piwik no script img

Vater und Tochter über Aktivismus„Die Klimakrise führt uns zusammen“

Lukas Beckmann hat damals die Grünen mitgegründet, seine Tochter Jolinde Hüchtker geht heute zur Klimademo. Was verbindet und was trennt sie?

Die Gründungs-Grünen: Otto Schily, Lukas Beckmann und Petra Kelly im März 1983 bei einer Kundgebung Foto: ap
Jolinde Hüchtker
Interview von Jolinde Hüchtker

Lukas Beckmann ist einer der Gründer der Grünen. Er hat lange für Partei und Fraktion gearbeitet. Heute ist er selbstständig. Seine Tochter Jolinde Hüchtker, 22, ist ausgezogen aus der gemeinsamen Kreuzberger Wohnung, studiert im Ruhrgebiet und schreibt als Journalistin unter anderem für die taz. Politik zog sich durch das Familienleben: Beim Abendbrot wurde über Koalitionsverhandlungen diskutiert, an Wahlabenden saß man vor den Hochrechnungen. Für dieses Gespräch haben sich Vater und Tochter zusammengesetzt, um über die Grünen und soziale Bewegungen zu sprechen – und über sich selbst.

taz am wochenende: Papa, Freitag vor einer Woche waren wir zusammen bei der Klimademo. Das wird ein Aufbruch wie nie, hast du vorher gesagt. War es das?

Lukas Beckmann: Ein historischer Tag, prägend für eine ganze Generation von Schülerinnen und Schülern. Wir wissen nicht, was die Generation, die jetzt auf die Straße geht oder heute auf die Welt kommt, noch mobilisieren kann. Vielleicht viel mehr, als wir je konnten. Sie denkt Selbstbestimmung so radikal, dass sie Ausreden und Auswege nicht mehr zulässt.

Du warst in den 70ern und 80ern in der Umwelt- und Friedensbewegung aktiv. Hat die Klimademo dich an deine politische Jugend erinnert?

Ja, schon. Aber Fridays for Future ist eine Ausnahme. Diese Bewegung ist professioneller, weltoffener und richtet sich ideologiefrei an alle. Die Schülerinnen und Schüler treffen einen Nerv der Zeit, weil sie rausgehen, um für das zu kämpfen, was wir als Eltern und Großeltern nicht hinbekommen haben. Es berührt mich sehr, was da möglich wird. Eine weltweite Mobilisierung ist uns in dieser Form nie gelungen.

Was war bei euch damals anders?

Die Umwelt- und Friedensbewegung war ein Kampf gegen die Welt außerhalb von uns, nicht gegen unsere Welt.

Das heißt, man musste nichts persönlich aufgeben, um hinter der Bewegung zu stehen.

Ja, vielleicht. Das ist bei Fridays for Future heute anders, da verschmelzen das Ich und die Welt, die Klimakrise führt uns zusammen. Die Welt ist nicht das Draußen, was wir retten müssen, sondern wir sind Teil davon.

Hattest du die Hoffnung auf die Rettung des Klimas zwischendurch mal aufgegeben?

Nein.

Aber dafür hätte es doch gute Gründe gegeben.

Vom Kopf her betrachtet ist das vielleicht eher verwunderlich. Aber ich glaube eigentlich, dass die Menschheit überlebt.

Apropos Klimastreik: Hast du als Jugendlicher selber viel Schule geschwänzt?

Wenig, außer in Erntezeiten, wo ich auf dem Hof gebraucht wurde.

André Wunstorf
Im Interview: Vater und Tochter

Lukas Beckmann

69, ist in Niedersachsen aufgewachsen, hat eine Ausbildung zum Landwirt gemacht und später Soziologie studiert. 1979 gründete er die Grünen mit. Von 1991 bis 2010 war er Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.

Jolinde Hüchtker

22, ist in Berlin aufgewachsen. Sie studiert in Witten im Ruhrgebiet Politik, Philosophie und Ökonomik. Als Journalistin schreibt sie unter anderem für die taz.

Was hat dich eigentlich zuerst politisiert?

Der Überfluss in Europa und daneben Fernsehbilder von Tausenden, die an Hunger starben. Das hat Fragen ausgelöst, mit denen ich als Schüler allein blieb.

Früher sind wir jede Schulferien auf den Bauernhof meiner Tante gefahren. Dort steht noch dein knallgrüner Trecker im Schuppen. Bevor du in die Politik gegangen bist, hast du eine Ausbildung zum Landwirt gemacht. Was ist davon geblieben?

Die Verbundenheit mit Natur, Landwirtschaft und Menschen. Nach meiner Ausbildung bin ich zum Kolleg nach Bielefeld gegangen und habe das Abitur nachgeholt. Danach habe ich Entwicklungssoziologie studiert. Ich wollte Landwirtschaft und Entwicklungshilfe verbinden, ins Ausland gehen und Menschen dort helfen.

Wann hat sich das verschoben?

Ich habe einige Jahre für ein Zuchtvieh-Unternehmen Rinder und Bullen nach Südamerika exportiert und war auf dem Schiff für die Tiere verantwortlich. Vor Ort habe ich mir dann Entwicklungsprojekte angesehen. Dabei ist mir klar geworden, dass Entwicklung dort vor allem an den Strukturen bei uns scheitert: an Handelsverträgen, wirtschaftlichen Interessen, Kapitalmärkten.

Also wolltest du dich an die Strukturen hier machen.

Ich war wie viele in meinem Umfeld in zahlreichen Initiativen aktiv: bei Amnesty International, in Dritte-Welt-Gruppen, in der Umwelt- und Anti-Atomkraftbewegung. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, immer nur Feuerwehr zu sein und Symptome zu bekämpfen, ohne an den Ursachen etwas verändern zu können. Das ging anderen auch so.

Und dann habt ihr euch zusammengetan?

Die Zeit war reif für eine neue Partei, die die ökologische Frage in den Mittelpunkt stellt. 1977 tauchten die ersten Grünen Listen auf lokaler Ebene auf. Die erste direkte Wahl des Europäischen Parlaments im März 1979 kam uns entgegen, wir gründeten die Grünen bundesweit nach EU-Recht.

Wie haben deine Eltern damals auf dein politisches Engagement reagiert?

Politik war ihnen vertraut – mein Vater war im Gemeinderat und CDU-Mitglied. Dass jetzt etwas völlig Neues entstehen sollte, war für sie befremdlich, das haben sie erst nicht verstanden.

Was müsste ich politisch tun, dass du so reagieren würdest wie deine Eltern damals?

Für Putin und Erdoğan Wahlkampf machen und Trump oder AfD wählen.

Wieso wäre das vergleichbar?

Das Unverständnis darüber, wie das eigene Kind so geworden sein kann, so daneben liegen kann und was man in der Erziehung falsch gemacht hat. Nachdem meine Eltern mich in Bonn in der Bundesgeschäftsstelle besucht haben, kam meine Mutter aber zu dem Schluss, dass mein Vater in politischen Dingen wohl auch nicht immer Recht hat.

Ich finde Erdoğan und Trump schrecklich. Aber selbst wenn es anders wäre: Wahrscheinlich könnte ich dich gar nicht überzeugen, dass es doch eine gute Idee wäre, für solche Leute Wahlkampf zu machen.

Wohl kaum.

Und wenn ich im Hambacher Forst einen Bagger besetzen und festgenommen würde – wärst du dann sauer oder stolz auf mich?

Ich würde das unterstützen und hoffen, dass du nicht verletzt wirst. Die Baumbesetzerinnen und -besetzer verdienen Respekt, sie sind kleine Helden. Auch wir haben Regeln gebrochen, ziviler Ungehorsam war Bestandteil unserer politischen Strategie.

Lange hat es mich eher angeödet, dass es bei uns zu Hause ständig um Politik ging – es war das, worüber die langweiligen Erwachsenen reden. Irgendwann ist es dann umgeschlagen.

An welchem Punkt?

Als ich angefangen habe, mich von mir aus mit Gerechtigkeitsfragen auseinander zu setzen, Feminismus mir viele Fragen beantworten konnte und ich politisch Aktive in meinem Alter kennenlernte. Inzwischen glaube ich, ich habe von dir einen gewissen Pragmatismus in politischen Fragen und das Selbstverständnis, etwas verändern zu können, mitgenommen. Was meinst du denn, wie du mich politisch geprägt hast?

Politik war jedenfalls kein Erziehungsziel. Sie spielte natürlich im Alltag eine Rolle, vielleicht hat dich das geprägt. Viel hängt auch davon ab, wem man außer den Eltern in welcher Lebensphase begegnet und was dadurch in einem wachgerufen wird.

Hat es politisch etwas für Dich verändert, Kinder zu haben?

Ja, Kinder verändern sehr viel. Und die Verantwortung für sie verändert das Verhältnis zur Welt.

Was lernst Du heute von meiner Generation?

Meine Antworten auf grundsätzliche Fragen noch mal neu anzuschauen. Und auch zu sehen, dass persönliche Begegnungen und enge Freundschaften nicht ihren Platz und Sinn verloren haben, auch wenn ihr vorwiegend digital unterwegs seid.

Und was lernst du von mir?

Von dir habe ich vor allem auch gelernt, die Bedeutung von Feminismus neu zu sehen. Als Denkrichtung, die die Lebenswirklichkeit von Frauen als System in den Mittelpunkt stellt. Hoffentlich verträgt sich das mit Grün weiterhin und immer besser.

Wenn du über die Gründungszeiten der Grünen sprichst, kommen fast nur Männer vor – außer Petra Kelly. Woran liegt das?

Einzelne Frauen wie Petra Kelly, Helga Vohwinkel, Gerda Degen und Eva Quistorp haben in den Gründungsjahren eine sehr wichtige Rolle gespielt. Petra Kelly war eine Ausnahmepersönlichkeit, die zentrale grüne Symbolfigur der Gründerjahre. Aber strukturell waren die Grünen zunächst sehr männlich. Die Frage der Gleichberechtigung war zwar auch am Anfang ein wichtiges Thema, aber die 50-Prozent-Mindestquote für Frauen kam erst ein paar Jahre später. Weil wir sie brauchten, nicht, weil alle sie damals wollten.

Es wird ja oft das Gegenargument gebracht, Frauen wollten nicht nur wegen der Quote eine Position bekommen, sondern aufgrund ihrer Qualifikation. Ich dagegen finde die Quote gut. Wie stehst du dazu?

Ich war zunächst skeptisch. Wir hatten viele qualifizierte Frauen dabei und ich meinte: Wieso soll sich Qualität nicht durchsetzen? Aber dann wurde mir schnell klar, dass die Machtstrukturen auch in unserer Partei so männlich geprägt sind, dass wir die Quote brauchen. Meine Generation ist in eine männerdominierte Welt hineingeboren, nicht vergleichbar mit heute. Ich denke, die Quote wird noch lange gebraucht. Und wo es sie noch nicht gibt, wird sie kommen, hoffe ich.

Als die Grünen 1998 an die Bundesregierung kamen, war ich ein Jahr alt. An Joschka Fischer habe ich kaum noch Erinnerungen. Warum hat man euch gewählt?

Die Öffentlichkeit hatte die ewige Regierung Kohl satt. Die zentralen gesellschaftsökologischen Fragen wurden ignoriert: Wie geht es weiter mit Energie, Landwirtschaftspolitik, der Verseuchung der Böden, Verkehrspolitik, Chancengleichheit – da gab es nichts, was den Problemen angemessen gewesen wäre. Mit einer Ausnahme – das war die Europapolitik.

Als ihr 2005 wieder aus der Bundesregierung abgewählt wurdet, verschlang ich gerade den zweiten Harry-Potter-Band. Von den vierzig Jahren seit der Gründung wart ihr nur sieben Jahre an der Regierung. Wie ist es, so lange in der Opposition zu sein?

Es macht mehr Spaß zu regieren, weil man unmittelbar mitgestalten kann durch neue gesetzliche Rahmenbedingungen – auch wenn Demokratie ohne Opposition keine ist.

Es heißt ja, die Grünen seien offener geworden, was Koalitionspartner angeht. Heißt offener nicht einfach angepasster?

Offener heißt, wir haben verstanden, dass wir nicht als Einzige wissen, was der richtige Weg ist. Die Grünen kamen lange hochnäsig daher. Und in einigen wichtigen Feldern wie innere Sicherheit oder wirtschaftliche Stabilität hatten wir zu lange weiße Flecken. Offenheit bedeutet, andere Menschen nicht mit Glaubenssätzen zu ersticken, sondern sie in ihrer Biografie, Erfahrung und Perspektive ernst zu nehmen.

Braucht man nicht vielleicht ein wenig Hochnäsigkeit, um Haltung zu bewahren?

Man braucht Überzeugung, Selbstbewusstsein und vor allem muss man Menschen mögen. Auch jene, die uns nerven, anders denken, andere Voraussetzungen hatten oder aus einer anderen Kultur kommen.

Du bist Schwarz-Grün nicht abgeneigt. Schon 1987 hast du eine mögliche Koalition mit der CDU ins Spiel gebracht – und hast dafür von der Partei auf den Deckel bekommen. Warum wolltest du das schon damals?

Auch weil wir Gespräche mit der CDU verweigert haben, haben wir die CDU zu lange in die Arme der FDP getrieben, ohne die sie keine Machtoption hatte – außer in der großen Koalition. Das war absehbar.

Nach der letzten Bundestagswahl wurde dann Jamaika verhandelt. Was hat sich verändert?

Wir haben Feindbilder beiseite gelegt, die Energiequelle waren Sachfragen und unbedingter Gestaltungswille. Es war und ist schwer, die Regierungen der letzten 15 Jahre zu ertragen.

Die Grünen haben heute doch ein neues Feindbild, die AfD.

Unsere Haltung gegenüber der AfD ist nicht feindbildgeprägt, sondern inhaltlich substantiell begründet. Dialogbereitschaft heißt ja nicht, dass wir politische Gegner als solche nicht ernst nehmen. Das wäre fatal. Die AfD muss jedoch politisch bekämpft und nicht durch Feindbilder gestärkt werden.

Die Grünen haben sich also von ihrer Feindbildrhetorik entfernt, und deswegen waren Koalitionsverhandlungen mit FDP und CDU möglich.

Was ja leider nicht geklappt hat.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Du hättest das gern gesehen, oder?

Ja, sehr.

Meinst du nicht, dass die Grünen zu viel hätten aufgeben müssen? Es hat sich ja schon in den Koalitionsverhandlungen angedeutet, dass sie sehr flexibel wurden.

Was heißt aufgeben? Parteien sind keine Glaubensgemeinschaften. Sie sind Mittel zum Zweck. Sie müssen Aufgaben lösen und wenn sie es nicht tun, braucht man sie nicht. Es braucht schon sehr überzeugende Argumente, anderen die Gestaltungsmacht zu überlassen. Dabei die eigene Identität zu beschwören, reicht nicht.

Die Grünen sind heute ziemlich erfolgreich, in den Umfragen liegen sie momentan bundesweit bei etwa 22 Prozent. Die Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock kommen gut an. Ist das nur ein Hype?

Die Klimakrise stellt Aufgaben, deren Lösung viele uns Grünen am ehesten zutrauen. Es ist ein Glück zwei Vorsitzende zu haben, die öffnend, fragend, ernsthaft überzeugend unterwegs sind. Nachhaltig leben und handeln zu müssen ist kein Hype, die Aufgaben eines sozialökologischen Wandels würden ohne uns ja nicht weniger.

Du redest immer noch von „Wir“, wenn du über die Grünen sprichst.

Ja, das hat einfach mein Leben stark geprägt, vom ersten Tag der Gründung an.

In meinem Umfeld heißt es oft „Die Grünen waren mal cool“. Gerade für junge Leute. Damals fand man den zivilen Ungehorsam cool, und dass die Grünen gegen vieles waren. Jetzt sind sie vielleicht eher für etwas.

Die Entwicklungsgeschichte der Grünen ist ein Prozess von Anti zu Pro. Eine zivilgesellschaftliche Bewegung wurde zu einer Partei, dann lernten wir Opposition, dann regieren.

Wieso sind die Grünen dann nicht mehr cool?

Sie sind vielleicht für manche nicht mehr cool, weil wir jetzt in der Wirklichkeit leben. Für mich sind die Grünen bahnbrechend, nicht weil sie cool sind, sondern weil sie sich den Zukunftsfragen stellen. Und das kann man cool finden oder auch nicht. Aber man sollte schon, denke ich. Oder?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare