Apokalyptischer Jahreswechsel: Was brennt, brennt aus. Oder?
Zum Jahresende wurde mal wieder klar, die rechte Blase ist eine Bitch, Bekehrung zwecklos. Im neuen Jahr deshalb weghören und Kinderlieder summen.
D ie Idee war ja mal ganz hübsch: im finstersten aller Monate ein paar Lichter anzünden und so die eigene Angst verjagen vor dem, was da in der Dunkelheit lauert – den anderen Menschen. Die Idee war sogar so gut, dass sie sich einigermaßen kulturübergreifend verbreitet hat. Ich selbst habe als eklektische Agnostikerin dieses Jahr Chanukka- und Weihnachtsbaumkerzen angezündet. Aber auch wer mit dem irgendwie religiös bemäntelten Kerzenlichtgewitter gar nichts anfangen mag, kann beim bezugslosen Jahreswechsel mitballern, die Dämonen vertreibt man damit ebenso gut. Und auf Blitz muss Donner folgen, sonst ist das Ganze nicht richtig kathartisch.
Statt Läuterung (von guten Vorsätzen mag ich schon gar nicht mehr sprechen, ich will ja niemanden überfordern) ist die Sache mit dem Anzünden dieses Jahr aber ausgeartet, wie man es nur erwarten würde, wenn die Eltern vom Eierpunsch ausgeknockt in der Ecke liegen und die Kinder psychopathisch veranlagt sind. Also – guckt man sich das Personal an – genau so, wie man es erwarten würde.
Statt Kerzen haben die Australier gleich ihr eigenes Land angezündet, fünf Millionen Hektar sind dort schon abgebrannt, selbst 10.000 Feuerwehrleute können nichts mehr tun, nur noch zusehen und versuchen, Menschen vor den Flammen zu retten. Die Tiere sind wahrscheinlich schon alle tot. Ein derartiges Spektakel können wir uns aus Platzmangel in Deutschland nicht leisten, fünf Millionen Hektar, da wären Brandenburg und Sachsen-Anhalt schon weg, und jetzt bitte keine blöden Witze über Ossis, auch die gehören zu Deutschland.
Außerdem ist reelles Zündeln hier mehr und mehr verboten, auch wenn es immerhin noch gelungen ist, mehr als 30 eingesperrte Menschenaffen im Krefelder Zoo mit hübschen kleinen Himmelslaternen zu töten. Keine Menschen, okay, aber unsere nächsten Verwandten, auf jeden Fall Wesen, die Angst und Schmerz empfinden. War aber keine Absicht, sorry. Wie das mit dem Klimawandel ja eigentlich auch nicht. Shit happens.
Es geht aber auch besser: In Neukölln konnte man selbst zwei Tage vor Silvester noch den Hund vor Augen erkennen, statt wie früher durch dichten Nebel zu tapsen. Andererseits waren wir Deutsche schon immer erfinderisch in Sachen Destruktion. Wenn man uns die Streichhölzer wegnimmt, kokeln wir eben digital.
Da reichen ein paar trockene AfD-Zweiglein oder einfach ein paar Twitterer aus dem rechten Spektrum, die wegen eines Kinderlieds Staatsfunk und Schlimmeres schreien (Stichwort #Omagate oder – für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie das ganze Jahresendspiel verpasst haben – Umweltsau, gesungen im WDR zur Melodie von „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“). Und schon brennt die rechte Blase. Bitte, genau das soll sie, denn alles, was brennt, brennt irgendwann aus. Oder?
Leider nicht, wenn alle anderen, allen voran eigentlich schlaue Journalisten, die Sache ernst nehmen und damit Sauerstoff und Leben in die kleinen, stinkenden Flammen pusten. (Bevor Sie mir jetzt Hochmut vorwerfen, ich beziehe mich da schon selbst mit ein.) Statt cool zu gucken und uns ein paar Notizen zu machen, rennen wir halt gern wie Hündchen dahin, wo was passiert. Es macht auch zugegebenermaßen ab und zu Spaß, sich aufzuregen über die Aufregung der anderen.
Blöderweise ist die rechte Blase eine Borderline-Bitch: manipulativ, durchtrieben und obsessiv darauf bedacht, alle Liebe auf sich zu ziehen. Ich, ich, ich, guckt mal alle, hier bin ich, guckt, was ich schon wieder gemacht hab. Und wenn’s keine Liebe gibt (weil man eben eine bösartige Bitch ist), dann bitte wenigstens alle Aufmerksamkeit, alles Drama. Hauptsache, die Welt dreht sich um sie.
Was ich mir also fürs neue Jahr hinter meine Ohren schreibe ist: Bekehrung der Bitch funktioniert nicht. Wenn sie schreit, werd ich einfach die Augen schließen und ein Kinderlied summen. Vielleicht ist das Eskapismus, vielleicht ist es gefährlich. Aber geschwächt ist das rechte Spektrum auch nach der gefühlt dreihundertachtzigsten hitzigen Twitter-Debatte noch immer nicht.
Wer nicht weiterkommt, muss halt mal die Strategie ändern. Und als Superdemokratin lache ich ja auch gerne und oft über die dünnhäutigen, überspannten Donald Trumps dieser Welt, die überall austeilen und damit gern auch hie und da einen Krieg riskieren, anstatt wie echte Erwachsene die Provokatiönchen der Borderliner, die es ja nicht nur in der deutschen Twitter-Blase, sondern auch im real life gibt, stoisch lächelnd abprallen zu lassen. Oder man muss einfach selbst was machen, das tatsächlich interessant ist. Es muss nicht gleich die große, argumentative Weltrettung sein. Einfach nett sein (und nicht groß drüber reden) genügt.
In diesem Sinne: Ein stilles Neues Jahr!
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