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Vietnamesische Musik in LichtenbergDer Traum von einer Zither

Dan Bau oder Dan Tranh: In Lichtenberg kann man diese vietnamesischen Zitherinstrumente mit Hung Manh Le und Hoa Phuong Tran spielen lernen.

Hoa Phuong Tran spielt die vietnamesische Wölbbrettzither Dan Tranh Foto: Lotus Ensemble

Fast jeden Samstag fährt das Ehepaar aus Hannover nach Berlin-Lichtenberg. Die gebürtigen Viet­na­me­sen sind Ende 50 und nehmen hier Unterricht an der Musikschule. Sie erlernen das Spiel der Dan Bau, einer einsaitigen Zither. Das traditionelle vietnamesische Musikinstrument haben die beiden geerbt, nun wollen sie es auch spielen. Musiklehrer Hung Manh Le, etwa im gleichen Alter wie seine Schüler, hilft das Ins­tru­ment mit Klebeband zu beschriften, damit sie wissen, an welcher Stelle der einzigen Saite welche Tonhöhe zum Erklingen gebracht werden kann.

Seit zwölf Jahren unterrichten Hung Manh Le und seine Frau Hoa Phuong Tran an der Schostakowitsch-Musikschule Lichtenberg das Spiel an vietnamesischen Ins­tru­men­ten, seit sieben Jahren auch an der Musikschule Fanny Hensel in Mitte. Die Angebote sind bundesweit einmalig. Dass Schüler einen weiten Weg zu ihnen auf sich nehmen, ist gar nicht so selten.

Gut die Hälfte seiner Schüler sei bereits erwachsen, erzählt der Musiklehrer, der eigentlich gelernter Journalist ist, aber schon immer auch Musik macht. Gemeinsam mit seiner Frau, die das Konservatorium in Hanoi absolviert hat, und weiteren Berufsmusikern spielt er beispielsweise im Lotus Ensemble traditionelle fernöstliche Musik. Die Musik war für ihn der Weg der Integration in die deutsche Gesellschaft, erzählt der Musiklehrer, der Anfang der 90er Jahre nach Deutschland gekommen ist. Die Musik führte ihn heraus aus dem Wohnheim.

Es war aber ein weiter Weg, bis die beiden eine Musikschule fanden, die sich auf den Unterricht an ganz anderen als den hier üblichen Instrumenten wie Klavier und Geige einließ. Le hat schon in einer Bibliothek Bücher sortiert, er moderierte beim Radio Multikulti und auf viet­na­me­si­schen Hochzeiten und arbeitete als Eventmanager. Aber das Bedürfnis nach dem Erlernen vietnamesischer Zupfinstrumente ist in Berlin da – und es gibt wenige Menschen, die das unterrichten können. Vor allem das Spiel der Dan Tranh – der vietnamesischen Wölbbrett­zither – ist gefragt.

Traditionelle Musik und das Tet-Fest

Neujahrsfeiern:

Vietnamesische Musik sollte auch im Umfeld des vietnamesischen Tet-Festes zu hören sein. Dieses Jahr fällt das vietnamesische (dem chinesischen entsprechende) Neujahrsfest auf den 25. Januar und wird auch in Berlin mit Feiern in Familien, Vereinen und Kirchengemeinden begangen.

Salonmusik:

Hung Manh Le und Hoa Phuong Tran sind mit dem Lotus Ensemble am 26. Januar im Werk9, Markgrafenstraße 26, beim neujährlichen Weltmusiken-Konzert zu hören. Das startet um 18 Uhr – wie das Konzert mit Lotus im Rahmen der Sonntagsreihe Salonmusik am 2. Februar im Zitronencafé im Körnerpark. Auch dort wird das Ensemble viele vietnamesische Instrumente präsentieren.

Als Kind erträumt

Kim Dung, 65 Jahre alt, hat schon als Kind davon geträumt, ein Instrument zu spielen. „Aber damals war Krieg in Vietnam. Meine Familie war arm. Es blieb ein Traum“, sagt die frühere DDR-Vertragsarbeiterin. In der DDR gab es keine Möglichkeiten für sie, Musikunterricht zu nehmen, und auch danach hatte sie im Leben erst einmal andere Prioritäten: Sie musste eigenes Geld verdienen, um in Deutschland bleiben zu dürfen, und sie musste ihre Kinder großziehen. Als sie vor fünf Jahren ihre Enkelkinder zum Unterricht an der Musikschule begleitete, wollte die Rentnerin sich aber endlich selbst ihren Kindheitstraum erfüllen. Und weil das Spielen eines Musikinstruments so klingen sollte, wie sie es sich als Kind erträumt hatte, erlernte sie die Dan Tranh.

Gerade für erwachsene Schüler, die wie das Ehepaar aus Hannover und die ehemalige DDR-Vertragsarbeiterin keine Noten lesen können, sei der Unterricht eine Herausforderung, sagt Musiklehrer Le. „Wenn hingegen Kinder ein Instrument erlernen wollen, empfehle ich zuerst die Flöte. Dort kann man die Noten schneller lernen als an den vietnamesischen Zupfinstrumenten.“

So hat das Musikschullehrerpaar eine Bambusflötengruppe von Kindern aufgebaut, die mitunter im Eastgate in Marzahn zu hören ist. Auch diese jungen Schüler haben oft, aber nicht immer vietnamesische Wurzeln.

Und sie sind durchaus unterschiedlich motiviert. Zwei Brüdern, die an diesem Samstag im Unterricht sitzen, sieht man an, dass sie nicht ganz freiwillig in die Musikschule kommen. Der Musiklehrer muss sie immer wieder zur Konzentration ermahnen. Neben dem Unterricht ist er auch mit schlichten Betreuungstätigkeiten gefordert: Einige Eltern haben die große Schwester zum Musikunterricht gebracht, während die kleine Schwester auf dem Flur sitzt und eigentlich beaufsichtigt werden sollte. Die Eltern sind aber arbeiten gegangen.

Nicht immer cool

Für in Berlin geborene Kinder viet­na­me­si­scher Einwanderer gilt das Spielen von Flöte und fernöstlichen Zupfinstrumenten nicht immer als cool, es fehlt das Verständnis unter gleichaltrigen Klassenkameraden. Doch ein zwölfjähriger Junge sieht das anders. „Als ich im Musikunterricht einen Vortrag über mein Instrument gehalten habe, war ich der Einzige, der darüber etwas wusste“, sagt er. Und auch: „Würde ich Klavier lernen, hätte ich kaum Auftrittsmöglichkeiten.“

Auftritte mit der Dan Tranh seien hingegen gefragt. Neben Vietnamesen erlernt gerade auch eine Handvoll Deutsche dieses Instrument, darunter ein Berufsmusiker und zwei Abiturientinnen, die sich auf ein Jahr in Vietnam im Rahmen des Freiwilligendienstes Weltwärts vorbereiten.

Nicht ganz einfach war es, für die Musikschüler und Ensemblemusiker die exotischen Instrumente nach Deutschland zu importieren. Ohne Hilfe der Musikschule, die sich um die Formalitäten kümmerte, wäre es gar nicht gegangen, sagt Le. Aber es müssten auch Instrumente ausgewählt werden, die mit den klimatischen Bedingungen in Deutschland zurechtkommen. Wenn jemand ein geschenktes oder geerbtes Instrument selbst aus Vietnam mitbringe, könne das auch schiefgehen.

Und weil die Auftritte so begehrt sind, hat das Musiklehrerehepaar ein Ensemble seiner Musikschüler zusammengestellt, das sich ­Hanoi Ensemble nennt. Alle sind sie erwachsen, meist schon in der zweiten Lebenshälfte, die meisten sind Vietnamesen, sie spielen die Dan Tranh oder Schlaginstrumente.

Lehrer Hung Manh Le ist auch der Manager des Ensembles. „Viele meiner musizierenden Landsleute treten nur auf Feiern von Vietnamesen auf“, sagt er. „Unser Ansatz ist ein anderer: Wir sehen uns als Teil der deutschen Gesellschaft und wollen zeigen, dass wir auch zu Berlin gehören.“

So tritt das Hanoi Ensemble beispielsweise regelmäßig auf Ver­anstaltungen der Bürgerstiftung Lichtenberg auf, und es hatte die Ehre, 2019 den bundesweiten Musikschultag in Berlin eröffnen zu dürfen. Wenn die fast 20 Laien­musiker in traditioneller vietnamesischer Kleidung auf die Bühne kommen, ist das schon ein Blickfang, und es gibt den ersten Applaus. Den genießen die Frauen und Männer, die sich ein halbes Leben lang in Imbissen oder ­Blumenläden ­abgerackert haben. Und es fühlt sich ein ­bisschen so an wie ein Kindheitstraum, der doch noch in Erfüllung gegangen ist.

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