Filmfest Bremen: Im Wettbewerb
Giftmord, Italo-Pop und Asylpolitik: Die taz stellt drei für den „Bremer Preis“ nominierte Filme mit mehr oder weniger deutlichem Lokalbezug vor.
Sieben? Mehr als ein Dutzend Menschen hat in Bremen eine gewisse Gesche Gottfried ins Jenseits befördert, und das schon zwischen 1813 und 1827 – mit Mäusegift. Die 1831 hingerichtete Gottfried hat immer wieder Interesse auf sich gezogen, auch Filme entstanden, am bekanntesten dürfte Rainer Werner Fassbinders TV-Adaption seines eigenen Theaterstücks „Bremer Freiheit“ sein, ausgestrahlt 1972.
Nun hat sich der Regie-Debütant Udo Flohr der Geschichte angenommen: „Effigie – Das Gift und die Stadt“ läuft beim heute beginnenden Bremer Filmfest im Wettbewerb um den „Bremer Preis“. Zwar zeichnen die Produktionsnotizen die Giftmörderin beinahe als einen weiblichen Hannibal Lecter aus „Das Schweigen der Lämmer“, aber der Spielfilm ist nicht reißerisch.
Flohr und seinem Drehbuchautor Peer Meter scheint der historische Kontext der Geschichte wichtig: Sie erzählen von der Gründung Bremerhavens durch Bürgermeister Johann Smidt und den damals gewagt erscheinenden Plänen des Bremer Senats, eine Eisenbahnlinie zwischen beiden Städten zu bauen.
5. Filmfest Bremen: 19. – 22. 9., diverse Orte; Programm und weitere Informationen: www.filmfestbremen.com
Vor allem aber ist die Hauptfigur in dieser Beschäftigung die angehende Juristin Cato Böhmer (Elisa Thiemann), die im Bremer Rathaus Arbeit als Schreiberin findet – im frühen 19. Jahrhundert ein großer emanzipatorischer Schritt. So erzählt der Film von zwei außergewöhnlichen Frauen. Wo wir es aber schon mit „Das Schweigen der Lämmer“ hatten: Wenn sie Gottfried (Suzan Anbeh) verhört, erinnert Böhmer an die junge, damals von Jodie Foster gespielte FBI-Agentin.
Gedreht worden ist „Effigie“ vor allem in Mecklenburg, es gibt aber auch Einstellungen aus einem vergangenen Bremen; historisch korrekt hat etwa der Dom dann nur einen Turm. Ansonsten macht Flohr den Fehler, dass in seinem Film alles blitzeblank und nagelneu aussieht – und daher mehr nach Kulisse wirkt als nach glaubwürdigen historischen Orten.
Ein Italo-Pop-Duo auf Tournee im Mutterland
„Bremer Preis“, „Innovationspreis“ und „Humor/Satire“: Gleich dreimal nominiert ist Johanna Behre mit „San Remo“ – und das bei eher geringem Lokalbezug: Mit Lea Willkowsky („Dark“) ist immerhin eine der Hauptdarstellerinnen in Bremen geboren, und 2018 erhielt das Projekt die berühmt-berüchtigte „Microförderung“ des Bremer Filmbüros, also höchstens eine niedrige vierstellige Summe.
Der Film handelt von Ossi Viola und Lo Selbo, zwei real existierenden Berliner*innen, die bürgerlich wohl anders heißen, unter dem Bandnamen „Itaca“ nicht nur erklärt italienische Pop-Musik machen, sondern damit auch in Italien auf Tournee gehen: Der Traum der beiden ist, einmal beim Schlagerfestival von San Remo aufzutreten – tatsächlich singen sie nur in kleinen Kneipen und werden einmal auch noch um 100 Euro Gage betrogen.
Das Konzerttour-Roadmovie ist ja schon beinahe ein eigenes Subgenre geworden, „San Remo“ nun entstand ohne festes Drehbuch. Die Darsteller*innen – neben Itaca spielt noch eine chaotische Eventmanagerin eine tragende Rolle – reagierten spontan auf verschiedene Orte und Situationen, und ihre Songs, die im Laufe des Films immer besser werden, wirken so überzeugend, dass man den beiden abnimmt, sie folgten einer künstlerischen Vision, nicht schnöde sicherem Geld.
Die Kamera hockt mit den drei Traumtänzer*innen im Auto, zeigt, wie sie am Küchentisch philosophieren, wie Auftritte mal scheitern und mal zu kleinen Triumphen werden, wie ihr Auto bei einem realen Unwetter beinahe in den Fluten absäuft, wie sie sich verlieren und wiederfinden. Das ist komisch, bewegend, vor allem aber mit einem guten Gespür für die Atmosphäre und viel Vertrauen in die DarstellerInnen inszeniert. „San Remo“ hat das Zeug zum großen Filmfest-Sieger.
Nah dran an deutscher Abschiebepolitik
Für den „Bremer Preis“ nominiert ist auch die Dokumentation „Möglichst Freiwillig“ von Allegra Schneider: Die Fotojournalistin erzählt von dem jungen Rom Zijush, der in Bremerhaven lebt und zur Schule geht – bis er, 13 Jahre alt, mit seiner Familie abgeschoben wird ins mazedonische Skopje. Seine Schulfreunde halten den Kontakt, erst per Handy, später sehen wir auch Zijushs ehemalige Klassenlehrerin und seinen besten Freund, wie sie in den Ferien nach Mazedonien reisen, um sich dort ein Bild davon zu machen, wie Zijush und seine Familie nun leben: Als Roma werden sie massiv diskriminiert, bekommen keine Arbeit, hausen in einem Elendsviertel.
Schneider bleibt mit der Kamera nah an den Menschen. Sie zeigt, wie verheerend es für Zijush und seine Familie ist, Deutschland verlassen zu müssen, und wie alltäglich die Diskriminierung der Roma in Mazedonien ist. Indem sie dieses eine Schicksal so intensiv, komplex und einfühlsam vorstellt, erzählt sie exemplarisch von der gnadenlosen Realität der deutschen (Flüchtlings-)Politik.
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