Ökonom über wirtschaftlichen Abschwung: „Deutschland ist in der Rezession“
Für den Ökonomen Heiner Flassbeck hat der Abschwung längst begonnen. Er kritisiert das Statistische Bundesamt – und fordert Investitionen des Staates.
taz: Herr Flassbeck, inzwischen rechnen die Wirtschaftsforschungsinstitute und die Bundesregierung nur noch mit einem Wachstum von 0,5 Prozent in diesem Jahr. Wie realistisch ist diese Zahl?
Heiner Flassbeck: Diese Zahl ist immer noch viel zu hoch, wenn man sich die Realität ansieht. Vor einem Jahr haben die Institute 1,9 Prozent Wachstum für 2019 prognostiziert, obwohl damals bereits der Abschwung einsetzte. Deutschland ist in der Rezession.
69, von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Finanzministerium, von 2003 bis 2012 Chef-Volkswirt der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD). Nun ist der Ökonom Co-Herausgeber des Onlineportals Makroskop.
Was ist denn Ihre Prognose?
Es ist klar zu erkennen, dass eine Rezession eingesetzt hat. Aber genauere Zahlen gibt es nicht, weil man über die Entwicklung bei den Dienstleistungen fast nichts weiß. Das ist schwarze dunkle Materie. Gut erfasst sind nur Industrie und Bauwirtschaft – und da sehen wir, dass der Abschwung längst begonnen hat. Die Produktion im produzierenden Gewerbe liegt um über 5 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres und die Auftragseingänge sind 7 Prozent niedriger.
Das Statistische Bundesamt ist längst nicht so pessimistisch wie Sie: Im zweiten Quartal wurde nur eine leichte Schrumpfung von minus 0,1 Prozent registriert.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind aber nicht nachzuvollziehen. Die starken Einbrüche im Produktionssektor werden einfach ignoriert, sie werden korrigiert durch angebliche Entwicklungen im Dienstleistungssektor, die aber niemand kennt. Das ist absolut fahrlässig. Das Amt ist Ratgeber der Bundesregierung – und führt Kanzlerin und Kabinett in die Irre.
Aber die Arbeitslosigkeit ist momentan sehr niedrig. Nach einer Rezession sieht es auf dem Stellenmarkt nicht aus.
Es ist völlig normal, dass die Unternehmen ihre Beschäftigten nicht sofort entlassen. Bis vor drei Monaten hat noch jeder über Fachkräftemangel geklagt, heute redet man von Kurzarbeit. Die Firmen versuchen, ihre qualifizierten Mitarbeiter zu halten, und hoffen, dass die Krise nur vorübergehend ist. Die Arbeitslosigkeit wird früher oder später deutlich steigen.
Trumps Handelskonflikte dominieren die Schlagzeilen. Ist der US-Präsident schuld, dass die deutsche Produktion schwächelt?
Nein. Trump redet zwar viel, aber bisher ist wenig passiert. Der Handel mit den USA ist noch nicht eingebrochen, und die amerikanische Konjunktur war bis zuletzt nicht schlecht.
Und China?
Dort schwächt sich das Wachstum zwar auch ab, und die deutschen Exporte nach Fernost sind nicht mehr so dynamisch, aber das Problem ist Europa. Die Eurozone hatte nur einen kurzen, kleinen Aufschwung, und der ist jetzt schon wieder zu Ende.
Was würden Sie der Bundesregierung raten?
Die deutsche Politik hat in den vergangenen 18 Monaten fest geschlafen. Sie muss ein massives Investitionsprogramm auflegen und hinnehmen, dass es Defizite im Staatshaushalt gibt.
Kritiker würden einwenden, dass ein Investitionsprogramm nicht sofort wirkt. Der Grund: lange Genehmigungsverfahren. Dann hat der nächste Aufschwung vielleicht längst eingesetzt, die neuen Staatsausgaben würden nur stören.
Das ist eine absurde Logik. Natürlich dauert es, bis Investitionen in den öffentlichen Verkehr oder in Schulen genehmigt sind. Aber soll man deswegen noch mehr Zeit verschlafen? Die Bundesregierung hätte schon vor 18 Monaten handeln und ein Investitionsprogramm in die Wege leiten müssen. Niemand kann vorhersagen, ob und wann es zu einem Aufschwung kommt. Wenn man jetzt nicht ein Investitionspaket plant, wird es demnächst zu idiotischen Ad-hoc-Maßnahmen kommen – wie eine zweite Abwrackprämie, die funktionstüchtige Autos verschrottet. Solchen ökonomischen und ökologischen Unsinn muss man vermeiden.
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