche Hüttenwirtsleute greifen zu drastischen wie kreativen Maßnahmen, um die Wanzen zu bekämpfen und deren Ausbreitung zu verhindern. Wer in eine Hütte kommt, muss seinen mitgebrachten Schlafsack für eine kurze Zeit in die Mikrowelle stecken, Hitze über 60 Grad lässt den Chitinpanzer der Tiere platzen, das Eiweiß im Insekt gerinnt. Ebenso werden die Eier zerstört. Hütteneigene Schlafsäcke werden täglich gewaschen.
Weil das auf lange Sicht unökonomisch und unökologisch ist, rät die Wanzenexpertin Arlette Vander Pan zu weiteren Schutzmaßnahmen: Den Rucksack und alle andere Taschen sowie Kleidungsstücke weit entfernt vom Bett lagern. Den Rucksack luftdicht in einem Plastiksack verpacken. Verschwitzte Kleidung fest in Plastiktüten verschließen, Schweißgeruch lockt die Tiere an.
Der Wanzenforscher
Vander Pan hat am Umweltbundesamt Bettwanzen intensiv erforscht und Ratgeber sowie eine Broschüre geschrieben. Ihre Tipps, wie man Bettwanzen erfolgreich bekämpft und verhindert, dass man diese aus einer Berghütte oder aus einem Hotel mit nach Hause nimmt, findet man mittlerweile auf vielen Webseiten, die es zahlreich im Internet gibt.
Wer nicht sicher ist, ob er Wanzen hat, kann in Berlin auch Sonja Schlamp anrufen und nach Nelly fragen. Nelly ist eine belgische Schäferhündin, die Wanzen riechen kann. Sonja Schlamp hat sie darin ausgebildet. Seit neun Jahren trainiert Hundeführerin Schlamp, die auch Rettungs- und Suchtiere ausbildet, Hunde im Erschnuppern der Blutsauger.
Der Berliner Webdesigner, bei dem Kammerjäger Trojan jetzt das Totenkopf-Gift einsetzt, steht neben Trojan im Bad und lässt sich die Wirkung des Gifts und alle Sicherheitsvorkehrungen, die er selbst treffen kann, erklären. Nach dem Spritzen Fenster weit auf, etwa sechs bis acht Stunden den Raum nicht betreten. Das Gift muss getrocknet sein, bevor man den Raum wieder nutzen kann, erklärt Trojan. Der junge Mann nickt, er kennt das schon.
Und er kennt alle Info-Seiten sowie alle Wanzen-Videos im Netz, er hat mit dem Umweltbundesamt telefoniert und andere Kammerjäger kontaktiert. „Ich kann nicht mehr“, sagt er. „Kann ich verstehen“, sagt Trojan: „Aber wir müssen so lange behandeln, bis die Tiere beseitigt sind.“ Beide nicken.
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