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Vom Winde verweht

Der Ausbau der Windenergie ist mittlerweile fast zum Erliegen gekommen. Einer der Gründe sind Klagen von Anwohner*innen. Die Windradbetreiber der ersten Stunde in der Nähe von Bremen hatten damals ganz andere Sorgen 44,45

Nicht mit uns: Demonstran­tinnen und Demonstranten in Schwerin zeigen, was sie von der Windkraft halten Foto: Jens Büttner/dpa

Von Marco Carini

Der Ausbau der Windenergie ist ins Stocken geraten. Im ersten Halbjahr 2019 wurden nach Zahlen des Bundesverbandes Windenergie in Deutschland so wenige Windräder gebaut wie seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 nicht mehr. Mickrige 86 sind es gewesen, ein Rückgang von 82 Prozent im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum. Abzüglich der zurückgebauten Windräder schrumpft der Netto-Zubau sogar auf 35 Anlagen zusammen – auch das ein historischer Tiefpunkt.

Entsprechend schlecht sieht es mit der Windkraft-Wirtschaft aus. Die Branche hat 2017 – neuere Zahlen gibt es nicht – insgesamt 26.000 Stellen abgebaut. Laut Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken sank die Zahl der Beschäftigten binnen zwölf Monaten von 161.000 auf 135.000. „Hier sind mehr Arbeitsplätze abgebaut worden als insgesamt in der Braunkohle existieren“, kommentierte der energiepolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken, Lorenz Gösta Beutin, die Zahlen.

Und die Zukunft sieht nicht besser aus: „Aufgrund der rückläufigen Installationszahlen ist mit weiterem Arbeitsplatzabbau in der Branche zu rechnen“, heißt es auf der Homepage des Bundesverbandes Windenergie.

Betroffen von der Branchen-Erosion ist vor allem der Norden. So kündigte der Auricher Branchenriese und Marktführer Enercon 2018 den Abbau von 835 Arbeitsplätzen an, weil die Auftragsbücher leer waren. Bereits zwei Jahre zuvor war die in Itzehoe ansässige Prokon, die eigene Windparks betrieb, in die Insolvenz gerasselt. Sie konnte nur durch einen Forderungsverzicht der Gläubiger von über 40 Prozent und die Umwandlung der Gesellschaft in eine Genossenschaft gerettet worden.

Den Norden trifft die aktuelle Windflaute besonders hart, weil er mit seinen langen Küstenstreifen seit jeher die Windkraft-Hochburg ist. 10.000 Windspargel stehen – im Verhältnis 2 zu 1 – allein auf niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Flächen. Sie produzieren ein Drittel des bundesdeutschen Onshore-Windstroms, der als die Energiequelle der Zukunft gilt.

Die Gründe für die Flaute beim Ausbau der Windenergie sind bekannt: Langwierige Genehmigungsverfahren, häufige AnwohnerInnenklagen und unzureichende Gesetzesregeln kommen dem Ausbau in die Quere. Die Internetseite windwahn.com, ein Sprachrohr der Windkraftgegner, listet 1.094 Initiativen und Verbände auf, die in Deutschland gegen die Windkraft agitieren. Viele der Fälle landen vor Gericht, oft argumentieren die Windkraftgegner mit dem Artenschutz. Laut der Fachagentur „Windenergie an Land“ haben zudem allein die Bundeswehr und die Flugsicherung Bedenken gegen nicht weniger als fast 2.000 Windräder geäußert – etwa weil sie Bodennavigationsanlagen, die für einen sicheren Flugverkehr notwendig sind, beeinträchtigen könnten.

Die Lage ist festgefahren, das scheint sogar die Bundesregierung begriffen zu haben. Nachdem ein nationaler Windenergiegipfel Anfang September ergebnislos geblieben war, meldete sich diesen Montag Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zu Wort und legte ein Papier zur Windenergie vor. Danach will der Minister den Artenschutz lockern und die Klagemöglichkeiten gegen neue Windparks einschränken, um den Ausbau der Onshore-Windenergie zu beschleunigen.

Zudem verteilt Altmaier Aufgaben an seine Kollegen: Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) soll den Naturschutz zugunsten der Windenergie einschränken, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) den Kommunen finanzielle Anreize für den Windkraftausbau spendieren, Verkehrsminister Andreas Scheuerl (CSU) die Flugsicherung ins Gebet nehmen, den Windkraftausbau nicht weiter zu blockieren und die Vorschriften für Luftfahrthindernisse so zu überarbeiten, dass sie die Rechtsgrundlage für ihre Blockade-Politik verliert.

„Die Initiative geht in die richtige Richtung, kommt aber zu spät und will zu wenig“

Andree Böhling, Greenpeace-Sprecher, über das Windenergie-Papier von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU)

„Die Initiative geht in die richtige Richtung, kommt aber zu spät und will zu wenig“, findet Greenpeace-Sprecher Andree Böhling. Statt im Klimaplan der Bundesregierung ein verbindliches Ausbaukonzept vorzulegen, habe Altmaier nun nur „eine mit anderen Ministerien unabgestimmte To-do-Liste an seine KollegInnen vorgelegt, die selbst, wenn sie umgesetzt würde, nicht ausreicht, den Ausbau so voranzutreiben, dass Deutschland seine Klimaziele erreicht“.

Ebenfalls diesen Montag trafen sich die Energieminister und -senatoren der norddeutschen Bundesländer in Hannover mit Vertretern der Bundesregierung, um das Thema Windenergie zu besprechen. Das Ergebnis der Beratungen: Von derzeit rund sieben Gigawatt soll die in Ost- und Nordsee installierte Offshore-Leistung bis 2030 auf 20 Gigawatt steigen, wie der Gastgeber des Treffens, der niedersächsische Energieminister Olaf Lies (SPD), mitteilte. Bislang waren als Ziel 15 Gigawatt angepeilt.

Die Bundesregierung plant, bis 2030 die deutsche Energieversorgung zu 65 Prozent auf regenerative Energieproduktion umzustellen. Gleichzeitig hat sie in ihren jüngsten Klimabeschlüssen einen einheitlichen Mindestabstand von 1.000 Metern zwischen Windkraftanlagen und Wohnbebauung festgeschrieben – ein Zugeständnis an die Windkraftgegner.

Laut einer Schätzung des Umweltbundesamtes vom März reduzieren sich die vorhandenen Flächen durch einen solchen Mindestabstand um „20 bis 50“ Prozent: „Ein Ausbau der Windkraft wäre damit kaum ausreichend möglich.“

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