Neuer Trainer beim FC Barcelona: Zurück zum Tiki-Taka
Mit Quique Setién knüpft der Club wieder an sein altes Erfolgsrezept des absoluten Ballbesitzes an. Zuletzt wirkte Barça ohne spielerische Linie.
Das Training beim FC Barcelona begann gestern wie häufig am späten Vormittag. Es gab dabei allerdings zwei Besonderheiten: den neuen Übungsleiter Quique Setién, nachdem der katalanische Vorzeigeklub in der Nacht zuvor erstmals seit 2003 während der Saison den Coach gewechselt hatte. Sowie den Umstand, dass es nur die erste von zwei angesetzten Einheiten war. Die unmissverständliche Botschaft der schon am Vortag verkündeten Doppelsession: Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt.
Aufbruchstimmung tut not nach der denkwürdig aus dem Ruder gelaufenen Demontage von Vorgänger Ernesto Valverde. Dass dieser nach viertägigem Hinhalten wegen einer Niederlage im zweitrangigen Supercup am bizarren Spielort Saudi-Arabien gefeuert wurde, gilt vielen Beobachtern als moralischer Tiefpunkt eines Vereins, der zwar erstmals die „Deloitte Money League“ der wirtschaftsstärksten Fußballklubs anführt – aber seinen Kompass komplett verloren zu haben schien. Jedenfalls bis er die Stabsübergabe doch noch halbwegs mit Happy End über die Bühne brachte.
Valverde verabschiedete sich gestern nach zweieinhalb Jahren mit zwei Meisterschaften in einem offenen Brief ohne Zorn. Und in Setién sieht nicht nur die klubnahe „Sport“ das „erste Licht am Ende eines langen Tunnels“. Auch drei Viertel des Fanvolks zeigen sich in einer Umfrage von Mundo Deportivo begeistert. Die Vorschusslorbeeren haben einen einfachen Grund: Der international wenig bekannte Setién konkurriert allenfalls noch mit Pep Guardiola um den inoffiziellen Titel des größten Cruyff-Anhängers unter der Sonne.
Der 61-Jährige hat oft erzählt, wie sein erstes Match gegen das damals vom Vereinsheiligen Johan trainierte Barça sein fußballerisches Erweckungserlebnis bedeutete. Auch die Liebe zum Aphorismus hat er sich vom holländischen Maestro abgeschaut: „Fußballer bist du durch den Ball, nicht weil du ihm hinterherrennst“. Zuletzt pflegte er das Tiki-Taka-Erbe bei den Erstligisten Las Palmas und Betis Sevilla in einem Maße, dass ihn die Cruyff-Stiftung 2018 zum besten Traditionsverwalter des verstorbenen Genies wählte und nun wenige Minuten nach der Ernennung Setiéns schon ihre Glückwünsche twitterte.
Fehlende spielerische Linie
Apathie und Selbstzufriedenheit lauteten die Kernvorwürfe während der bleiernen Vormonate unter Valverde, dessen nie übermäßig ästhetischer Fußball diese Saison besonders freudlos daherkam. Trotz Tabellenführung (punktgleich mit Real Madrid) richteten sich die Kritiken denn auch mehr gegen Zeitpunkt und Management der Valverde-Entlassung als auf den Tatbestand an sich. Unter dem Ex-Trainer fehlten Barça nicht nur Kraft und Glaube, um das Champions-League-Desaster vorige Saison in Liverpool (0:4) abzuhaken. Barça wirkte auch immer öfter unkoordiniert, ohne spielerische Linie.
Unter Setién dürfte sich das ändern, besonders im Zentrum, der neuralgischen Zone des Fußballs nach Prägung von Cruyff oder Guardiola. Letzterem hat Setién im Oktober 2018 sogar den ewigen Ballbesitz-Rekord der spanischen Liga weggenommen. 82,51 Prozent schaffte Betis da gegen Leganés. Einen Monat später triumphierte Betis mit einem eindrücklichen 4:3 beim FC Barcelona, dessen Stratege Sergio Busquets Setién daraufhin ein Trikot mit Widmung schenkte: „Für Quique, in Zuneigung und Bewunderung: Für deine Art, den Fußball zu verstehen.“
Mit Betis erreichte Setién das internationale Geschäft, entwickelte Talente wie Nationalspieler Fabián Ruiz (heute SSC Neapel) und gewann nicht nur bei Barça, sondern auch zweimal bei Real Madrid. Doch nach zwei Saisons ging er im Streit mit den andalusischen Fans, denen seine Fußballphilosophie zu puristisch war. In Katalonien sollte ihm zumindest das nicht passieren. Das erste Heimspiel gegen Granada am Sonntag wird für Setién wirklich: ein Heimspiel.
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