Zweisprachiges Theater: Wahre Kunst geht durch den Magen
Mit ihrer Koproduktion „Coriolanus“ entfalten die Bremer Shakespeare Company und das Tiyatr BeReZe ein rasantes Spiel um Macht und Krieg.
Das hat er zuvor, in seinem Inneren hockend, von rechts auf die Bühne des Theaters am Leibnizplatz geschoben. Von oben herab blitzen nun seine von ultradicken Brillengläsern verfensterten Augen das empörte Volk an. Und seine Stimme weist es in die Schranken.
Er nutzt dafür ein krächzendes und lächerlich-fisteliges Falsett, fast nur ein Stimmchen, aber doch voll herrischer Gewalt: „What works?“, erkundigt er sich bei Shakespeare an dieser Stelle der Römertragödie „Coriolanus“, die am Freitag Premiere feierte. Und er fragt, wohin sie denn mit Stangen und Knüppeln ziehen, also „with bats and clubs“, wie es im englischen Original heißt.
Verstehen ohne Worte
Uyanıksoy spricht aber Türkisch: Klar, wer das kann, versteht's. Aber das Tolle an dieser wirklich sensationellen zweisprachigen Koproduktion von bremer shakespeare company und dem Tiyatr BeReZe aus Istanbul ist: Wer das nicht kann, selbst wer nicht mal teşekkürler, lütfen, güle, güle zu deuten vermag, kapiert's eben auch.
Denn der Inhalt der Rede verrät sich in der Reaktion der Volksmasse: Simon Elias und Elif Temuçin entfalten genug Präsenz für einen ganzen Mob. Und um die Intention der Rede zu erfassen, reicht es, ihrem Klang zu lauschen: Widerspruch ist nicht geduldet, auch wenn man keine Ahnung hat, was Uyanıksoy da genau sagt, bis er schließlich neben das Holzgestell tritt und zu erzählen beginnt: „Es war einmal ein Aufstand aller Körperteile gegen den Magen“.
Für diese demagogische Lehrerzählung – die Gliedmaßen drohen für eine fairere Nahrungverteilung zu streiken – hat Rike Schimitschek dem Menenius ein grandios-groteskes Kostüm geschneidert: Ein anatomisches Modell mit frei entnehmbaren Organen, die Uyanıksoy so souverän einsetzt, dass sie das Volk vor lauter Staunen seinen Hunger vergessen lassen und den Unmut darüber, dass zugleich der Senat so gut genährt ist.
Wie eine Figur Molière's
Bis sie schließlich bereitwillig, ja begierig die Verteidigung des Magens annehmen, der in dieser Parabel für den Senat steht. Diese Pointe und Essenz der Erzählung verabreicht Menenius den Plebeijern in einer neuerlichen Deutsch-Injektion: „Ja, ich nehme das ganze Essen, aber ich esse es für euch!'‘, kreischt er heraus, als könnte er sich nur mit Mühe das Lachen verkneifen.
Zynisch, wie eine Molière-Figur hat Regisseur Doğu Yaşar Akal den Menenius aufgefasst, was nahe liegt, wenn man einen Komödianten wie Uyanıksoy in Szene setzen kann: Er wird zur heimlichen Hauptfigur der Aufführung.
„Coriolanus“ ist Shakespeares letztes Drama. Es hat, zumal in Phasen akuter Tyrannei, eine gewisse Aufführungsgeschichte, ist aber doch ein eher selten gespieltes geblieben. Es spielt zwischen 493 und 488 v.u.Z.: In Rom wird damals das Amt der Tribunen geschaffen. Und es wird mit dem italischen Stamm der Volsker gekämpft: Der Held, der Patrizier Caius Martius, bekommt im Verlauf des Stücks erst den Namen Coriolanus, weil er in der feindlichen Stadt Corioli alleine eingeschlossen, ein Blutbad unter den Feinden anrichtet und quasi im Alleingang den Ort erobert.
Seine politische Karriere in Rom knüpft an dem Kriegsruhm an und scheitert, weil er das Volk verachet – und vom Volk ausgespielt wird. Als er dann überläuft und nach einem erfolgreichen Feldzug gegen Rom einen Frieden aushandelt, wird das vom Obervolsker als Verrat gedeutet. Er bringt ihn um. Und Ende.
Die schreckliche Mutter
„Coriolanus“ auf den Spielplan zu setzen ist nicht ohne Risiko: Das Drama ist ziemlich unbekannt. Und bei denen, die es kennen, ist es oft wenig beliebt. Vielleicht auch, weil die Titelfigur wenig vielschichtig und fast naiv wirkt: So brutal und cholerisch, so ratlos ist dieser Krafttyp auch, und das bringt Markus Seuss sehr schön zur Geltung: Völlig aufgeschmissen ist er, weil er zu seiner schrecklichen Mutter nicht zurückkehren kann.
Mit „eiserner Milch“, habe diese Volumnia den kleinen Caius gesäugt, schreibt Heinrich Heine. Das trifft es immer noch am besten: Mit einem schön ausgespieltem gymnastischen Solo eröffnet Svea Meiken Auerbach den Abend. Wie ein konstruktives und funktionales Element wirkt sie in jenem großen Gitter, das auf Heige Neugebauers minimalistischer Bühne Rom ist. Hier ertüchtigt sich, vor blutrot-ausgeleuchtetem Hintergrund eine Frau, die wehrhaft ist und frei von aller Menschlichkeit.
Nein, um diesen furchteinflößenden Eindruck zu erzeugen, bedarf es keiner Sprache. Die Figurenzeichnung aus Shakespeares Drama teilt sich in der Choreografie mit. Das Experiment, das eine zweisprachige Produktion bedeutet, nutzen BSC und BeReZe, um zu dem vorzustoßen, was Schauspiel wirklich ausmacht: Den Raum erobern, besetzen, gestalten. Und Text nicht aufsagen – sondern leben. Das ist große Kunst.
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