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Flug der Libellen

Am Sonnabend feiern sie mit einer Wiedereröffnung ihre Punktlandung: die Künstler*innen Eva Noack und Ilona Ottenbreit haben das Atelierhaus Mengerzeile gerettet – durch einen Kompromissfrieden mit dem Kapital

In der Zeit der Sanierung des Hauses haben sie unter dem offenen Dachstuhl in Zelten gearbeitet

Von Anselm Lenz

Ihre Katastrophe kam per Post ins Haus. Eine Kündigung von einem neuen Eigentümer, dessen Namen die Künstler*innen nie zuvor gehört hatten. Das war im Dezember 2013. Eva Noack und Ilona Ottenbreit zogen daraufhin in einen Kampf um ihre Werk­räume. Nach sechs Jahren Paragrafendschungel, Korrespondenz, Grenzen aufzeigen und Bezirzen haben sie einen Kompromissfrieden erreicht. Sie werden zusammen mit den Dutzenden Künstler*innen in ihrem Gefolge und Publikum am Samstag ab 13 Uhr die Wiedereröffnung ihres Atelierhauses Mengerzeile feiern – und dies zusammen mit dem Investor, der ihnen einst ihre Kündigungen hatte zustellen lassen, sieh an!

„Endlich wieder Kunst machen, kein Krisenmanagement!“ Ottenbreit ist Malerin und Performerin, die sich mit „eigentlich unrealistischen Haltungen und Figuren“ auseinandersetzt, wie sie der taz vor ihrem großformatigen Gemälden erzählt. Die Körper sind kollektiv in Stürzen, Verrenkungen, Tänzen und gegenseitigen Stützgriffen verbunden. Ottenbreit kombiniert Live-Situationen mit Darsteller’innnen, deren Schattenwürfe sie auf die Leinwand übersetzt.

Eva Noack arbeitet mit Buchstaben, „konkrete Poesie!“, funkelt sie aus wissenden Augen an ihrem Arbeitstisch mit Tausenden wohlsortierten Print­snippets. Ihre kleinformatigen Werke schließen an Collagen und Druckgrafiken etwa Kurt Schwitters’an. Die gebürtige Cottbusserin wird zur Wiedereröffnung des Atelierhauses mehrere Dutzend Textpaare in deutscher und englischer Sprache präsentieren (darunter jenes vom taz-plan-Titel). In der Zeit der Sanierung des Hauses hat sie unter dem offenen Dachstuhl in Zelten gearbeitet, und mit Ottenbreit die Handwerker mit Kaffee und Kuchen versorgt. „Auszuziehen wäre das falsche Signal gewesen.“ So eine Katastrophe hält was aus.

Dass es diese Baustellensituation überhaupt gab, verdankt sich auch dem Investor Christoph Höhne, der nicht damit leben wollte, mit seiner Sanierungsfirma Berlinovelle zur weiteren Verödung Berlins beizutragen. In einer Art sozialdemokratischen Burgfriedens verbündeten sich Künstler/innen und das Kapital. Gemeinsam erhielten sie den Kunststandort, anstatt alles in Top-Flats umzuwandeln.

Ottenbreit und Noack zahlen jetzt 9 Euro je Quadratmeter warm, zuvor waren es 5,90 Euro kalt. Ein Teil des Vorderhauses und das oberste Stockwerk des Hinterhauses mussten für neue Eigentümer abgegeben werden. Der alte Charme ist nach der Sanierung nicht ganz verflogen, trotzdem wird auf dem blitzsauberen Zwischenhof und in den sterilen Treppenhäusern das Leben erst mal wieder toben müssen.

Warum Investor Höhne beim totalen Profit Abstriche machte, erläutert dieser auf taz-Nachfrage mit einem Zitat von Graham Bell: „Geh nicht immer auf dem vorgezeichneten Weg, der nur dahin führt, wo andere bereits gegangen sind.“ Vor seinem Wirtschaftsstudium hat er ein paar Semester Philosophie an der Berliner HU studiert.

Für Noack und Ottenbreit endet eine Odyssee, bei der sie zunächst versucht hatten, das Haus selbst zu kaufen, um es mit den anderen Künstler§innen abzuzahlen. Die Commerzbank sagte den Kredit zu – und ließ sie dann ohne Worte fallen. Die Stiftung Nord-Süd-Brücken wollte einsteigen, aber es gab Verständigungsprobleme mit dem Verkäufer. Hätte es geklappt, würden am Samstag auch eine Geflüchtetenwerkstatt und ein Dachgarten miteröffnet.

Für die nun errungene Lösung haben der städtische Atelierbeauftragte, Florian Schöttle, das ABBA-Netzwerk für Künstler!nnenräume und auch der zwischenzeitliche Staatssekretär Tim Renner eine positive Rolle gespielt. Letzterer nahm den Kampf der KünstlerXes auf deren Bitte sogar zum Anlass, Landesbürgschaften einzurichten, mit denen künftig beim Senat beantragt werden kann, dass dieser als Bürge auftritt. Ein Instrument, das für den Kauf der Mengerzeile zu spät kam, aber künftig sehr interessant werden wird.

„Ja, es wird eine Siegesfeier“, feixen die beiden in ihrem Innenhof, den immer noch eine straffe Linie durchzieht, wo früher die Berliner Mauer stand. Zwei Libellen vollführen ihren Zickzackkurs in der Luft über den letzten abgedeckten Baumaschinen; „lustiger Zufall“. Am Sonnabend sind die Produktionsstätten zu besichtigen und Musik von Desmond Garcia aus dem früheren Amiga-Klub zu hören.

Amiga-Klub? Ja, die Mengerzeile hat eine noch größere Geschichte: Hier war bis 1990 das Amiga-Label angesiedelt gewesen, das in dem erklärten Jazzland DDR internationale Größen wie Ernst-Ludwig Petrowsky verlegt hatte, dessen Musik in Hunderte DDR-Jazzklubs bis nach Plauen und Glauchau ausstrahlte. Und auch die Beatles, die Puhdys und wie immer auch massenhaft Schlager und andere Parteilieder wurden hier an der Ostseite der Mauer verlegt. Nach dem Ende der DDR-Tonträgerproduktion hatten sich 1992 anarchistische Künstler*innen mit einem Tunnel ins verrammelte Gebäude gegraben. Am Samstag kommt der Umbruch an ein vorläufiges Ende: Die jetzige Nutzung gilt vertraglich bis 2039.

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