Wiederbelebung alter Luftschutzbunker: Decke übern Kopf

Die deutschen Weltkriegsbunker wurden vor 15 Jahren aufgegeben. Angesichts des Ukrainekrieges könnte das wieder rückgängig gemacht werden.

Ein Mann geht durch eine Bunkertür

Begehrte Zuflucht: Eingang des ABC-Bunkers unter dem Hauptbahnhof in Nürnberg Foto: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

BREMEN taz | Überm Tor zur Vergangenheit prangt ein blaues Dreieck auf einem orangen Kreis: das internationale Symbol für Zivilschutz. Wolfgang Schwabe schließt mit zwei Schlüsseln eine Gittertür auf, hinter der ein paar Stufen ins Dunkle führen. Es ist der Eingang zum Hochbunker in der Bremer Admiralstraße – ein Bauwerk der Nazis, das im Kalten Krieg zu neuen Ehren kam und von dem man sich jetzt fragen kann, ob es vielleicht vorschnell aufgegeben wurde.

Schwabe ist ein älterer Herr in Jeans und trägt eine Umhängetasche mit der Aufschrift „Stattreisen“. Für dieses Unternehmen führt der Rentner Touristen durch die Bremer Unterwelten, zu denen der Hochbunker zwar nicht faktisch, aber umso mehr atmosphärisch gehört. Schwabe ist selbst ein Kind der 1950er Jahre. Der Bunker wurde seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gebraucht, ist seit 15 Jahren außer Betrieb. „Ich bin glücklich, dass ich in dieser Zeit in diesem Land aufgewachsen bin“, sagt der Stadtführer.

Doch seit Russland die Ukraine überfallen hat, ist die Zeit eine andere geworden. Plötzlich dringt durch, dass in russischen Talkshows schon seit ein paar Jahren darüber diskutiert wurde, wie das Baltikum annektiert oder ein Atomkrieg geführt werden könnte, wie Publizistin Marina Weisband berichtete. Erinnerungen an den Kalten Krieg kommen hoch: Atomkriegsfilme, Friedensdemos, Nato-Herbstmanöver.

Der Hochbunker in der Bremer Admiralstraße wurde wie viele seiner Art in den Jahren 1941 bis 1943 erbaut, nachdem sich der zunächst begonnene Bau von Tiefbunkern als zu aufwendig erwiesen hatte. Wie heute noch in Bremen, Hamburg und Berlin zu sehen ist, füllten diese Bunker Baulücken. Sie sollten nicht weiter auffallen und sich in die Häuserzeile einfügen. Während des Krieges wurden sie mit optischen Täuschungen bemalt.

Das Wort „Bunker“ stammt aus dem Englischen und bezeichnete im 19. Jahrhundert einen Behälter für Schüttgut wie Kohle; im übertragenen Sinne taucht es als Synonym für Knast auf und im Ersten Weltkrieg dann als Bezeichnung für mit Beton befestigte Unterstände.

Die alte Bundesrepublik hatte 1990 rund 2.000 öffentliche Zivilschutzbauten. 2007 beschloss das Bundesinnenministerium, diese Schutzräume aufzugeben, zu schließen und durch die Bundesanstalt für Immo­bilienaufgaben verkaufen zu lassen.

Die Schutzräume gehören in der Regel Privaten oder Kommunen. Rund 600 hat der Bund noch nicht entwidmet.

Diese „Luftschutzhäuser“, wie die NS-Regierung sie nannte, sind in der Regel nicht nur Betonklötze. Ihre Fassaden sind häufig durch Gesimse oder Lüftungslöcher gegliedert. Ursprünglich sollten sie der Umgebung entsprechend verkleidet werden, was aber 1941 wegen Arbeitskräftemangels verboten wurde. Die Nazi-Planer griffen gerne auf Formen der Vergangenheit zurück. So entstanden runde, tatsächlich verklinkerte Türme nach dem Vorbild mittelalterlicher Stadttore.

Solche Türme des patentierten Typs „Zombeck“ hatten im Inneren eine spiralförmige Rampe, die es ermöglichte, sehr schnell Hunderte von Personen aufzunehmen. Dazu kamen wenige aufwendige überdeckelte Betongräben, Röhren- und flache Rundbunker, die zwar keinen direkten Treffer abkonnten, aber vor Bombensplittern schützten, deren Einschlag an mancher Wand zu sehen ist.

Auch die Fassade des Bunkers Admiralstraße ist im archaisierenden Nazi-Stil verkleidet, mit ausbetonierten Ecksteinen, Mauerbändern und Toren mit angedeuteten Sturzbögen. Der unvollendete Bunker bekam im August 1944 einen Treffer auf das eingeschalte Dach, wurde von den verzweifelten Menschen aber trotzdem weiterhin aufgesucht.

Saal mit Stockbetten und Sitzschalen

Geschlafen wird in Schichten: Aufenthaltsraum im ABC-Bunker unter dem Nürnberger Bahnhof Foto: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

In den Jahren 1972 bis 1975 setzte der Bremer Senat den Bau im Auftrag des Bundes instand und baute ihn mit Blick auf einen möglichen Atomkrieg aus. Knapp 2.600 Bremer sollten dort 14 Tage ausharren können – so lange, bis die schlimmste Radioaktivität draußen abgeklungen wäre. In einer Schaltzentrale hat einer der beiden privaten Besitzer die Kopie der Schlussrechnung aufgehängt: 3,3 Millionen Mark, darunter 2,6 Millionen für den Rohbau und 600.000 für Technik wie die Be- und Entlüftung sowie die Netzersatzanlage.

Dass so eine Anlage Ernst macht, zeigt sich gleich am Eingang, einer Schleuse mit zwei konkaven druckfesten Stahltüren. Eine der beiden Türen an den Enden eines L-förmigen Gangs musste stets verschlossen sein, um eine mögliche Druckwelle abfangen und auch den Zustrom an Schutzsuchenden kontrollieren zu können. Der Schwenkbereich der maschinell betriebenen Türen ist mit schwarz-gelben Bögen markiert.

Neben der inneren Tür befindet sich eine Art mit Panzerglas geschützter Schießscharte im 30 Zentimeter starken Beton, darüber ein Kasten mit Steuerungsknöpfen, daneben ein schwarzes Telefon. Von hier aus konnte der Torwächter beobachten, was sich in der drangvollen Enge der Schleuse abspielte; ein Spiegel ermöglichte sogar den Blick um die Ecke. Neben der inneren Tür hing Werkzeug an der Wand: Säge, Beile, mehr als faustgroße Ladestationen für Handlampen. Vorgehalten wurden auch Vordrucke wie „Suchmeldung“ und „Aufenthalts­ermächtigung“.

Die Generation, die den Bunker eingerichtet hat, wusste aus Erfahrung, worauf es ankommt. „Alle Aggregate sind hier federnd gelagert“, sagt Schwabe und klopft gegen ein mannsdickes graues Rohr. Gläserne Lampen sind mit Gummipuffern an die Wand geschraubt worden, Leitungen schwingend aufgehängt, um ihr Reißen zu verhindern.

Den Anstoß, Weltkriegsbunker zu ertüchtigen oder neue Zivilschutzanlagen zu bauen, gaben der Koreakrieg 1950 bis 1953 und die Kubakrise 1962, bei der die Welt tagelang am Rande eines Atomkrieges stand. Laut den Zahlen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gab es Anfang der 1990er Jahre beim Auslaufen des Programms in der alten Bundesrepublik rund 2.000 öffentliche Schutzräume. Routinemäßig wurden dafür Tiefgaragen und Bahnhöfe so geplant, dass sie im Verteidigungsfall die Bevölkerung schützen konnten.

Dazu kamen rund 9.000 Hausschutzräume, deren Bau zwischen 1968 und 1996 mit 55 Millionen Euro gefördert wurde. Wie heute eine umweltfreundliche Heizung konnte sich der Bürger damals den Keller vom Staat mitfinanzieren lassen.

Stehenlassen für den Ernstfall

Obwohl der Kalte Krieg zu Ende war, hielt der Bund die Schutzräume weiter vor, beschränkte sich aber darauf, sie instand zu halten. Im Zivilschutzneuordnungsgesetz von 1996 hieß es, sie hätten nach wie vor die Aufgabe, „den Schutz der Zivilbevölkerung in einem nicht völlig auszuschließenden Verteidigungsfall zu gewährleisten“. – Allerdings übernahm das damalige Bundesamt für Zivilschutz die Anlagen der ehemaligen DDR erst gar nicht.

Nach den Terroranschlägen vom 9. September 2001 rückten der Bund und die Länder vollends vom alten Konzept ab. Im Frühjahr 2002 verständigten sich die Länderinnenminister auf eine „neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland“. Diese erklärte einen klassischen Krieg in Europa für „höchst unwahrscheinlich“.

Ein Wohngebiet, in dem zwei Bunker stehen, die wie Wohnhäuser aussehen.

Als Wohnhäuser getarnt: Bunker Bickenerwende Ecke Burgstraße in Siegen Foto: Hans Blossey/imago-images

Stattdessen müsse Deutschland – auch in Zusammenhang mit seinem zunehmenden weltweiten Engagement – mit Angriffen im Stile von 9/11 rechnen. Solche überraschenden Angriffe hätten „im Gegensatz zu klassischen Kriegs- oder Angriffsszenarien unter den Aspekten der nicht vorhandenen Vorwarnzeiten, dem potenziellen lokalen Einsatz von Massenvernichtungsmitteln und der Missachtung aller völkerrechtlichen Regularien eine neue Dimension“.

Dann wurde der Bevölkerungsschutz neu organisiert. Die Zivilschutzbunker wurden 2007 aufgegeben, sukzessive aus der rechtlich fixierten Nutzung entlassen und es wurde mit dem Verkauf begonnen. Marco Haase, der damalige Sprecher der Hamburger Innenbehörde, brachte das so auf den Punkt: „Jahrzehntealte Bunker aus dem Kalten Krieg helfen im Kampf gegen islamistische Terroristen nicht sehr viel weiter.“

Die nächste Krise kommt bestimmt

Nun hat sich der Wind ein weiteres Mal gedreht. Auf eine Anfrage der FDP-Abgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein teilte der Hamburger Senat Anfang März mit: „In Hamburg stehen dem Zivilschutz derzeit keine Objekte zur Verfügung.“ Der Bund wolle das Rückbaukonzept jetzt allerdings prüfen. Dazu solle zügig der Bestand erfasst werden. „Wir entwickeln derzeit Konzepte, wie künftig ein effektiver baulicher Bevölkerungsschutz aussehen kann“, sagt BBK-Präsident Armin Schuster. Eine Umsetzung wird jedoch Zeit und viel Geld kosten.

Klar ist, dass ein solcher Schutz nur einem Bruchteil der Bevölkerung zugute kommen würde, wie leicht auszurechnen ist, wenn die modernsten Mehrzweckanlagen auf 5.000 Menschen ausgelegt sind. Im Zweiten Weltkrieg waren die Schutzbauten allerdings stark überbelegt.

Laut einer Monografie von Helga Schmal und Tobias Selke zum Luftschutz in Hamburg standen den 1,7 Millionen Bewohnern während des Feuersturms im Juli 1943 knapp 170.000 Plätze zur Verfügung, die von 400.000 Schutzsuchenden genutzt wurden. Dazu kamen fast 380.000 Plätze im Selbstschutz, also in ausgebauten Kellern.

In manchem neu gebauten Mietshaus aus den 1930er Jahren ist die Kombination aus gasdichten Bunkertüren, Schleuse und Splitterschutz vor den Kellerfenstern noch intakt. In älteren Häusern wurden die Kellerwände verstärkt, Decken abgesteift, Gasdichtungen eingebaut und Durchbrüche zu den Nachbarkellern vorbereitet. Angesichts der zusammengestürzten und brennenden Häuser und Straßenzüge war das manchmal die einzige Chance zu entkommen; zugleich konnte die Verbindung zur tödlichen Falle werden, wenn sich Kohlenmonoxid von schwelenden Brandherden in den Kellern ausbreitete.

Stadtführer Schwabe erzählt, er habe fast nie alte Menschen bei seiner Führung. Einmal habe er seine Schwiegermutter, Jahrgang 1935, gefragt: Ob sie nicht einmal mitkommen wolle? Doch die habe abgewunken: Sie habe genug in den Kellern gesessen in Lodz, für sie damals Litzmannstadt. Das wecke in ihr nur böse Erinnerungen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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