Filmempfehlung für Berlin: Fantastischer Realismus
Formvollendet: Das Kino Arsenal würdigt in einer Retrospektive den großen japanischen Regisseur Kenji Mizoguchi.
Der Morgen erhebt sich über der Stadt und die Neonlichter verlöschen. Sonosuke Asai, Besitzer einer pharmazeutischen Firma, muss ohne seine Frau frühstücken. Die beiden sind sich in herzlicher Abneigung verbunden, und sie verbringt ihre Abende ohne ihn. Kurzerhand bändelt Asai mit Ayako Murai, einer Telefonistin in seiner Firma, an und macht sie zu seiner Geliebten. Sie gibt ihren Beruf auf und langweilt sich anschließend in der Wohnung, die ihr Herr Asai bezahlt. Als die Affäre zerbricht, tauscht Ayako Herrn Asai gegen einen seiner Geschäftspartner.
Kenji Mizoguchis „Osaka Elegy“ von 1936 ist durchdrungen von Elementen der Moderne, von den Bildern der Stadt bis zum Auftreten der Frauen des Films, Ayako Murai und Frau Asai. Der Film ist ein frühes Meisterwerk des japanischen Regisseurs. Das Berliner Kino Arsenal zeigt ihn dieser Tage im Rahmen einer seltenen Werkschau des Regisseurs.
Mitte der 1910er Jahre arbeitet sich Mizoguchi an die Kunstszene heran, er beginnt an einer Kunstschule zu studieren, arbeitet bei einer Zeitung als Gestalter für die Werbeanzeigen. 1920 beginnt Mizoguchi schließlich seine Filmkarriere, zunächst als Schauspieler, drei Jahre später ist er Regisseur. „813“, der erste Film, den Mizoguchi dreht, ist eine Arsène-Lupin-Adaption.
Inspiriert vom deutschen Film
Mizoguchi begibt sich in Genrefilmen auf die Suche nach neuen Formen im Kontext eines japanischen Kinos, das stark von Theatertraditionen geprägt ist. Er dreht Filme, die von den expressionistischen deutschen Filmen inspiriert sind, und Manga-Adaptionen.
Zugleich entstehen eine Reihe explizit linker Filme wie „Metropolitan Symphony“ über den Niedergang eines Unternehmersohns. Mit Filmen wie diesem macht sich Mizoguchi einen Ruf als Regisseur eines neues sozialen Realismus. Von den etwa 70 Filmen, die in den 1920er und 1930er Jahren entstanden, sind nur die wenigsten überliefert.
Die Kenji-Mizoguchi-Retrospektive läuft noch bis zum 8. 1. 2020, Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, www.arsenal-berlin.de
Einen Eindruck von der Mischung aus realistischen und Genre-Elementen, die die Filme Mizoguchis in den 1930er Jahren prägten, kann man sich anhand von „The Water Magician“ (1933) machen. Der Film spielt im Schaustellermilieu des späten 19. Jahrhunderts. Eine junge, schöne Frau, die als Wasserzauberin die Hauptattraktion einer Schaustellertruppe ist, verliebt sich in einen Kutscher und die Tragödie nimmt ihren Lauf. Der Film beruht auf einem Theaterstück der populären shinpa-Tradition. Der Film läuft in einer selten gezeigten restaurierten analogen 35-Millimeter-Kopie.
Ganz anders zeigt sich der Theaterbezug in „Sisters of the Gion“ (1936), der um zwei Schwestern kreist, die als Geishas im Vergnügungsbezirk Gion arbeiten. Der Film beginnt mit einer horizontalen Kamerafahrt entlang von etwas, das zunächst als Bühne erscheint, sich im Laufe der Fahrt jedoch als das Hinterzimmer eines Auktionshauses erweist. Ein Kameraschwenk und die Auktionen erweisen sich als der materielle Aufhänger einer sozialen Erzählung: Die Möbel werden aus einer Notlage heraus versteigert. Die Handlung des Films findet gleichsam auf der Bühne des Lebens statt.
Wichtige Frauenfiguren
Nimmt man „The Water Magician“ und „Sisters of Gion“ zusammen, fällt auf, dass Mizoguchis Filme meist von den Frauenfiguren getragen werden, denen unzuverlässige, im schlimmsten Fall auch noch rachsüchtige Männer gegenüberstehen. So auch in „Tales of the Rain and Moon“ von 1953, der in Venedig einen silbernen Löwen gewann und Mizoguchis Ruhm in Westeuropa entscheidend mitbegründete.
Die Handlung spielt im 16. Jahrhundert, in den Machtkämpfen der Sengoku-Zeit. Der Töpfer Genjuro und der Möchtegernsamurai Tobei wittern in den Kriegswirren ihre Gelegenheit für ein gutes Geschäft mit Töpferwaren. Der Film erzählt davon, wie sich die beiden Protagonisten mit ihren Ambitionen den Ärger einhandeln, den ihre Frauen ihnen schon zu Beginn des Films vorausgesagt haben.
Die französische Filmzeitschrift Cahiers du cinema bemerkte zur Aufführung des Films bei dem Filmfestival: „Das Ungewöhnliche entsteht aus dem Kontrast zwischen dem Fantastischen der Situationen und dem Realismus, mit dem diese inszeniert sind.“ In der Tat hält der Film eine beeindruckende Balance zwischen beinahe märchenhaften Szenen, Kriegsgewirr und einem Realismus, der den Film von der Präzision des Töpferhandwerks bis in alle Details durchzieht.
22 Filme umfasst die Werkschau, die das Kino Arsenal noch bis Ende Januar präsentiert. Möglich wurde sie durch eine Förderung seitens des Hauptstadtkulturfonds und eine Reihe japanischer Partnerinstitutionen. Eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
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