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Große Koalition – eine gute Sache?

JA!

Sieben Jahre rot-grüne Bastelarbeiten mit schwindsüchtigen Mehrheiten sind genug. Schwarz-Gelb aber wäre nur deren fragile Fortsetzung. Denn Merkel & Konsorten müssten gegen eine mehrheitlich linke Bevölkerung regieren. Und die können‘s ja auch nicht, ist CHRISTIAN FÜLLER überzeugt. Eine große Koalition aber könnte dringende Aufräumarbeiten erledigen – auf Zeit

Dass Rot-Grün nicht weitermachen kann, liegt auf der Hand. Die Regierung Schröder/Fischer ist, bei all ihren Leistungen – die gewiss in einigen Jahren, wenn der Ärger verflogen ist, ihre Würdigung finden werden –, insgesamt eine große Enttäuschung. Sie hat die Aufbruchstimmung nach Kohls Abgang verfrühstückt; Rot-Grün hat Regieren zu einem Suche-und-irre-Spiel herabgewürdigt; und sie hat – siehe den dürftigen Koalitionsvertrag 2002 – keinerlei Vision mehr mobilisieren können – bei sich nicht, geschweige denn bei den WählerInnen. Wozu also mit Rot-Grün weiterwursteln?

Schwarz-Gelb hat sich derweil – die rot-grüne Krisen- und Chaostruppe vor Augen – in einen Rausch der Selbstwirksamkeit geredet. Wer den jungschen Vorturnern von Angela Merkel zusieht und Einblick in ihre Entwürfe bekommt, kann sich das Lachen nicht verkneifen. Außer dem fortgesetzten Hinweis auf die Unfähigkeit bei den Schröders gibt es keinen einzigen Beleg für die Regierungsfähigkeit der Merkelianer; dafür umso mehr Indizien, dass es die Union selbst nicht kann. Jüngstes Beispiel: Eine Regierung, die alles auf die Karte Wirtschaft und Arbeit setzen will, wird von einer Spitzenkraft geleitet, die Brutto und Netto nicht unterscheiden kann – und ihre engsten Mitarbeiter ebenfalls nicht.

Vielleicht eine Petitesse? Oder nur ein Versprecher? Kann sein. Nur zeigen andere, grundlegende Fehlleistungen, dass es mit der Professionalität von Merkel, Stoiber und Westerwelle nicht weit her ist. Schwarz-Schwarz, die beiden Unionsschwestern, haben sich bei Steuern und Gesundheit in einen Pseudokompromiss verheddert. Wer soll den unauflösbaren Widerspruch zwischen Pauschalen und lohn-/einkommensabhängigen Beiträgen handhabbar machen? Wer die zweistelligen Milliardendifferenzen überbrücken? Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz oder Horst Seehofer jedenfalls nicht. Denn die besten Leute der Union haben die Regierungsbrücke bereits verlassen, ehe Merkel das Steuerrad in der Hand hält. Auch da ist Schwarz-Gelb Rot-Grün voraus, Schröders Ministerschwund setzte immerhin erst nach Amtsantritt ein.

Die FDP wird regierungstechnisch nicht sehr hilfreich sein. Zwar hat sie schon früh ein „Wechsellexikon“ zum Nachschauen bereitgelegt, nur entpuppt sich das 734-Seiten-Werk als eine zusammengeheftete Loseblattsammlung alter, sich widersprechender Beschlüsse. Kurzum: Das Vertrauen in die schwarz-gelben Künste ist kleiner als das Misstrauen gegen sie. Gerade ein Drittel der WählerInnen traut Angie und Guido solides Handwerk zu. Wie aber sollte ein solches Bündnis erfolgreich und konsensstiftend gegen eine mehrheitlich links wählende Bevölkerung regieren? Das ist die Zwickmühle der Wahlen: Mit der Linkspartei.PDS hat das linksliberale Lager eine Mehrheit; aber mit der Linkspartei kann, darf und will keiner.

Selbstverständlich ist dieser Parteienkram nicht alles. Es gibt zivilisatorisch-demokratische Vorbehalte gegen große Koalitionen. Nur sind die Verhältnisse heute eben ganz andere als zu Zeiten der ersten CDU-SPD-Regierung 1966 bis 1969. Damals baldowerten die Volksparteien ohne Wählervotum die Elefantenhochzeit aus – heute würde sie das Ergebnis des WählerInnenwillens sein. Damals hatte man mit Notstandsgesetzen und Mehrheitswahlrecht zwei vergiftete Pakete auf der Tagesordnung – heute ginge es um die Entzerrung der föderalen Zuständigkeiten zwischen Bundestag und Bundesrat. Und: 1968 hatte die eben erst entstandene Zivilgesellschaft Anlass, sich gegen ein Abrutschen der Republik ins Autoritäre zu wehren; Meinungs- und Demonstrationsfreiheit waren damals keineswegs garantiert. Heute zählt die Demo zum Hausgut selbst von Bauernverband, Handwerksinnung und Junger Union. Nicht mal die würden sich diese Freiheiten von einer großen Koalition einschränken lassen.

NEIN!

Mit dem Gezerre zwischen Bundestag und Bundesrat haben wir lange genug leben müssen. Zum Glück könnte damit nach der Wahl am 18. September Schluss sein – dank der Mehrheit der Unionsparteien in beiden Kammern. Das ermöglicht eine klare Politik. Oder kommt doch die große Koalition mit der SPD? Nein danke, sagt HANNES KOCH

Die Absage an eine große Koalition entspringt nicht der Vorliebe für Schwarz-Gelb. Doch die Lage ist, wie sie ist: Die rot-grüne Regierung ist an anhaltender ökonomischer Erfolglosigkeit gescheitert und hat nebenbei ein paar Fehler zu viel gemacht. Dieser Koalition droht nun, dass sie die Regierungsgewalt nach nur sieben Jahren wieder einbüßt. Schade. Aber was soll’s?

Deutschland steht nicht am Abgrund, wie Bundespräsident Horst Köhler meint. Trotzdem könnte die ein oder andere Reform etwas schneller voranschreiten. Die gegenseitige Blockade der beiden Lager – rot-grüne Mehrheit im Bundestag, schwarz-gelbe im Bundesrat – hat das in den vergangenen Jahren oft verhindert. Und das, obwohl eigentlich ein politischer Konsens vorhanden war, die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern neu zu organisieren, mindestens 20 Milliarden Euro überflüssiger Steuersubventionen in sinnvolle Investitionen umzuleiten und das Bildungswesen besser zu strukturieren.

Sollten Union und SPD eine große Koalition bilden, würde das Patt der beiden Kammern zwar aufgehoben, doch die klare Entscheidungsfindung dadurch nicht leichter. Denn der Interessengegensatz zwischen den beiden großen Parteien würde nur in die Regierung hineinverlagert. Innerhalb der großen Koalition spielte sich dann das ab, was bisher zwischen Bundestag und Bundesrat stattfand.

Schließlich handelt es sich bei Union und SPD nicht um Volksparteien, sondern um die Speerspitzen von Lobbyorganisationen. Jede Seite würde ihren kompletten Tross von Interessenvertretern mit in die Regierung bringen. Was für ein munteres Stühlerücken und Postenverteilen! Und die zielführenden Diskussionen: Die Ärzte- und Pharmalobby der CDU würde eine Gesundheitsreform durchsetzen, die die Kohlekumpel der SPD von der Kopfpauschale verschont. Der Gewerkschaftsflügel der SPD stimmte der Senkung der Unternehmensteuer nur unter der Bedingung zu, dass das Personal der Bundesagentur für Arbeit verdoppelt wird. Noch nie wären so viele unterschiedliche Verbände gleichzeitig in der Lage, so ungebremst und ungefiltert Einfluss auf die Regierung zu nehmen wie in einer großen Koalition 2005.

Die Wähler könnten sich sicher sein: Mit der Lösung der Probleme hätte die Politik nichts mehr zu tun. Es regierte ein gemeinsamer Nenner – so klein, dass er kaum messbar wäre. Außerdem muss man fragen, was die SPD in der Regierung soll, wenn die Union im Prinzip dasselbe Programm fährt? Steuersenkungen für Wohlhabende und Unternehmen, Hartz IV, Teilprivatisierung der Sozialversicherung, Stagnation der Löhne – das ökonomische Standardprogramm bekommen wir auch von den Schwarzen verabreicht. Nur eben ohne das endlose Gezerre, das beim „Jobgipfel“ im April diesen Jahres, der praktizierten großen Koalition, zu besichtigen war. Und auch aus linksliberaler Sicht muss die Lage nicht so düster erscheinen, wie SPD und Grüne sie gerne darstellen. Sollte die Union die Regierung übernehmen, könnte sie in vier Jahren am selben Punkt stehen, wie heute Rot-Grün.

Auf dem entscheidenden Feld, der Modernisierung von Ökonomie und Sozialpolitik, hat Schwarz-Gelb ebenso wenig ein Erfolg versprechendes Konzept zu bieten. Mehr Wachstum, zusätzliche Arbeitsplätze? Auch bei der Union wird das lediglich Glücksache sein. Als erneuerte Alternative zu einer abgewirtschafteten Angela Merkel könnte die SPD 2009 nur auftreten, wenn sie sich nicht weitere vier Jahre in einer großen Koalition verschleißt.

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