„Independence in Space“ in Oldenburg: Tanz den Separatismus
Die Costa Compagnie will globalen Unabhängigkeitsbewegungen im Tanz auf die Spur kommen. Zu erleben ist das am Wochenende in Oldenburg.
Dass die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen sie dermaßen mitnehmen würden, wie es nun passiert ist, hatte Castillo jedenfalls nicht erwartet. Zumal sie sich von der Sozialisation her sowieso zu diesem selbstverständlichen US-amerikanischen Weltbürgertum zählt, wie die meisten ihres Jahrgangs: mit früher „Baywatch“ und heute Netflix.
Die Mehrdeutigkeit ihrer Geschichte ist mustergültig für das Projekt „Fight (For) Independence“ der Costa Compagnie, dessen zweiter Teil am Wochenende im Oldenburger Edith-Russ-Haus für Medienkunst zu sehen ist.
Die Performer*innen haben auf der ganzen Welt recherchiert und Unabhängigkeitsbewegungen besucht: nicht nur in Katalonien, sondern auch im Südsudan oder in Großbritannien. Dass die Compagnie auch der Bayernpartei ihre Aufwartung gemacht hat, verrät schon, dass man zu einer früher weit verbreiteten Idee der politischen Linken mindestens auf Abstand gegangen ist: der einer antiimperialistischen Avantgarde nämlich, eines „revolutionären Subjekts“, auf das lange Verlass war.
Sie werden sich erinnern: Nachdem die Revolutionen der westlichen Arbeiterklasse durch die Bank niedergeschlagen oder gar nicht erst passiert waren, hatte sich die Linke den separatistischen Bewegungen zugewandt. Aufgeladen bis zum „Geht nicht mehr“ mit Bildern vom Kampf Davids gegen Goliath, Freiheit, Authentizität und eben auch Identität.
Für Regisseur Felix Meyer-Christian ist das heute nur noch Anlass einer Spurensuche, wenn er offen fragt: „Ist das noch ein progressives Projekt?“ Oder ist es doch nur die Renaissance reaktionärer Nationalismen?
Die Kunst nähert sich den sozialen Bewegungen auf verschiedenen Wegen. Die Costa Compagnie hat Interviews geführt, Videos gemacht und wird in den Folgeproduktionen auch mit Virtual-Reality-Brillen arbeiten, um einen möglichst direkten, immersiven Zugang zu eröffnen.
Tanznummer ohne gesprochene Worte
Die übrigen Teile der Reihe, an der neben Edith-Russ-Haus und der Compagnie auch die Staatstheater Oldenburg und Nürnberg beteiligt sind, werden im Mai beim „Flausen + Banden Festival“ in Oldenburg zu sehen sein. Der jetzt anstehende Teil, „Independence in Space“, ist vielleicht der bodenständigste, obgleich es der abstrakteste ist: Es ist eine Tanznummer, gänzlich ohne gesprochene Worte.
Und da kommt Montserrat Gardó Castillo ins Spiel, die gemeinsam mit Tänzer und Choreograf Jascha Viehstädt und den Schauspielerinnen Katharina Shakina und Helen Wendt versuchen wird, die grundsätzliche Möglichkeit von Freiheit im Raum körperlich zu erforschen: als „begehbare Installation“, wie es heißt.
Samstag, 11. 1., 18 Uhr, sowie Sonntag, 12. 1., 15 Uhr, Edith-Russ-Haus für Medienkunst, Oldenburg
Am Samstag und Sonntag werden die Künstlerinnen je vier Stunden performen, wobei es dem Publikum offensteht, wann, wie lange und auf welchen Wegen sie „Independence in Space“ erleben wollen. Das meint nicht nur den organisatorischen Aufbau der Veranstaltung, sondern betrifft auch die inhaltliche Ebene. Denn obwohl das Material der Produktion diesmal aus Katalonien stammt, soll es doch jede*n betreffen, der oder die Freiheit individuell entlang der Grenzen von Kultur, Nation, Hautfarbe, Gender oder sexueller Orientierung verhandeln muss. So jedenfalls formuliert die Costa Compagnie ihren Anspruch.
Hochgradig reflektiert
Montserrat Gardó Castillo bietet ihre eigene Erfahrung demnach ganz ausdrücklich als Muster an. Hochgradig reflektiert beschreibt die auch als Journalistin ausgebildete Tänzerin, wie bei der Recherche Emotionen und rationale Überlegungen aufeinanderprallten. Natürlich wisse sie vom Kopf her, dass Universalismus richtig und wichtig sei. „Trotzdem bekomme ich heute noch Gänsehaut“, sagt sie beim Gedanken an die Reise.
In Katalonien hat sie mit der Compagnie Volksfeste besucht, und bei den „Castells“ mitgewirkt: mehrstöckige Menschenpyramiden, die schnell und nicht ganz ungefährlich auf Straßen und Marktplätzen geformt werden. In dieser Kombination aus Folklore und extremer Körperlichkeit habe sie eine kollektive Erfahrung gemacht, die ihr bis dahin fremd war: „Plötzlich habe ich mich katalanisch gefühlt.“
Kosmopolitane Jazzmontagen
Das Bühnengeschehen ist nun eine Abstraktion dieser Emotion, statt des folkloristischen Materials sind elektronische Rhythmen und Störgeräusche zu hören sowie kosmopolitane Jazzmontagen und Field Recordings – also Hintergrundsounds von Demonstrationen oder aus der Natur.
Und da verfliegt dann auch die letzte Verwunderung darüber, was das Edith-Russ-Haus für Medienkunst, das mit dieser Veranstaltung übrigens sein 20. Jahr einläutet, nun eigentlich mit Tanz zu schaffen hat. Politisch und in Sachen multimedialer Ästhetik ist „Independence in Space“ hier nämlich absolut kein Fremdkörper. Obwohl es natürlich genau darum geht.
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