Ausstellung im Münchner Lenbachhaus: Strapazierfähigkeit der Frauen
Nylonstrumpfhosen als Symbol weiblicher Unterdrückung: Senga Nengudis „Ausstellung Topologien“ vereint Performance- und Installationskunst.
Ausgerechnet Nylons. Strumpfhosen, sexuell aufgeladene feminine Accessoires, inspirieren Senga Nengudi. Ganz selbstverständlich bedient sie sich der Ambivalenz der transparenten zweiten Haut, die sich wie ein Hauch um die Beine seiner Trägerin schmiegt. Wie ein unsichtbarer, ein vorschriftsmäßiger Panzer. Nackte Haut war – so arg lang ist das gar nicht her – verpönt. Strumpfhosen sind in ihren Augen ein Symbol der Unterdrückung und unbedingten Anpassung.
Die eleganten Fesseln sind jedoch dehnbar bis auf das Äußerste. Sie sind, ähnlich wie ein Frauenkörper während der Schwangerschaft, extrem belastbar. Senga Nengudi sagt aber auch: „Die weibliche Seele kann sich dehnen, dehnen, dehnen und danach wieder zurück in ihre ursprüngliche Form kommen.“
Diese Analogie von physischer und psychischer Strapazierfähigkeit brachte sie Ende der siebziger Jahre zu ihrer Serie R.S.V.P., aus der eine Reihe Skulpturen derzeit im Lenbachhaus in München ausgestellt sind. Dunkelbraune, getragene, mit Gewichten aus Sand oder Stein beschwerte, aufs Äußerste gelängte Strumpfhosen, mal verdreht, mal miteinander verknüpft, manchmal wie ein Strahlenkranz an der Wand befestigt oder in der Decke verankert, oft mit rätselhaften Objekten bestückt.
Es gibt den Schlauch eines Autoreifens, aus dem mit Strumpfhosen bespannte Kugeln wie Brüste oder Hoden quellen. Allesamt sind sie zu überdimensional spinnwebfeinen, insektengleichen Abstraktionen arrangiert, erinnern an Ritualgerät, an Abwehrzauber vielleicht. Ihr Fetischcharakter ist unverkennbar. Mit dem Titel – „Um Antwort wird gebeten“, wie es auf formellen Einladungen steht – ist der Betrachter eingeladen, sich einzulassen, Teilhabe zu erproben. Allerdings geht es mitnichten um ein Zwiegespräch, vielmehr darum, die überwiegend sexualisierten Konnotationen auszuhalten.
Tentakelartige Nylonschläuche
Diese Objekte stehen, so eindrucksvoll sie auch sind, nicht für sich, sie sind Teil einer Verknüpfung von Tanz und Skulptur. Deutlich wird das in Videos aus den siebziger und neunziger Jahren, in denen Senga Nengudi beziehungsweise die Performance-Künstlerin Maren Hassinger sich sozusagen im Energietransfer mit einer solchen Skulptur bewegen. Sie dehnen die tentakelartigen Nylonschläuche, zerren und verwirbeln sie, verneigen und winden sich, fordern und gehen an die Grenzen von deren Belastbarkeit, geben nach.
Die Ausstellung "Topologien" läuft noch bis 19. Januar im Lenbachhaus, München. Öffnungszeiten: Di.–Fr. 8.30–10 Uhr. Katalog, Hirmer Verlag, München, 336 Seiten, 245 Abbildungen, 39,90 Euro
Senga Nengudi nennt die Skulpturen „stationäre Performances“. Sie sind für den Auftritt gebaut, für den flüchtigen performativen Gebrauch, naturgemäß haben nicht viele überlebt. Es war auch nie das Anliegen der Künstlerin, Werke für die Ewigkeit zu schaffen. Vieles hat, wenn überhaupt, nur in Dokumentationen überlebt.
Die 1943 in Chicago geborene Künstlerin wuchs in Los Angeles in einem Klima von etablierter Segregation und aufkeimendem Widerstand auf. Die Ermordung von Malcolm X, die Watts Rebellion in Los Angeles und die Gründung der Black Panther Party brachten 1965 eine Zäsur, die Selbstbewusstsein und Zusammenhalt stärkte, dem internalisierten Rassismus freilich nicht ausreichend Paroli bieten konnte.
Nach dem Kunst- und Tanzstudium lebte und arbeitete sie in Spanish Harlem, New York, wo sie übergroße an Feuertreppen befestigte „Seelen“, Figurensilhouetten aus Flaggenstoff, über den Straßenschluchten im Wind flattern ließ. Ihre „Water Compositions“ jener Jahre, mit gefärbtem Wasser gefüllte, von Tauen gehaltene Vinylbehälter, waren in jeder Hinsicht lyrisch-zarte Gebilde, die nicht überdauerten. Einige davon hat sie nun neu gestaltet.
Formalistische Improvisationen
Senga Nengudi, die bis heute lehrt, war zwar immer in der Szene des Black Arts Movement verankert – Mitte der siebziger Jahre kehrte sie nach L.A. zurück und engagierte sich im Künstlerkreis des Studio Z mit David Hammons, ihrem Atelierkollegen, mit Ulysses Jenkins, Maren Hassinger und etlichen anderen –, doch ist ihr politischer Impetus in ihrer Kunst weit weniger ausgeprägt als ihr Interesse an formalistischen Improvisationen, ihre Materialphilosophie. Politische beziehungsweise dezidiert schwarze Kunst, das war nicht in erster Linie ihr Ansatz.
So brachte sie sich um frühe Meriten in Zeiten, als der Kampfkunst die Herzen zuflogen. Einflüsse der hochaktuellen Fluxusbewegung, des Kabuki-Theaters, das sie ebenso wie Werke der Künstlervereinigung Gutai während eines Studienaufenthalts in Tokio kennenlernte, afrikanische Rituale, afroamerikanische Prägung, feministische Positionen verknüpfte sie stets mit streng gefiltertem Gestaltungswillen – und sanfter Ironie. In einer Kammer, deren Wände wild durcheinander mit Zeitungsartikeln gepflastert sind, die nur gute Nachrichten verbreiten, ist goldgesprüht in Riesenlettern das Wort „Bulimia“ zu lesen.
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