Nach Urteil zu Unabhängigkeitspolitikern: Dutzende Verletzte bei Protesten
In Katalonien zeigen die Unabhängigkeitsbefürworter ihren Unmut bei Demos, Sit-ins und Besetzungen. Dabei kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen.
Allein in Barcelona kamen nach Polizeiangaben 40.000 zusammen, um ihrem Unmut über die Verurteilung von neun Unabhängigkeitspolitikern und -aktivisten zu 9 bis 13 Jahren Haft wegen Aufstands in Zusammenhang mit dem verbotenen Unabhängigkeitsreferendum vor zwei Jahren Ausdruck zu verleihen.
Doch gegen Ende der Kundgebungen geriet das Ganze außer Kontrolle. Kleine Gruppen versuchten bei allen Kundgebungen die Polizeiabsperrungen der katalanischen Mossos d'Esquadra und der spanischen Nationalpolizei zu durchbrechen. Diese rückten mit Schlagstöcken vor.
Zu den heftigsten Auseinandersetzungen kam es dabei in der katalanischen Hauptstadt Barcelona. Dort steckten die Demonstranten Mülleimer und Abfall in Brand, um die Polizei auf Distanz zu halten. Es war das erste Mal, dass eine von der Bürgerbewegung Katalanische Nationalversammlung (ANC) organisierte Mobilisierung mit Gewalt endete. Die Bilanz: dutzende Verletzte und mindestens 50 Festnahmen.
Straßen und Schienen besetzt
Bereits am Vortag war es am Flughafen von Barcelona zu schweren Polizeieinsätzen gegen eine Menschenmenge gekommen, die die Abflughalle besetzten. Dabei verlor ein Demonstrant durch ein Gummigeschoss ein Auge, ein anderer Teile seiner Hoden.
Sowohl am Montag als auch am Dienstag hatten kleinere Gruppen überall in der nordostspanischen Region Straßen und Schienen besetzt, um den Verkehr zu unterbinden. Die Hochgeschwindigkeitsstraße ins benachbarte Frankreich war über einen Tag unterbrochen, nachdem Demonstranten auf den Gleisen eine brennende Barrikade errichtet hatten. Kaum repariert, musste der Zugverkehr wieder eingestellt werden. Sabotage an den Glasfiberkabeln, heißt es.
Am heutigen Mittwoch begann ein dreitägiger „Marsch für die Freiheit“. Fünf Marschsäulen ziehen nach Barcelona. Das beeinträchtigt den Verkehr in Katalonien zusätzlich. Die „Kampagne des zivilen Ungehorsams“, wie die „Komitees zur Verteidigung der Republik“ (CDR) die Blockaden und Kleinaktionen überall im Lande getauft haben, wird wohl auch in den nächsten Tagen anhalten. Die CDR riefen über die sozialen Netzwerke die katalanische Regierung auf, mit dem „spanischen Staat zu brechen“.
Für Mittwoch hat der katalanische Ministerpräsident Quim Torra seinen Vize, seine Regierungssprecherin und seinen Innenminister zu einer dringenden Sitzung gerufen, um die Lage zu beurteilen. Am Donnerstag tritt das katalanische Parlament zusammen, um eine Einschätzung zum Urteil gegen die neun Unabhängigkeitspolitiker und – aktivisten abzugeben, und sich über die Situation zu beraten, wie mit der Situation umgegangen werden soll.
Regierungschef berät sich heute mit Fraktionen
Die Regierung in Madrid unter dem Sozialisten Pedro Sánchez veröffentlichte Dienstagabend kurz vor Mitternacht eine Erklärung. Die Proteste gegen das Urteil seien nicht die Aktionen „einer friedlichen Bürgerbewegung“, sondern werde „von Gruppen koordiniert, die Gewalt auf der Straße einsetzen, um das Zusammenleben in Katalonien zu beenden“.
Sánchez will sich noch am Mittwoch mit den Chefs der konservativen Partido Popular, dem der rechtsliberalen Ciudadanos und der linksalternativen Unidas Podemos treffen, um über Katalonien zu beraten. Immer wieder ist die Rede von der Anwendung des „nationalen Sicherheitsgesetzes“. Dies würde Madrid direkt die Hoheit über die katalanischen Polizeikräfte geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Ausschreitungen in Amsterdam
Ein hitziges Nachspiel
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
SPD nach Ampel-Aus
Alles auf Olaf