Schüsse und Tote in Halle

War es rechter Terror? In Halle versuchen Angreifer, die Synagoge zu stürmen, und schießen auf einen Dönerladen. Zwei Menschen sterben, die Täter flüchten zunächst. Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen. Landesweit herrscht Alarmbereitschaft

Nach den Schüssen: Ein SEK-Beamter sichert die Lage in Halle Foto: Swen Pförtner/dpa

Aus Halle Helke Ellersiek, Gunnar Hinck, Konrad Litschko

Auf der Straße vor der Synagoge in Halle liegt eine Leiche, abgedeckt mit einem blauen Tuch, daneben steht ein schwarzer Rucksack. Auf dem Asphalt liegen Patronenhülsen. Ein Mensch ist tot, ermordet durch Schüsse. So viel ist klar an diesem Mittwochnachmittag in Halle. Aber so viel Weiteres bleibt vorerst unklar.

Mit einem Gewehr hatte am Mittag ein Täter versucht, in die jüdische Synagoge in Halle einzudringen. Fotos zeigen einen Mann mit Helm in einer Art Kampfanzug, auch Augenzeugen sprechen davon. Gemeindevorstand Max Privorozki berichtete Medien, man habe den Täter über eine Überwachungskamera gesehen, beim vergeblichen Versuch, eine Tür einzuschießen. Daraufhin sollen der oder die Angreifer auf Passanten vor der Synagoge geschossen haben. In dem Gotteshaus seien 70 bis 80 Gläubige versammelt gewesen, um das jüdische Fest Jom Kippur zu feiern. Medien berichteten auch, der Täter habe selbst gebaute Sprengsätze vor der Synagoge abgelegt. Zudem war von Schüssen und Explosionen am benachbarten Jüdischen Friedhof die Rede.

Die Lage war zunächst völlig unübersichtlich. Die Polizei in Halle rückte zu einem Großeinsatz aus. „Bitte bleiben Sie in Ihren Wohnungen oder suchen Sie sichere Orte auf“, so die Lautsprecherdurchsagen. Die Bahn sperrte den Bahnhof Halle. Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) berief einen Stab für „Außergewöhnliche Ereignisse“ unter seiner Leitung ein. Er sprach zunächst von einer „Amoklage“.

Augenzeugen berichteten nun auch von Schüssen auf einen Dönerladen in der nahen Ludwig-Wucherer-Straße, einer Hauptverkehrsstraße. Ein Foto zeigt einen Täter mit Gewehr vor dem Geschäft. Laut Augenzeugen habe der Angreifer in den Laden geschossen, es habe einen weiteren Toten gegeben. Ein Video zeigt einen der Täter hinter einem silbernen Kombi auf der Ludwig-Wucherer-Straße, von dort um sich schießend.

Um 13.45 Uhr dann meldete die Polizei eine Festnahme. Laut Medien war der Mann Deutscher, bisher nicht polizeibekannt. Die FAZ schrieb von Verbindungen ins österreichische Burgenland. Gleichzeitig meldete die Polizei zwei Todesopfer, eine Frau und einen Mann.

Und der Einsatz dauerte an. Die Hallenser wurden weiter aufgefordert, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. Immer mehr Polizeikräfte strömten in die Stadt. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) brach einen Besuch in Brüssel ab. Er sprach von einer „verabscheuungswürdigen Tat“. Auch Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) zeigte sich „tief betroffen und erschüttert“. „Es ist schwer in Worte zu fassen, was heute in Halle passiert ist und passiert.“

Im Chaos geschahen auch Pannen. So wurde der kleine liberale Ableger der Jüdischen Gemeinde, der seinen Gebetsraum im Norden Halles hat, vorerst nicht von der Polizei informiert. Man wisse nichts von Schüssen, sagte dort ein Gemeindemitglied, als die taz am Nachmittag anrief.

Auch bundesweit zogen derweil Polizisten vor Synagogen auf. Auf Bundesstraßen rund um Halle kontrollierten Beamte Autos. Andere patrouillierten durch Züge, die durch Sachsen-Anhalt fuhren.

Dann machten Meldungen die Runde, dass auch in Landsberg, 15 Kilometer vor Halle, Schüsse gefallen seien. Die Polizei rückte auch zu Einsätzen in Zeitz und Wiedersdorf aus. Die Lage auch hier: unklar.

In Berlin platzten die Neuigkeiten aus Halle in die laufende Regierungspressekonferenz. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von „schrecklichen Nachrichten“. Man sei in Gedanken bei den Angehörigen.

Und die Bundesanwaltschaft reagierte: Sie zog noch am Nachmittag die Ermittlungen an sich. Der Fall habe eine besondere Bedeutung und stelle eine Gefahr für die innere Sicherheit des gesamten Landes dar, sagte eine Sprecherin der taz. Aber auch sie blieb vorsichtig. Ob es sich um eine antisemitische Tat handelt, sei noch zu klären. In Sicherheitskreisen indes hieß es, ein rechtsextremistisches Motiv „drängt sich auf“. Noch aber herrsche viel Unklarheit.

„Glauben Sie keinen Gerüchten. Das unüberlegte Teilen erschwert uns die Arbeit“

Polizei auf Twitter

Vor der Synagoge in Halle hatte die Polizei am Nachmittag alles abgeriegelt. Mehrere Polizeitrupps mit schweren Schusswesten und schwarzen Helmen standen vor dem Straßeneingang. Eine schier unendliche Schlange aus Rettungs-, Feuerwehrwagen und Polizei stieß dazu. Einzelne Anwohnerinnen standen an den Straßenecken. Eine von ihnen wohnt in der fast direkt an die Synagoge angrenzenden Schillerstraße. „Ich war auf der Arbeit, als das hier passiert ist“, sagte sie, „zum Glück.“Eine junge Frau berichtete von einem Gerücht: In einer Edeka-Filiale in der Südstadt soll es eine Geiselnahme gegeben haben, 70 Leute. Die Polizei dementierte das auf Twitter. Sie bat darum, Ruhe zu bewahren: „Glauben Sie keinen Gerüchten und Falschmeldungen. Das unüberlegte Teilen erschwert uns die Arbeit.“

Einen Häuserblock weiter konnte man den angegriffenen „Kiez-Döner“ sehen. Ein Roboter sei gerade noch drinnen, hieß es – er solle untersuchen, ob sich noch Sprengstoff im Laden befindet. Davor bückten sich Polizisten immer wieder und betrachten etwas am Boden. AnwohnerInnen wurden auch hier nicht zu ihren Wohnungen durchgelassen.

Einer von ihnen gab ein Fernsehinterview, er soll bedient haben, als die Tat im Laden geschah. Daneben stand nach eigenen Angaben der Besitzer des Ladens. Seinen Namen wollte er nicht nennen, „lieber nicht“, sagte er. Bei der Tat sei er nicht hier gewesen. „Fünf, sechs Minuten vorher war ich dort.“ Er selbst habe aber noch den Täter gesehen, wie er auf Polizisten schoss.

Noch am Nachmittag wurden die Gemeindemitglieder aus der Synagoge evakuiert. Sie liegt am Rand des Paulusviertels im Norden von Halle, einem angesagten Altbauviertel, in dem viele Student*innen und Mitarbeiter*innen der ­nahen Universität wohnen. In dem Viertel lebten bis in die 30er Jahre viele jüdische Bür­ge­r*innen.

Wenn sich nun ein rechtsex­tremes Motiv bestätigen würde, wäre dies eine weitere rechtsterroristische Tat nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke von Juni. Schon zuvor hatte der NSU zehn Menschen erschossen, darunter neun Migranten. Auch Synagogen standen immer wieder im Visier von Rechtsextremisten.