Boxen und Menschenrechte: Spülgang in der Sportwaschmaschine
Andy Ruiz Jr. und Anthony Joshua boxen um WM-Titel im Schwergewicht – in Saudi Arabien. Sie kassieren und die Herrscher freuen sich.
A uf dem „World Press Freedom Index“ der Organisation Reporter ohne Grenzen liegt Saudi Arabien auf Platz 172. In den vergangenen zwölf Monaten ist der Golfstaat noch einmal drei Plätze abgerutscht. Mehr als 35 Journalisten sitzen hinter Gittern. Aber das ist nur eines der Darstellungsprobleme, die Saudi Arabien in der westlichen Welt hat. Die Führungsriege lässt deswegen nichts unversucht, das Image ihres Landes, das seit diesem Dezember auch die Präsidentschaft der zwanzig führenden Wirtschaftsnationen (G20) innehat, zu verbessern.
Das Regime lädt zum Beispiel Journalisten ein zum „Saudi Media Forum“, bei dem diese, wie es heißt, „frei“ ihre Ansichten austauschen können. Angestellte der Frankfurter Allgemeine Zeitung, des Figaro und des Guardian folgten der Einladung. Die Washington Post verzichtete darauf, Leute nach Riad zu schicken. Sie sind wohl etwas nachtragend, weil ihr Mitarbeiter Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul zersägt wurde.
Eine andere Möglichkeit, Tünche über die Menschenrechtsdreckecken zu legen, ist neben Einladungen zum unverbindlichen Austausch der Sport. Den hat Saudi Arabien massiv für sich entdeckt, denn nichts bleicht nachhaltiger als Spülgänge in der Sportwaschmaschine. Und so sieht die Sport-PR-Offensive aus: Der italienische Fußball-Supercup wurde in Saudi-Arabien ausgetragen, überdies die Klub-WM im Handball, die Formel E kurvt dort herum, es gibt ein großes Golf-Turnier und nächste Woche schlagen einige Tennis-Stars auf, im Januar werden die Rallye Dakar im saudischen Sand sowie der spanische Supercup im Fußball mit Real Madrid und dem FC Barcelona ausgetragen.
Der ganz große Clash
Aber das ist noch nichts gegen ein Spektakel, das am Wochenende steigt: Der Boxkampf der Schwergewichte Andy Ruiz Jr. und Anthony Joshua, den die Veranstalter „Clash on the Dunes“ genannt haben. Der Aufwand, den die Saudis betreiben, ist groß. Rund 100 Millionen Dollar soll dem Kronprinz Mohammed bin Salman das Spektakel in Diriyya, einem Vorort der Hauptstadt Riad, wert gewesen sein. Der Ring, so wird kolportiert, soll später in den Gemächern eines „Boxfanatikers“ der Königsfamilie ein neues Zuhause finden.
Eddie Hearn, Manager des Briten Joshua, sieht nur Positives in der Wahl des Veranstaltungsortes. Der Boxsport bei den Saudis erlebe durch das Event einen Aufschwung sondergleichen und von der Wirkung her sei der „Clash“ nur vergleichbar mit den epochemachenden Boxkämpfen „Rumble in the Jungle“ und „Thrilla in Manila“, behauptet Hearn, der die Übertragungsrechte seines zuletzt leicht schwächelnden Superhelden im Mai 2018 für eine Milliarde Dollar an DAZN verscherbelt hat.
Das ist ein hübsches Sümmchen, vor allem, wenn man bedenkt, dass der Streamingdienst die Kohle für acht Jahre locker gemacht hat, weil er damit rechnete, dass Joshua der große Zampano in der Szene bleiben werde. Doch dann kam ein relativ kleiner, schwabbeliger Mann mit einer Eisenfaust daher, Ruiz also, und sorgte im Juni dieses Jahres für eine der größten Boxsensationen im Schwergewicht: Er haute den Favoriten im Madison Square Garden einfach um, in der siebten Runde. Der Mann mit den mexikanischen Wurzeln strotzt nun vor Selbstbewusstsein, und Joshua denkt schon laut über eine Trainerkarriere nach.
Der Hype um den Kampf und die Simulation von Normalität, wie sie Typen vom Schlage Hearns betreiben, kann den Saudis nur recht sein. Es geht um maximale Aufmerksamkeit für das Spektakel und minimale Sensibilität für die Schwachstellen im saudischen System. Das ist ein Deal, der für beide Seiten attraktiv ist.
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