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Kritik an argentinischer FeministinMorales und der Machismo

Die Feministin Rita Segato hat den gestürzten bolivianischen Präsidenten Evo Morales kritisiert. Dafür wird sie vielerorts zur Rassistin erklärt.

Hat geprahlt, mit seiner „15-jährigen Geliebten“ in Rente gehen zu wollen: Evo Morales Foto: Edgard Garrido/reuters

R ita Segato war vorsichtig. Es falle ihr nicht leicht, diese Stellungnahme über die fürchterliche Situation in Bolivien zu veröffentlichen, erklärte die argentinische Feministin und Anthropologin in einem Beitrag, den jüngst ein bolivianisches Radio veröffentlichte. Segato lebt nicht in dem Andenstaat. Folglich betrachtet sie die Lage von einem anderen Standort aus als indigene Feministinnen, die unter der rassistischen, klerikalen Herrschaft der alten Eliten Boliviens leiden. Sie nahm es deshalb vorweg: „Ich befürchte, dass man mich nicht für berechtigt hält, euch das zu sagen.“

Dennoch äußerte sich Segato eindeutig. Sie warf dem bisherigen – indigenen – Präsidenten Evo Morales vor, selbst schuld daran zu sein, dass er im November gestürzt wurde und ins Exil flüchten musste: „Für mich war er nicht Opfer eines Staatsstreichs, sondern seines allgemeinen Misskredits.“

Sie verglich zum Beispiel Morales’ Gleichgültigkeit angesichts eines Waldbrands mit der des rechtsextremen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Und sie kritisierte Evos Ingnoranz in Hinblick auf ein Referendum, bei dem die Mehrheit seine erneute Kandidatur zur Präsidentschaft abgelehnt hatte. Sie diskreditierte Morales als Macho, indem sie seine eigenen Worte zitierte: „Wenn ich in Rente gehe, dann mit meinem Charango (Zupfinstrument), meinen Kokablättern und meiner 15-jährigen Geliebten.“

Die Vorsicht hatte ihr nichts genutzt. Auf Twitter hagelte es aufgeregte Kommentare, und indigene Bolivianerinnen erhoben schwere Vorwürfe. Mit ihrem „intellektuellen Geschwurbel“ verschleiere sie, dass ein Putsch stattgefunden habe, kommentierte eine Gruppe, die sich als „Warmis, Zomo, Frauen aus dem Süden, Frauen aus den Gebieten unserer Vorfahren“ zu erkennen gab.

Der bittere Geschmack kolonialer Eroberung

Sie hoben die Fortschritte hervor, die Morales indigenen Frauen gebracht habe, und fanden es übertrieben, den Ex-Präsidenten als „Oberpatriarchen“ darzustellen. Der weißen Feministin sprechen sie zwar nicht explizit ab, über die Situation in Bolivien urteilen zu dürfen, lassen aber in ihrer Einordnung keine Zweifel. Im Gegensatz zu ihr hätten sie den bitteren Geschmack kolonialer Eroberung erlebt, betonen sie. Sie seien besorgt darüber, dass Segatos Argumentation eine „schöne Tarnung, einen Euphemismus für den rassistischen Diskurs jener bietet, die ihr zuhören“.

Die Formulierung will den Vorwurf kaum vertuschen: Wer wie Segato „bipolares Denken“ infrage stellt, eigene Fehler benennt und nicht nur imperialistische Mächte für das Scheitern einer linken Regierung verantwortlich macht, wird zum Rassisten erklärt. Zumindest wenn sie oder er nicht indigen ist und nicht unter den Folgen kolonialer Regime in biologisch vorgestellter Kontinuität zu leiden hatte. Konsequent weitergedacht, macht das jede kritische Debatte zwischen Indigenen und Nichtindigenen unmöglich.

Die Diskussion ist nicht neu und könnte mit anderem Hintergrund auch in einer Berliner Kneipe stattfinden. Erschreckend jedoch ist, wie hier identitätspolitische Ansätze auf plumpe antiimperialistische Thesen treffen. Anstatt Morales’ autokratisches Vorgehen als Teil des Problems zu erfassen, wird einzig der „weiße Klassenfeind“ für das Scheitern verantwortlich gemacht.

Unterstützung für Segato

Dabei steht außer Frage, wie der Publizist Raúl Zibechi analysierte, dass die Ultarechten vom vorhergehenden Aufstand bolivianischer sozialer Bewegungen profitierten. „Wenn uns lateinamerikanischen Linken noch Ethik und Würde geblieben ist, müssen wir über die Macht und über deren Missbrauch nachdenken“, schreibt der Uruguayer.

Auch in Bolivien selbst steht Segato mit ihrer Kritik nicht allein da. „Indigenas, Huren, Lesben, Verrückte, Mestizinnen, Fräuleins und Anti-Fräuleins“ aus zahlreichen Organisationen widersprechen den „Frauen aus dem Süden“: „Heute ist es so wichtig wie nie zuvor, zu analysieren, zu diskutieren und die einzelnen Stücke des Puzzles zusammenzusetzen.“

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Wolf-Dieter Vogel
Korrespondent
Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.
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4 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Wo Kritik angebracht ist, bedarf es keiner Legitimation, diese zu äußern zu dürfen. Dies gilt nach natürlich auch für Senora Segato.

    In Zeiten von Propagandakriegen ist es naiv, anzunehmen, es könnten öffentliche Debatten ohne 'verbale Störfeuer' geführt werden.

    Gerade zum 'Schutz' andersfarbiger Menschen ist natürlich der Griff in die Rassismuskiste eine zwar ausgelutschte, aber immer wieder gern benutzte Methode. Keiner möchte Rassist sein oder als solcher gesehen werden.

    Folglich eignet sich die Rassismus-Keule vortrefflich zur Ablenkung von vorgebrachten Einwürfen.

    Wenn jedoch eine Person verbalen (oder andersartigen) Müll absondert, ist dessen Hautfarbe, Religion, sexuelle Identität u.a.m. so relevant wie der Furz einer Lerche in Sibirien.



    (Ehe ich Ornithologen gegen mich aufbringe: sensiblere Gemüter bitte ich um Übersetzung in ihre eigene Sprache.)

  • Danke für den Artikel. Teile der internationalen/lateinamerikanischen Linken ist leider nicht in der Lage, Fehlentwicklungen hin zum Autoritarismus, Machtmissbaruch und Kooruption unter latenamerikanischen "linken" Regierungen, wie unter Evo Morales, Rafael Correa, Chavez/Maduro oder der Diktatur unter Ortega, zu analysieren und daraus Lehren zu ziehen. Morales hatte sich schon lange vor der letzten Wahl, an der er, trotz des Verbots durch die Konstitution und einer Volksabstimmung, illegal teilnahm, von seiner Basis entfremdet. Dies zeigte sich dann auch folgereichtig in der fehlenden Massenmobilisierung zu seiner Verteidigung, wie auch im Aufruf der COB an ihn, zurückzutreten. Morales hat der Rechten das politische Feld überlassen und ihnen die Machtübernahme auf dem Tablet serviert. Dies anzuerkennen, wäre der erste Schritte einer dialektisch denkenden Linken, die aus Fehlern lernen will, um gerade so die Machtübernahme durch die Rechte zu verhindern.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Rinaldo:

      Zustimmung.

  • Die Frage ist doch, ist durch diesen Aufstand das Land gerechter, demokratischer geworden? Wohl eher nicht. Sicherlich hat Morales Fehler gemacht, sich zu lange und zu fest an die Macht geklammert, nie eine geregelte Nachfolge organisiert. Das alles kann man ihm zu recht vorwerfen. Allerdings mit einem Aufstand einem rechts autoritären Putsch Tür und Tor zu öffnen ist schlichtweg töricht und wird den Großteil der Bevölkerung auf lange Sicht sehr viel mehr kosten als ein paar Jahre mehr unter einem Morales der seinen Zenit sicher lange überschritten hatte. Daher sehe ich keinen Grund die Vorkommnisse in Bolivien irgendwie zu verteidigen.