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Graphic Novel zur Zwangsarbeit in BremenDie Toten von Farge

Im Comic „Valentin“ beleuchtet Jens Genehr die NS-Zwangsarbeit beim Bau des U-Boot-Bunkers Farge. Wo der Autor Abstand nimmt, klappt das am besten.

Propagandabild trifft auf den Bericht eines Zeitzeugen: „Valentin“ von Jens Genehr Foto: Jens Genehr/Golden Press

Bremen taz | Raymond Portefaix kam zurück. Er hatte die Zwangsarbeit im Bunker Farge überlebt, den Hunger und die Krankheiten, er starb nicht an Durst bei der Evakuation des Zwangsarbeiterlagers am Kriegsende und er wurde beim Aufstand der Häftlinge in den letzten Kriegstagen nicht erschossen.

Dem Zeitzeugen, der seine Erlebnisse 1947 niederschrieb und veröffentlichte, gehört die Endszene der gerade erschienenen Graphic Novel „Valentin“. Autor Jens Genehr hat sich hier dem Bau des U-Boot-Bunkers in Farge gewidmet; bei seiner Errichtung kamen zwischen 1943 und 1945 mindestens 1.300 Zwangsarbeiter ums Leben.

Erzählt wird die Geschichte aus zwei Blickwinkeln, beide gehen auf reale Quellen zurück: Da ist zum einen der Erlebnisbericht von Portefaix, der 1995 unter dem Titel „Hortensien in Farge“ in Auszügen auch auf Deutsch erschienen ist.

Diese Innenperspektive wird ergänzt durch die des deutschen Propagandafotografen Johann „Jonny“ Seubert, der von Sommer bis Herbst 1944 den Bau dokumentierte. Seuberts Tätersicht auf den Bau kommt in den Fotos und Videos zumeist aus der Totale und der Halbtotale.

Gelungener Zugang

Diese Mischung aus Täter- und Opferperspektive, Drauf- und Innensicht ist ein gelungener Zugang, um das System Bunker Valentin in seiner Komplexität zu beleuchten. Interessant ist etwa der Kontrast zwischen den Bildern, wenn der Leser Jonny auf seiner Suche nach Motiven begleitet und kurz darauf das Lager aus Sicht der neu ankommenden Zwangsarbeiter sieht.

So ganz scheint der Autor seinem Medium allerdings nicht zu trauen – er will Film oder Roman sein, auch belanglose Szenen werden minutiös ausbuchstabiert: 21 Panels auf drei Buchseiten braucht es, um Fotograf Jonny seinen Auftraggebern vorzustellen.

Der Opportunist Jonny wird auch in seinem Alltag abseits der Baustelle gezeigt und somit nicht als das reine Böse; auch bei den Lagerältesten, die durch Kooperation einen Sonderstatus erhalten und brutal gegenüber Mithäftlingen vorgehen, verschwimmen die Grenzen zwischen Tätern und Opfern. Die Graphic Novel verliere sich nicht in einfacher Schwarz-Weiß-Malerei, loben auch Christel Trouvé, Leiterin der Gedenkstätte am Bunker Valentin, und Literaturwissenschaftlerin Karen Struve.

Doch jenseits der nicht ganz neuen Erkenntnis von der Banalität des Bösen sind die Figuren recht platt gezeichnet. Die Deutschen sehen sehr böse oder sehr dumm aus und Nahaufnahmen in verzweifelte Gesichter machen überdeutlich, dass hier jemand verzweifelt. In einem Film würde man den Schauspielern wohl Overacting vorwerfen.

Trotz dieses Hangs zum Plakativen gelingt es dem Comic, zu berühren. Das liegt zum einen, natürlich, am Sujet: Wenn die Häftlinge sich Fäkalien an Nadeln in ihre Gelenke rammen, um Krankheiten zu provozieren, wenn der große Hunger thematisiert wird, der Kannibalismus auf dem Todesmarsch am Kriegsende – dann geht das zwangsläufig nah.

Das Buch

Jens Genehr: Valentin. Golden Press, 240 Seiten, 32 Euro

Doch auch Genehrs Bildsprache kann dazu beitragen. Der in Grautönen gezeichnete Comic ist dort am stärksten, wo er ohne Text auskommt und auch bildlich ein Stück zurücktritt, in Großaufnahmen des Bunkers oder einer norddeutschen Idylle. Wenn der lange Zug der Häftlinge durch die Ebene stapft und Leichen am Wegesrand liegen, wirkt das stärker als die im Detail auserzählte Gewalt.

Der Zwangsarbeiter Raymond Portefaix kommt am Ende der Geschichte zurück nach Frankreich. Doch die meisten Menschen am Bahnhof von Murat warten umsonst auf ihre befreiten Angehörigen: Von den 120 von den Nazis entführten Dorfbewohnern haben nur 30 überlebt.

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