piwik no script img

Berichterstattung über E-MobilitätWirklichkeit zurechtgebogen

Mit falschen Szenarien von wegfallenden Arbeitsplätzen wird Stimmung gegen die E-Mobilität gemacht. Dabei würde eine Verkehrswende neue Jobs schaffen.

Geht doch: E-Golf in Sachsen Foto: Karsten Thielker

BERLIN taz | Sie können es einfach nicht lassen, obwohl sie es besser wissen müssten. „E-Mobilität gefährdet Jobs“, titelt die Wirtschaftszeitung Handelsblatt am Montag auf der ersten Seite. Von 410.000 Arbeitsplätzen, die „durch den Abschied vom Verbrennungsmotor“ wegfallen könnten, ist die Rede. Die falsche Botschaft verbreitet sich via Nachrichtenagentur Reuters in Windeseile, denn sie übernimmt die Zahl in die Überschrift ihrer Meldung. Dabei ist genau das Gegenteil richtig. E-Mobilität sichert Jobs.

Der Hintergrund: Das Handelsblatt berichtet in seiner Montagsausgabe über eine Studie der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität. Das ist ein BeraterInnengremium, das die Bundesregierung 2018 eingesetzt hat. Aufgabe dieser Kommission ist, Handlungsempfehlungen für den Wandel der Mobilität zu erarbeiten. Beteiligt sind VertreterInnen von Unternehmen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Verbänden und Wissenschaft.

Der Verkehrssektor steht vor Veränderungen wie seit Beginn der Industrialisierung nicht mehr. Die Kommission ist der Versuch, VertreterInnen mit verschiedenen Interessen ins Gespräch zu bringen, damit die anstehenden Änderungen möglichst einvernehmlich in Angriff genommen werden können.

Die Studie, auf die sich das Handelsblatt bezieht, kommt aus der Arbeitsgruppe 4 der Plattform, die sich mit „Sicherung des Mobilitäts- und Produktionsstandortes, Batteriezellproduktion, Rohstoffe und Recycling, Bildung und Qualifizierung“ befasst. Sie wurde dem Handelsblatt vor der Veröffentlichung zugespielt.

Typisch für GegnerInnen der Verkehrswende

Darin geht es vor allem um die nötige Weiterbildung für die Beschäftigten. Die spielt aber in der Berichterstattung kaum eine Rolle. Die Studie dient dem Handelsblatt nur dazu, das Ressentiment von der bösen E-Mobilität zu bedienen. Die von der Redaktion herausgestellte Zahl der angeblich gefährdeten Jobs wird in der Untersuchung selbst als pessimistisches „Extremszenario“ beschrieben.

Es ist also schlicht so: Niemand geht davon aus, dass dieses Szenario realistisch ist – weder Gewerkschaften noch der Verband der Automobilhersteller. Das geht auch aus dem Text zur Titelgeschichte des Handelsblatts hervor. Denn dem „Extremszenario“ liegt die – falsche – Annahme zugrunde, dass die deutschen Autohersteller meilenweit hinter der internationalen E-Konkurrenz zurückbleiben.

Doch die deutschen Produzenten bringen in Kürze Dutzende von E-Modellen auf den Markt, gerade sind große Werbekampagnen für diese Fahrzeuge angelaufen. VW rüstet in Zwickau ein ganzes Werk auf die Herstellung von E-Autos um, und zwar ohne Arbeitsplätze abzubauen. Das ist möglich, weil dort mehr Fahrzeuge als vor der Umstellung gebaut werden.

Was das Handelsblatt macht, ist typisch für die GegnerInnen einer Verkehrswende: Sie stellen E-Mobilität in ein schlechtes Licht, auch wenn die Wirklichkeit dafür zurechtgebogen werden muss. Der Subtext lautet: Diese neuen Antriebe sind schlecht für den Wirtschaftsstandort, sie kosten Arbeitsplätze, wehrt euch dagegen, so gut und so lange es geht, und kauft die Dinger bloß nicht. Dieser Angstdiskurs ist nicht nur schlecht fürs Klima, sondern auch für die Wirtschaft.

Es ist richtig, für die Produktion von E-Autos werden weniger Leute gebraucht als für die Herstellung konventioneller Fahrzeuge, weil weniger Teile verbaut werden. Aber durch eine Verkehrswende, zu der die Umstellung auf E-Mobilität zwingend gehört, entstehen neue Arbeitsplätze in der Branche selbst durch neue Dienstleistungen und in anderen Bereichen, etwa bei der Bahn oder im öffentlichen Nahverkehr.

Wer jetzt die Entwicklung von E-Autos verschleppt, gefährdet Arbeitsplätze. Autos mit Verbrennermotor werden schon in wenigen Jahren schwer verkäuflich sein. Das ist eine absehbare Realität, die dann auch das Handelsblatt einsehen muss.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Das klingt wie:



    Wir sollten so lange es geht mp3 und Streamingdienste vermeiden, denn es kostet Arbeitsplätze in der CD-Produktion...

    Einem Handelsblatt sollte man da ein besseres Verständnis von volkswirtschaftlichen Effekten zutrauen.

  • Also im Gegensatz zu euch hat das Handelsblatt Ahnung von Wirtschaft, von daher..

  • Es werden weniger Komponenten im Elektroauto verbaut, daher steckt weniger Arbeitszeit und Material in einem Elektroauto als in einem vergleichbaren KfZ mit Verbrennungsmotor.



    Komisch: die Autos sind trotzdem viel teurer als die Kfz mit Verbrennungsmotor. Die Behauptung, dass läge an den Batterien hat Renault längst widerlegt: der Zeo ist genauso teuer wie vergleichbare andere E-PKW, aber ohne Batterie. Die muss man kostenpflichtig mieten.



    Der hohe Preis liegt ausschließlich daran, dass die staatliche Kaufprämie aufgeschlagen wird.

  • Wir sollten offener über Alternativen reden. Mir gefällt nicht, dass die Diskussionen so einseitig sind.



    Die einen sagen, dass wir Jobs verlieren werden, die anderen sagen, dass die Welt ohne E-Autos untergehen wird.



    Es ist an der Zeit, dass man unter Prüfung aller Fakten nüchtern den besten Weg erarbeitet und anschließend gemeinsam einschlägt.



    Als Bürger wird man nicht richtig informiert.

  • Die Autorin bleibt leider die Antwort schuldig, die sie vollmundig in der Überschrift ankündigt. Glaubt sie, dass der Ingenieur bei BMW jetzt umstandslos und freudig als Zugbegleiter oder Flixbusfahrer arbeiten wird und dann schon alles passt?

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @Ignaz Wrobel:

      Ja, so klingt es im Text. Ist aber euch kein Problem. Man muss nur den Mindestlohn hoch genug ansetzen. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. So geht Wirtschaftspolitik a la taz.

  • was für jobs bitte...? nachhaltige bestimmt nicht wenn man die umweltzerstörungen beim lithium-abbau in bolivien/argentinien betrachtet! seit über 20 jahren gibt es die hydrogen technologie und die brd ist zu dämlich das umzusetzten.das ist ein totalversagen unser lobby politiker!

  • 9G
    90618 (Profil gelöscht)

    Kann nicht bitte, bitte wenigstens die taz die unsinnige Gleichsetzung von "E-Mobilität" und Elektroautos unterlassen?

    E-Mobility gibt es seit über 100 Jahren, seit ein gewisser Herr Siemens in Berlin die "Elektrische" erfand, heute bekannter unter den Namen "Straßenbahn" oder "Tram".

    Später kamen dann U-Bahn und ICE hinzu.

    Eine andere Art von Elektromobilität sind elektrisch unterstützte Fahrräder oder Pedelecs.

    Siehe u.a. www.lunapark21.net...litaet-ohne-lobby/

    • 9G
      90618 (Profil gelöscht)
      @90618 (Profil gelöscht):

      Und bei der Gelegenheit bitte auch nicht die "Verkehrswende" mit einem Wechsel des Antriebs gleichsetzen.

      Verkehrswende muß vor allem eine Wende weg vom Auto sein, hin zu Straßenbahnen, Fahrrädern, Fernbahnen, usw. Wenn es deutlich weniger Autos gibt, ist es für den verbleibenden Rest fast egal, welcher Antrieb genutzt wird.

      Die Arbeitsplätze müssen bei den Bahnherstellern entstehen!

      • @90618 (Profil gelöscht):

        Danke, das war auch mein erster Gedanke. Traurig, dass selbst die taz am Narrativ "elektrischer MIV = umweltfreundlich" mitstrickt.

  • Also, eine Projektion, wie viele Arbeitsplätze zukünftig in bestimmten Branchen benötigt werden, ist nicht ganz einfach. Aber, es ist offensichtlich, dass im Prinzip in fast allen Bereichen durch den Einsatz von KI's und fortgeschrittener Robotik Arbeitsplätze wegfallen werden, und das besonders im Hochlohnbereich, z. B. im Gesundheitswesen. Der Verkehrsbereich macht dort keine Ausnahme. E-Mobilität, selbstfahrende Autos, fahrerlose Züge, Ein-Mann-Kockpit im Flugzeug das ist nur eine Auswahl. Deutschland ist in vielen Bereichen rückständig, deswegen fällt der technische Fortschritt hier nicht so auf, er ist aber in vollem Gange.



    Vor drei bis vier Jahren habe ich das selber nicht geglaubt, aber die Entwicklung hat sich in vielen Bereichen nicht verlangsamt, eher noch beschleunigt, wenn man sich die Entwicklung bei KI-Anwendungen und im Bereich der Mikroprozessoren anschaut.



    Ich habe den Eindruck, dass viele Entscheidungsträger die Reichweite dieser Entwicklungen nicht abschätzen können oder keine Lust haben sich damit zu beschäftigen.

    • @Surfbosi:

      "Hochlohnbereich, z. B. im Gesundheitswesen"



      Hochlohnbereich Gesundheitswesen? Sehr lustig.

  • 7G
    75064 (Profil gelöscht)

    Das Problem der Automobilität auf die Antriebsart zu verengen wird der Sache nicht gerecht.



    Eine Verkehrswende, die diesen Namen verdient, bedeutet eine weitgehende Abkehr vom motorisierten Individualverkehr hin zu einem flächendeckend funktionierenden öffentlichen Personen- und Güterverkehr, ergänzt durch sicheren Fußgänger- und Radverkehr. Lediglich in wenigen ausgesprochen ländlichen Gegenden kann dann noch Bedarf an Autos - die dann elektrisch oder mit Wasserstoff betrieben sein können - bestehen.



    Klingt vielleicht utopisch, wird aber in dichtbesiedelten Staaten in wenigen Jahrzehnten Realität sein (müssen).