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Prozess gegen KZ-WachmannAngeklagter sagt aus

Der Angeklagte im Prozess um Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen rechtfertigte sich am dritten Prozesstag. Er sei nicht freiwillig Wachmann geworden.

Der Angeklagte Bruno D. auf dem Weg zum Prozess Foto: dpa

Hamburg taz | Schwarzer Hut, dunkle Sonnenbrille und eine aufgeklappte rote Aktenmappe vor dem Gesicht: So lässt sich der ehemalige SS-Wachmann Bruno D. auch am dritten Verhandlungstag von einem Justizbeamten im Rollstuhl in den Verhandlungssaal im Hamburger Landgericht schieben. Der heute 93-Jährige ist wegen der Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen im Konzentrationslager Stutthof angeklagt und will keine Fotos von sich in den Medien sehen.

Darum wählte er an bisher jedem Tag diese Verhüllung. Der dritte Prozesstag ist dennoch ein besonderer Verhandlungstag: Im Saal 300 ließ Bruno D. sich erstmals in diesem Verfahren zu den Vorwürfen gegen ihn ein.

Es ist kurz nach elf Uhr als D. eine von ihm selbst verfasste knappe Erklärung vorliest. Zu dem Wachdienst im KZ Stutthof sei er als 17-Jähriger gezwungen worden, las er mit sehr leiser, aber auch fester Stimme vor. Die Blicke der Prozessbeteiligten der nicht-öffentlichen Sitzung waren alle auf den Beschuldigten gerichtet.

Es sei ihm „ein großes Bedürfnis zu sagen“, dass es ihm sehr leid tue. „Es tut mir auch leid, dass ich dort den Wehrdienst ableisten musste“. Die „Bilder des Elends und Schreckens haben mich mein Leben lang verfolgt“, liest er vor. Beim Vortragen schaut der Rentner mit grauem Haar und Schnauzbart zur vorsitzenden Richterin der Jugendstrafkammer, Anne Meyer-Göring, die über den Fall entscheiden muss. Der Beschuldigte war zur Tatzeit nicht volljährig gewesen. Vom Leid sprach er auch später bei den Nachfragen der Richterin immer wieder – und meinte vor allem sich selbst.

Kein verstockter Angeklagter

Bei den Fragen und Antworten der Richterin beschwert Bruno D. sich, dass der Prozess seinen Lebensabend zerstöre: „So habe ich mir das Alter nicht vorgestellt“, sagt er. Die Richterin fasst nach, ob er nachempfinden könne, wie das Leben für die Überlebenden des Lagers verlaufen wäre; dass die Vergangenheit sie nicht losließe; dass die Betroffenen hofften, dass die Vergangenheit nicht vergessen werde und sich immer fragten, „was sie getan haben“. Nur zögerlich antwortet Bruno D. und wiederholt, was er zuvor schon sagte: „Die Frage kann ich verstehen, ich bin aber gezwungen worden.“

Auf der Anklagebank sitzt aber kein verstockter Angeklagter. Allein die Tatsache, dass der Beschuldigte sich überhaupt einlässt, erst bei der Polizei – auch schon 1982 – und nun vor Gericht, unterscheidet ihn von den meisten der ohnehin wenigen anderen Angeklagten in SS- und Wehrmachtsprozessen.

Bruno D. schildert, wie die vielen nackten Frauenleichen morgens aus den Baracken geholt und auf Wagen geworfen wurden, um ins Krematorium gefahren und dort verbrannt zu werden.

Gedanken? Wie soll man sich da viele Gedanken machen, sie taten mir furchtbar leid

Bruno D., ehemaliger KZ-Wachmann

Auf einem Wachtturm gleich neben dem Krematorium hielt er damals Wache. Es habe ihn beschäftigt, wie ausgemergelt die Menschen aussahen. Er habe gewusst, dass dort Menschen waren, die gar nichts Kriminelles getan hatten. „Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?“, fragt die Richterin. „Gedanken? Wie soll man sich da viele Gedanken machen, sie taten mir furchtbar leid.“

Die Richterin fasst nach: Konnte man sehen, ob die Menschen erschossen wurden? Konnten Sie auf dem Wachturm riechen, dass dort Menschen verbrannt wurden? „Das habe ich nicht gesehen“, sagt Bruno D. – und dass es wohl nach Verbrennung gerochen haben müsse.

Es geht auch um die symbolische Wirkung

Die Staatsanwaltschaft hält Bruno D. vor, vom August 1944 bis zum April 1945 als Wachmann im KZ Stutthof „vorsätzlich anderen zur Begehung heimtückischer und grausamer Morde Hilfe geleistet“ zu haben. Auf Nachfragen der Richterin führt Bruno D. am Montag im Prozess aus, dass er weder zur „Hitler-Jugend“ hatte gehen noch Soldat hatte werden wollen.

Er sei aber eingezogen worden und aufgrund einer Untauglichkeit sei er nicht an die Front geschickt, sondern in sechs Wochen zum Wachmann ausgebildet worden. Als er schildert, wie er bei seiner Musterung nackt vor einem Militärarzt gestanden habe, sagt er: „So nackt wie die Häftlinge.“

Auch hier fasst die Richterin nach: Ob er verstehe, dass dieser Vergleich völlig unpassend und eine „Ohrfeige“ für Überlebende sei? „Es ist was anderes, auf jeden Fall. (…) Das darf man eigentlich nicht so vergleichen“, räumt der Angeklagte ein. Er betont, dass er kein Nationalsozialist gewesen sei. Bei einem Außeneinsatz habe er zwei Inhaftierten, die Arbeitsdienst leisten mussten, erlaubt, Fleisch von einem Pferdekadaver ins Lager zu schmuggeln.

Für Mehmet Gürcan Daimagüler, dem Rechtsbeistand einer 93-jährigen Nebenklägerin, geht es in diesem Verfahren nicht nur um die Taten von Bruno D., sondern auch um die symbolische Wirkung. „Mir tut der Angeklagte leid, aber mehr Mitgefühl habe ich für meine Mandantin“, sagt er. Hier sitze aber gewissermaßen auch der Staat auf der Anklagebank, sagt Daimagüler: wegen Strafvereitelung im Amt über Jahrzehnte. Am Freitag geht der Prozess weiter.

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5 Kommentare

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  • Ja, wir müssten übers Sterben reden. Nicht nur mit Andrea Krull und anderen Frauen, die an Eierstockkrebs leiden. Auch mit diversen Männer. Über ihr eigenes Sterben und über das Sterben deren, die (auch) sie auf dem Gewissen haben. Wir tun es leider nicht. Wer erfahren will, wieso das so ist, der sollte sich den Text von Andreas Speit auf der Zunge zergehen lassen.

    Da wird ein 93-jähriger, der zum Zeitpunkt eines von anderen begangen Verbrechens 17 Jahre alt war, von Leuten, die sich nie selber beweisen mussten, vor Gericht gestellt. Weil er den Horror nicht verhindert hat damals. Dass der Angeklagte vor einem Jugendrichter steht, hilft ihm gar nicht. Denn wichtiger, als die Frage nach dem Opfer, ist hierzulande immer noch die Frage nach der Schuld. Mit einem Opfer müsste man sich solidarisieren. Täter kann man bestrafen. Das scheint irgendwie männlicher zu sein. Könnte ja sonst auch jemand sagen, man hätte sich nicht hinreichend bemüht.

    Nein, es ergibt keinen Sinn für alte weiße Männer zu sagen, dass sie sich als Opfer gefühlt und deswegen andere zu Opfern gemacht haben. Niemand hat Mitleid mit ihnen. Denn alle wollen sie verurteilen. Um zu beweisen, was gar nicht zu beweisen ist: dass sie selbst anders gehandelt hätten. Auch in der autoritär geprägten Vita der Ankläger ist Strafe wichtiger als Empathie, Distanz wichtiger als Wahrheitsfindung.

    Sie wählen die Verhüllung, die alten weißen Männer mit den schwarzen Seelen voll Selbstmitleid und Hass. Sie wollen den Schein aufrecht erhalten, auch wenn er längst schon nicht mehr glaubhaft ist. Denn alles andere wäre noch schlimmer. Ein Schuldeingeständnis würde niemandem helfen. Richter sind ja keine Therapeuten. Sie sollen abschrecken, mehr nicht.

    Das macht: Opfer sind die einstigen Täter nun für andere. Für die, die gegen „das System“ was haben. Nicht gegen das alte, das Millionen Unschuldige auf dem Gewissen hat. Nur gegen das neue, das bislang davon gekommen ist dank der Gnade seiner späteren Geburt.

  • Wer nicht von dreitausend Jahren



    sich weiß Rechenschaft zu geben,



    bleib im Dunkeln unerfahren,



    mag von Tag zu Tage leben.

    Goethe

  • Wer verhindern will, dass sich Vergangenes wiederholt, muss sich mit ihr beschäftigen, muss sie aufarbeiten. Das heißt, die (heutige) Gesellschaft muss sich damit auseinander setzen, wie es damals dazu gekommen ist, dass Hitler und sein Terrorregime, nein, das ist zu unpersönlich, und seine Terrorhelfer an die Macht kommen konnte, und warum, von Einzelnen abgesehen, niemand aus der Gesellschaft und auch niemand aus dem Ausland (Staaten Frankreich, England, US-Amerika) versucht hat, diesen sich immer mehr abzeichnenden Wahnsinn zu stoppen.

    Welche Gründe gab es damals, die mitgeholfen haben, den Nazis den Weg an die uneingeschränkte Macht zu ebnen.

    Dieses Wissen darum könnte und kann heute und morgen helfen, eine Wiederholung unmöglich zu machen (dies geht auch über den selbstverpfichtenden Satz "Nie wieder!" hinaus, denn das "Nie wieder" ist ebenso wie der Satz "Die ... haben mir Leid getan" schnell gesagt, aber schwer umzusetzen).

    Und es ist offensichtlich (... ein Fliegenschiß in der eintausendjährigen Geschichte ...), dass das menschenfeindliche Denken ist nach wie vor, und in letzter Zeit vermehrt, da und entfaltet seine Wirkung.

    • @Der Allgäuer:

      Zitat: „Welche Gründe gab es damals, die mitgeholfen haben, den Nazis den Weg an die uneingeschränkte Macht zu ebnen.“

      Gründe? Es gab keine Gründe. Es gab nur einen einzigen Grund. Den allerdings in Millionen Varianten. Der Grund heißt Angst. Es war die Angst des autoritär sozialisierten Menschen vor der Macht der Stärkeren, die den Nazis den Weg an die Macht geebnet und sie nachher an der macht gehalten hat. Denn zu der Angst von einst, die aggressiv gemacht hat gegen andere, ist später noch die Angst vor Strafe gekommen. Man ist ja schließlich nachher kaum umhin gekommen zu sehen, dass man falsch gelegen hat.

      Wissen Sie, werter ALLGÄUER, was mich am meisten wurmt? 44 Jahre nach Hannah Arendt verstehen meinungstarke, faktenfixierte Leute wie Sie unter Auseinandersetzung immer noch eine Art Krieg, ein Kampf auf Leben und Tod, den nur einer gewinnen kann und der andere zwingend verlieren muss, damit endlich „a Rua is“.

      Die Banalität des Bösen wird einfach nicht gesehen. Immer noch nicht. Nein, es ist nicht unbedingt „schnell gesagt“, dieses "Die ... haben mir Leid getan." Nicht für die, die damals dabei gewesen sind und still gehalten haben. Denn es ist mindestens so schwer gedacht, wie seine Konsequenz umzusetzen ist, immer schon umzusetzen war. Es gäbe sonst gar keine Gerichtsverhandlungen.

      Aber gut, wer ein echter Held sein will, der muss halt mindestens mit einem Teufel gekämpft haben – und überlebt. Nein, so werden „wir“ den Wahnsinn niemals stoppen, werter ALLGÄUER. So werden „wir“ den Wahnsinn nur vererben. Was wollen Sie eigentlich dagegen tun?

      • @mowgli:

        Ihre Antwort macht mich irgendwie orientierungslos, weil ich nicht verstehe, was Sie mir (und uns als Leser*innen) damit im Kern sagen möchten.

        Ja, natürlich vor dem Hintergrund und auf dem Fundament einer autoritären Erziehung und eines auf Autoritäten ausgerichteten Lebens ("Der Untertan") spielt(e) die Angst eine schreckliche Rolle. - Reicht dies als Erklärung aus?

        Ich weiss es nicht, habe jedoch eine Blockade in mir, dies zu glauben. Denn: War es in anderen europäischen Staaten gravierend und wesentlich anders?

        Auffallend ist doch, dass es in anderen Ländern durchaus auch Faschisten und faschistische Organisationen gab - aber keinen so mörderischen Nationalsozialismus.

        Schade, dass ich Sie unnd Ihre (Mail-) Adresse nicht kenne, ich würde mir davon viel Lehrreiches für mich versprechen.