Wiederentdeckung einer Fotografin: Giftgrüne Chartreuse
Das Musée l’Élysée in Lausanne widmet der großen amerikanischen Fotografin Jan Groover ihre erste europäische Retrospektive.
Bevor die Dinge ihren Namen bekamen, war alles Eindruck. Manchmal scheint es, als könne man sich schwach erinnern, die Zeit der magischen Gegenstände und undurchdringbaren Einrichtungen der vorsprachlichen Welt in die Jetztzeit zurückholen. Hin und wieder hilft ein gut erinnerter Traum, ein anderes Mal ist es die Kunst: Zum Beispiel in Form der amerikanischen Fotografin Jan Groover, die es jetzt in einer Ausstellung und in Buchform wiederzuentdecken gilt. Und „entdecken“ ist hier wörtlich gemeint.
Zwischen rötlichem Blätterfleisch blitzen da beispielsweise Spaghettizange und Tortenring wie kostbare Preziosen auf. In Groovers exotisierter schönen Warenwelt wird Küchenbesteck zum Schatz, den man ins Dschungeldickicht marmorierter Pflanzenblätter gehoben hat. Auf anderen Bildern schimmern Gabel und Co. zwischen prallem Rot, das vermutlich einer Tomate entliehen wurde, oder vor dottergelbem Hintergrund als artifiziell hochgeschraubte Environments.
Die „Kitchen Still Lifes“, aus denen die beschriebenen Szenerien stammen, haben Jan Groover um 1978 herum zu einem wichtigen Namen des New Yorker Kunstbetriebs gemacht. Und sie passten natürlich hervorragend in den Zeitgeist der auslaufenden 1970er Jahre und der berüchtigt kühlen 1980er Jahre, die sich bald schon ankündigen sollten; das vielleicht vorerst letzte Jahrzehnt, in dem das Kaufen noch geholfen hat. Und ein Bild wie jenes, das 1978 den Titel von Artforum zierte, hätte sich in seinem entwaffnenden Witz auch gut auf dem Plattencover einer New-Wave- oder Art-Punk-Band gemacht.
Etwa zehn Jahre zuvor hatte die 1943 geborene Künstlerin, eine ausgebildete Malerin, mit dem Fotografieren begonnen. Zunächst eher beiläufig, skeptisch über die Absolutheit der Dinge, mit denen sich jene vor der Kamera und schließlich auf dem Fotopapier behaupteten. Groovers Werk, das ausschließlich aus unbetitelten Arbeiten besteht, wie um auch hier das Prinzip des Nichtbenennbaren fortzusetzen, taucht seit einigen Jahren vereinzelt auf Kunstmessen wieder auf.
Das Formenlaboratorium der Jan Groover
Jetzt widmet das Musée de l’Élysée in Lausanne der Künstlerin eine große Retrospektive: „Laboratoire des formes“ zeigt erstmalig einen umfassenden Überblick über ihr Lebenswerk, mit zahlreichen Arbeiten aus dem Archiv der Künstlerin.
Der zur Ausstellung erscheinende Katalog ist zugleich die erste Monografie über die 2012 verstorbene Künstlerin und eine lohnende Alternative, sollte man es nicht zur Ausstellung schaffen. Zumindest qua Format muss man hier kaum Abstriche machen: Selten pumpte Groover ihre Motive auf XXL auf, viele Bilder sind allein als Polaroid vorhanden. Und selbst ihre kleinen Fotopapiere packt sie gern mit mehreren Ansichten nebeneinander voll.
Mit diesen Dip- und Polyptychen beginnt die Ausstellung: Bereits in ihren ersten Jahren manifestiert sich das später formulierte Credo der Künstlerin, man dürfe sich von einer Landschaft, einem Baum allein nicht die Kontrolle über sein Bild nehmen lassen. Ansichten US-amerikanischen Alltags werden auf einem einzelnen Papier zusammengefügt, erst in Schwarz-Weiß, bald in Farbe. Skizzen belegen, wie genau die Künstlerin Winkel und Perspektiven plant. Von hier aus rückt der fotografische Schnappschuss in immer weitere Ferne.
Es folgten die berühmten, bereits erwähnten Stillleben aus dem Künstlerhaushalt. In den 90er Jahren wurde es dann noch formaler, aber schreiend bunt: Giftgrüne Chartreuse, Crème de Violette, alles fließt in Likörfarben übers hochglänzende Fotopapier. Die überbordenden Arrangements erinnern nicht zufällig an die Stillleben der Renaissancemalerei; Groover nennt sie immer wieder als Vorbild.
Arrangements von der Qualität eines surrealen Stummfilmsets
Zwischendurch entdeckt die Künstlerin die traditionsreiche Platin-Palladium-Technik. In diesem satten Schwarz mit warmem Gelbweiß geraten ihre Arrangements plötzlich zu dramatischen Ansichten, die einem surrealen Stummfilmset zu Ehren gereichen würden. Später löst sie sich wieder von den streng komponierten Arbeiten, ohne deshalb ihren Sinn fürs Formale abzugeben: Arme und Beine ihrer Modelle arrangiert die Fotokünstlerin im Bildausschnitt „wie Paprikaschoten“, denn an jenes Fleisch fühlte sie sich beim Anblick der menschlichen Körper erinnert.
Schade nur, dass ausgerechnet ein Dokumentarfilm über Groover so leise gedreht ist, dass man die Künstlerin selbst kaum versteht. Aber du musst doch auch über Linien und Licht nachdenken, meint der Fragesteller zu ihr dort beispielsweise. Nee, muss ich gar nicht, antwortet eine entschiedene Groover, während sie Schirme aufstellt, die Objekte für ihre Stillleben arrangiert und Fotopapiere entwickelt.
läuft noch bis 5. Januar, Musée l’Élysée, Lausanne. Begleitpublikation zur Ausstellung Verlag Scheidegger & Spiess, 48 Euro
Das einziges Ziel seiner Frau, erinnert sich ihr Witwer, der Zeichner und Maler Bruce Boice, in einem für die Ausstellung angefertigten Video: „Visuelle Aufregung!“ Und aufregend sind Groovers Fotografien: Es kann einen wie der Blitzschlag treffen, wenn man plötzlich die Ausstellungsplakate entdeckt, die ins grüne Dickicht rund ums Museum grätschen.
So sonderbar vertraut wie entrückt scheint das hierfür ausgewählte Motiv, dass man es am ehesten mit einem kennerhaft inszenierten Wachtraum zu tun haben könnte. Ophthalmologische Orientierungslosigkeit: Das Auge, erklärt Boice, sollte gar nicht wissen, wo es zuerst hinblicken muss, sich nicht am einzelnen Objekt anheften.
Das Wunder der Wahrnehmung
Man kann bestimmte Motive leicht als ironischen Kommentar zur Hausfrauenrolle lesen oder als Karikatur auf die Begehrlichkeiten weckende Werbefotografie. All dies ist in Jan Groovers Werk vorhanden, und trotzdem greift das in noch viel grundlegendere Tiefen vor: Dorthin, wo Materie Eindruck wird.
Ihre Bilder zeugen vom Wunder der Wahrnehmung, die ihr Geheimnis, obwohl die neurophysiologischen Grundlagen sich nachvollziehen lassen, letztlich nicht preisgibt. Vom Verhältnis des Menschen zu den Dingen. Ganz nebenbei sind sie ein regelrechtes Plädoyer für die Möglichkeiten der Kunst: Das sogenannte Natürliche fand Jan Groover aus künstlerischer Perspektive offenbar entsetzlich langweilig.
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