Im Haifischbecken: Nach 35 Jahren auf die Straße
Im Wedding droht eine Zwangsräumung. Mieter Daniel hatte wegen nicht beseitigter Mängel die Mietzahlung verweigert.
Die Hilferufe mehren sich: Ein Café hier, ein Buchladen da, ein Kindergarten oder gleich ein ganzes Mietshaus – überall in der Stadt fürchten MieterInnen und Gewerbetreibende um ihre Existenz. Sie werden hinausgentrifiziert, gekündigt, zwangsgeräumt. Und immer mehr von ihnen wehren sich. Wir erzählen ihre Geschichten. Auch betroffen? haifischbecken@taz.de
Der kleine Fisch: Seit über 35 Jahren wohnt Daniel, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, in seiner Wohnung in der Transvaalstraße 20 im Wedding. Jetzt steht er kurz vor der Zwangsräumung und damit vor der Obdachlosigkeit. Am Mittwoch um sieben Uhr will die Gerichtsvollzieherin sein Türschloss austauschen lassen.
Als Daniel 1986 die Wohnung von seinem Bruder übernahm, zahlte er umgerechnet 58 Euro Miete. Bis 2005 wurde sie auf 205 Euro erhöht. „Das war also alles noch ganz human damals“, erzählt er. Doch dann wurden die alten Bleirohre nicht ausgetauscht, die Öfen gingen kaputt, ebenso die Toilettenspülung, Trinkwasser musste Daniel mit einem Kanister aus seinem Garten holen. Weil sich der Verwalter um nichts kümmerte, stellte Daniel seine Mietzahlungen ein. 2013 erkrankte er an einem seltenen Krebs, der möglicherweise durch das Blei in den Rohren ausgelöst wurde. „Doch das zu beweisen ist schwer und teuer.“
2016 hing ein Zettel an seiner Tür: Seine Wohnung solle verkauft werden, er habe drei Wochen Zeit seine Wohnung zu verlassen. „Daraufhin bin ich natürlich nicht gegangen“, sagt Daniel. Der Vermieter wollte drei Jahre nicht bezahlte Miete zurückbekommen. Daniel, der Arbeitslosengeld II bekommt, verwies an das Jobcenter, das die hohen Kosten aber nicht zahlen wollte. Vor zwei Jahren wurde die Räumungsklage erhoben, eine Räumung im Mai konnte Daniel noch hinauszögern. Während in Frankreich im Oktober die Winterpause für Zwangsräumungen beginnt, soll Daniel nun auf die Straße gesetzt werden.
Der große Fisch: Der Münchener Privateigentümer Dieter Zunker lässt sich nur selten im Haus blicken. Schon früher soll er ein Interesse daran gehabt haben, Nachbarn aus ihren Wohnungen zu bekommen. Daniel vermutet, dass seine Wohnung mit der seiner Nachbarn zusammengelegt und dann modernisiert und verkauft werden soll. „Das Übliche halt“, sagt er.
Wer frisst hier wen? Daniel kämpft – und das Bündnis Zwangsräumung verhindern mit ihm. Aufgerufen wird dazu, sich ab 6 Uhr der Gerichtsvollzieherin in den Weg zu stellen.
Ergänzung: Die Zwangsräumung wurde verschoben. Es gibt einen Räumungsaufschub bis zum 30. November.
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