Ausstellung „Punk oder so ähnlich“: Als Wolfsburg wild war
Der Wolfsburger Kunstverein zeigt Punk- und andere Subkultur-Fotos von Werner Walczak aus den 1980er-Jahren.
In diesem psychologisch geistigen Nährboden ging also die Saat des Punk auch in Wolfsburg auf. Eine lokale Spielart dieser Protest- und Musikkultur fand sich um die Brüder Wolfgang und Max Müller, die mit ihren Gruppen Honkas, später Die Tödliche Doris, auftraten, allerdings in so biederem Ambiente wie dem Gemeindezentrum Fallersleben oder dem Antoniensaal im Wolfsburger Schloss.
Dort hatte Klaus Hoffmann das Sagen, in Personalunion Leiter des Kunstvereins und der Städtischen Galerie. Er unterstützte die Müller-Brüder, kaufte auch frühe künstlerische Arbeiten von Wolfgang Müller an, etwa seine „Spickzettel“ in einer Vitrine.
Später, als alle längst in Berlin waren, publizierte man gemeinsam, etwa das Kompendium „Geniale Dilletanten“ (das bewusst falsch wiedergegebene Zitat eines frühen Flyers zu einem Festival). Eine Wanderausstellung gleichen Namens zu Subkulturen der 1980er-Jahre tourte um 2015 rund um den Globus, war auch im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen.
„Werner Walczak – Punk oder so ähnlich“ und „‚V‘ für Verantwortung“: bis 2.2.20, Kunstverein Wolfsburg/Raum für Freunde. Werner Walczak sowie Wolfgang und Max Müller im Gespräch: 17.1.20, 19 Uhr.
Die Wolfsburger Auftritte der Müllers waren kollektive Ereignisse, zum Schluss machten wohl mehr Leute auf der Bühne mit als sich noch im Publikum befanden. Oft dabei war Werner Walczak, Jahrgang 1963, der seine Kindheit und Jugend in Wolfsburg verbrachte und mit der Kamera seiner Schwester die Szene der Stadt dokumentierte.
Auch abseits der Konzerte fand er seine Motive, etwa ein Mädchen, allerdings aus Hannover, mit weißer Ratte: Haustier und szenespezifisches Symbol, was heutigen Jugendlichen wohl kaum mehr bekannt sein dürfte. Aktionen in der damals gerade fertiggestellten Fußgängerzone Wolfsburg – der ganze Stolz der Kommune – setzen Spontaneistisches in Kontrast zum kommerziellen Biedersinn.
Rund 500 Fotografien, fast ausschließlich in Schwarz-Weiß, hat Walczak damals gemacht, etwa 30 Abzüge werden nun erstmals, zu Themenblöcken gegliedert, im Raum für Freunde des Kunstvereins Wolfsburg gezeigt. Die Eröffnung muss ein Post-Szene-Treffen gewesen sein, denn viele der alten Protagonist*innen hatten Wind vom Event bekommen. Im Januar gibt es eine Fortsetzung, dann trifft sich Werner Walczak, seit langen Jahren ebenfalls in Berlin ansässig, mit den Müller-Brüdern zum Gesprächsabend im Kunstverein.
Kaum größer könnte der Kontrast dieser Bilder zur Hauptausstellung im Kunstverein nicht sein, die sich mit Sphären der Verantwortung in Zeiten digitaler, unendlich vernetzter Systeme beschäftigt, in denen persönliche und moralische Rechenschaft zu erodieren scheint. Die Selbstoptimierung ersetzt kollektive Bewegungen, ein Aufbegehren wie die No-future-Haltung des Punk erscheint fast historisch, unvorstellbar.
Als Symbol heutiger Dominanzkultur lässt Stefan Hurtig ein Smartphone sich auf einem Spiegelsockel drehen, ein allgegenwärtiges Gadget, das unentwegt einschlägige Coaching-Parolen zu Glück, Moral und Gemeinsamkeit auf den User einhämmert. Und ja: Wolfsburg ist vom Ministerium des Inneren, für Bau und Heimat, zur Smart City auserkoren, der Kunstverein bleibt auch 2020 thematisch am Ball.
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