Kritik an argentinischer Feministin: Morales und der Machismo
Die Feministin Rita Segato hat den gestürzten bolivianischen Präsidenten Evo Morales kritisiert. Dafür wird sie vielerorts zur Rassistin erklärt.
R ita Segato war vorsichtig. Es falle ihr nicht leicht, diese Stellungnahme über die fürchterliche Situation in Bolivien zu veröffentlichen, erklärte die argentinische Feministin und Anthropologin in einem Beitrag, den jüngst ein bolivianisches Radio veröffentlichte. Segato lebt nicht in dem Andenstaat. Folglich betrachtet sie die Lage von einem anderen Standort aus als indigene Feministinnen, die unter der rassistischen, klerikalen Herrschaft der alten Eliten Boliviens leiden. Sie nahm es deshalb vorweg: „Ich befürchte, dass man mich nicht für berechtigt hält, euch das zu sagen.“
Dennoch äußerte sich Segato eindeutig. Sie warf dem bisherigen – indigenen – Präsidenten Evo Morales vor, selbst schuld daran zu sein, dass er im November gestürzt wurde und ins Exil flüchten musste: „Für mich war er nicht Opfer eines Staatsstreichs, sondern seines allgemeinen Misskredits.“
Sie verglich zum Beispiel Morales’ Gleichgültigkeit angesichts eines Waldbrands mit der des rechtsextremen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Und sie kritisierte Evos Ingnoranz in Hinblick auf ein Referendum, bei dem die Mehrheit seine erneute Kandidatur zur Präsidentschaft abgelehnt hatte. Sie diskreditierte Morales als Macho, indem sie seine eigenen Worte zitierte: „Wenn ich in Rente gehe, dann mit meinem Charango (Zupfinstrument), meinen Kokablättern und meiner 15-jährigen Geliebten.“
Die Vorsicht hatte ihr nichts genutzt. Auf Twitter hagelte es aufgeregte Kommentare, und indigene Bolivianerinnen erhoben schwere Vorwürfe. Mit ihrem „intellektuellen Geschwurbel“ verschleiere sie, dass ein Putsch stattgefunden habe, kommentierte eine Gruppe, die sich als „Warmis, Zomo, Frauen aus dem Süden, Frauen aus den Gebieten unserer Vorfahren“ zu erkennen gab.
Der bittere Geschmack kolonialer Eroberung
Sie hoben die Fortschritte hervor, die Morales indigenen Frauen gebracht habe, und fanden es übertrieben, den Ex-Präsidenten als „Oberpatriarchen“ darzustellen. Der weißen Feministin sprechen sie zwar nicht explizit ab, über die Situation in Bolivien urteilen zu dürfen, lassen aber in ihrer Einordnung keine Zweifel. Im Gegensatz zu ihr hätten sie den bitteren Geschmack kolonialer Eroberung erlebt, betonen sie. Sie seien besorgt darüber, dass Segatos Argumentation eine „schöne Tarnung, einen Euphemismus für den rassistischen Diskurs jener bietet, die ihr zuhören“.
Die Formulierung will den Vorwurf kaum vertuschen: Wer wie Segato „bipolares Denken“ infrage stellt, eigene Fehler benennt und nicht nur imperialistische Mächte für das Scheitern einer linken Regierung verantwortlich macht, wird zum Rassisten erklärt. Zumindest wenn sie oder er nicht indigen ist und nicht unter den Folgen kolonialer Regime in biologisch vorgestellter Kontinuität zu leiden hatte. Konsequent weitergedacht, macht das jede kritische Debatte zwischen Indigenen und Nichtindigenen unmöglich.
Die Diskussion ist nicht neu und könnte mit anderem Hintergrund auch in einer Berliner Kneipe stattfinden. Erschreckend jedoch ist, wie hier identitätspolitische Ansätze auf plumpe antiimperialistische Thesen treffen. Anstatt Morales’ autokratisches Vorgehen als Teil des Problems zu erfassen, wird einzig der „weiße Klassenfeind“ für das Scheitern verantwortlich gemacht.
Unterstützung für Segato
Dabei steht außer Frage, wie der Publizist Raúl Zibechi analysierte, dass die Ultarechten vom vorhergehenden Aufstand bolivianischer sozialer Bewegungen profitierten. „Wenn uns lateinamerikanischen Linken noch Ethik und Würde geblieben ist, müssen wir über die Macht und über deren Missbrauch nachdenken“, schreibt der Uruguayer.
Auch in Bolivien selbst steht Segato mit ihrer Kritik nicht allein da. „Indigenas, Huren, Lesben, Verrückte, Mestizinnen, Fräuleins und Anti-Fräuleins“ aus zahlreichen Organisationen widersprechen den „Frauen aus dem Süden“: „Heute ist es so wichtig wie nie zuvor, zu analysieren, zu diskutieren und die einzelnen Stücke des Puzzles zusammenzusetzen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Übergriffe durch Hertha-BSC-Fans im Zug
Fan fatal