Neuerungen im Religionsunterricht: Lehrer sollen in die Kirche
In Hamburg dürfen Lehrer in Zukunft ohne Mitgliedschaft in der Kirche keinen „Religionsunterricht für alle“ mehr geben. Bisher wurde das toleriert.
Schon seit vielen Jahren gibt es in Hamburg den „Religionsunterricht für alle“ (Rufa), den zwar die evangelische Kirche verantwortet, der aber auch die anderen Weltreligionen im Lehrplan hat. Künftig werden auch muslimische, alevitische und jüdische Religionslehrer diesen Unterricht mit erteilen, so wie es in einem Pilotprojekt an der Kurt-Tucholsky-Schule im Stadtteil Altona erprobt wurde. Name des Ganzen: „Rufa 2.0“.
„Die Zahl der Kinder, die nicht christlich oder gar nicht glauben, steigt“, sagte Senator Rabe bei der Vorstellung des Konzeptes. Sie hätten Anspruch, in ihrem Glauben an der Schule unterrichtet zu werden. Den Weg anderer Länder – eine Aufsplittung in bis zu 13 Religionsfächer – wolle Hamburg vermeiden. Gegenwärtig werden an der Uni Hamburg Lehrkräfte in islamischer und alevitischer Theologie ausgebildet, die sukzessive in die Schulen kommen. Ziel ist ein Verhältnis in der Lehrerschaft, das dem der Schülerschaft entspricht.
Das gemeinsame Lernen sei „eine wunderbare Idee für unsere religiös und kulturell vielfältige Stadt“, sagte Rabe. Der Pilotversuch habe gezeigt, dass es funktioniert, ergänzte Bischöfin Kerstin Fehrs. „Religion ist nichts Trennendes, sondern etwas, worüber man diskutieren kann.“ Auch die Vertreter der Schura, der Ditip, des Verbands der islamischen Kulturzentren, der Jüdischen Gemeinde und der Alevitischen Gemeinde äußerten sich optimistisch.
Hamburg bietet von Klasse 1 bis 6 Fach Religion für alle an. Erst ab Klasse 7 gibt es alternativ Philosophie.
In Schleswig-Holstein sind die Fächer evangelische Religion, katholische Religion und Philosophie ab Klasse 1 im Angebot
Mecklenburg-Vorpommern bietet ab Klasse 1 evangelische Religion, katholische Religion und Philosophie mit Kindern an
In Niedersachsen gibt es als Alternative zu Religion das Fach Werte und Normen
Bremen bietet Religionskunde verantwortet von der Stadt an.
Der Vertreter der Katholischen Kirche, die noch überlegt, ob sie in Hamburg bei Rufa 2.0 mitmacht, sprach den heiklen Punkt kurz an. Die Perspektive dafür sei nun da. Denn unter anderem sei künftig durch die „religionsgemeinschaftliche Beauftragung“ sichergestellt, dass die Lehrkräfte „selbst im Glauben stehen“. Gemeint ist ein Vorgang, der evangelisch „Vokation“, katholisch „Missio Canonica“ und muslimisch „Idschaza“ heißt.
Was da nun „sichergestellt“ ist, hat für 2.000 bis 3.000 Lehrer in Hamburg und Schleswig-Holstein große Bedeutung. So hoch ist laut Nordkirche die Zahl derer, die Religion „fachfremd“ unterrichten. Und für die, (wie auch für Religionslehrer, die schon im Schuldienst sind), wurde bisher nicht überprüft, ob sie in der Kirche sind. „Das war nicht Bestandteil der Akten“, sagt der frühere Schulleiter und SPD-Politiker Gerhard Lein. Es habe gereicht, dass ein Lehrer den Lehrplan unterrichtet.
Aus einem Schreiben der Nordkirche an Lehrer in Schleswig-Holstein im Oktober geht hervor, dass diese sich 2018 eine „Vokationsordnung“ gab, um eine „rechtliche Lücke“ zu schließen. Es habe sich gezeigt, dass die Zahl der Religionslehrkräfte im Land nicht ausreiche und viele Schulen daher nur die Möglichkeit hatten, „fachfremde“ Lehrkräfte einzusetzen, die „dankenswerterweise“ diesen Unterricht mit abdecken, jedoch ohne Vokation.
Um auch diesen Lehrern den Weg dazu „frei zu machen“, sind für den 27. März in Hamburg und den 28. August in Kiel „Vokationstage“ geplant. Lehrer, die schon zwei Jahre fachfremd unterrichten, müssen nur dort hinkommen und in die Kirche eintreten.
Laut Kirchensprecher Stefan Döbler haben schon rund 700 Lehrer diese nachträgliche Vokation beantragt, „etwa zur Hälfte aus Hamburg und Schleswig-Holstein“. Döbler sagt, das Vokationgesetz habe mit dem neuen Rufa 2.0 nichts zu tun und sei nur Folge einer „Rechtsangleichung“ innerhalb der erst 2012 fusionierten Nordkirche. Auf die Frage, ob künftig Lehrer, die nicht in der Kirche sind, noch Religion unterrichten dürfen, antwortet Döbler: „Nein. Das war auch bisher nicht möglich“.
Konny Neumann ist Vorsitzender des „Säkularen Forums Hamburg“ und kritisiert diesen Vorgang. „Die Nordkirche ist gerade auf Missionskurs.“ Auch Lein findet es beachtenswert, wenn die evangelische Kirche wieder die Vokation verlangt. Denn so erhalte der Rufa wieder „einen starken kirchlichen Akzent“. „Die früher häufig religionskundliche Praxis des Unterrichts gerät so unter Druck“, schrieb er nun in einer Anfrage an den Senat. „Diese Entwicklung ist vielen Eltern nicht bekannt.“ Und in Hamburg gibt es bis Klasse 6 ohnehin nur Rufa und eben kein säkulares Alternativfach – wie etwa in Schleswig-Holstein mit Philosophie ab Klasse 1.
Ältere Lehrer stolz auf liberale Tradition
Laut Grundgesetz dürfen Eltern ihr Kind vom Religionsunterricht abmelden, was in Hamburg kaum einer tut. Die Stundentafel bietet keine Alternative, aber die Kinder werden betreut. Lein wollte wissen, ob die Eltern bei der Anmeldung ihrer Kinder auf die stärkere Kirchennähe hingewiesen wurden. Darauf erklärt der Senat, in diesem Schuljahr sei eine religiöse Beauftragung noch „keine Voraussetzung, um das Fach Religion zu erteilen“. Diese Vorgabe werde erst im Jahr 2022 verbindlich.
Eine Kirchenmitgliedschaft sei schon bisher bei der Examenszulassung nötig gewesen, erklärt Birgit Korn von der Hamburger Religionslehrervereinigung. Aber es hätten in der Praxis viele Lehrkräfte auch so das Fach unterrichtet, auch wegen der „Hamburgensie“ des „Religionsunterrichts für alle“. Die Diskussion um die Einführung der Vokation in der Lehrerschaft sei „sehr kontrovers“, so Korn. „Die ältere Generation war relativ stolz auf die liberale Tradition in Hamburg.“ Es gebe unterschiedliche Gründe, aus der Kirche auszutreten. „Wir verlieren einige tolle Fachkollegen durch die Einführung der Vokationsordnung.“
Glücklich auch ohne Gott
Auf der anderen Seite sei das Verhältnis der Lehrkräfte, die das Fach zum Teil ohne jede theologische und religionspädagogische Ausbildung oder Fortbildung erteilten, zur hier verantwortlichen evangelischen Kirche „ungeklärt“, und hätte unter den Bedingungen des neuen, von mehreren gleichberechtigt verantworteten Rufa 2.0 „auf jeden Fall einer Veränderung bedurft“.
„Wenn die Nordkirche die anderen auf Formalien hinweist, ist sie selber in der Pflicht, die Vokatio zu verlangen“, räumt Wolf E. Merk, Sprecher des Säkularen Forums ein. Doch die meisten Kinder, etwa 60 Prozent, seien konfessionsfrei. „Wir wollen, dass im Curriculum auch diese Kinder berücksichtigt sind, wie alle anderen.“ Die religiösen Kinder müssten auch lernen, was die konfessionsfreien für richtig halten, und dass man „ohne Gott glücklich werden kann“.
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