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Machtkampf um Grünen-FraktionsvorsitzVerborgene Botschaften

Harmonie oder mehr Profil? Beim Wettbewerb um den Fraktionsvorsitz der Grünen prallen unterschiedliche Strategien aufeinander. Eine Analyse.

Wollen wieder ChefInnen werden: Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt Foto: dpa

Berlin taz | In Bewerbungsschreiben sind die letzten Sätze oft die wichtigsten, denn sie bleiben im Gedächtnis haften. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, der im Moment daran arbeitet, wieder Chef zu werden, schreibt ganz am Ende in seinem Bewerbungsbrief an die Abgeordneten: „Ich habe meine Rolle als Vorsitzender gemeinsam mit Katrin immer so verstanden, den Zusammenhalt unserer Fraktion und der Grünen insgesamt zu wahren.“

Darin steckt eine verborgene Botschaft: Mit den anderen beiden, mit Cem Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther, könnte es anders laufen. Es könnte Streit geben, mehr Profilierung gegeneinander, mehr Unruhe. Hofreiter und seine Co-Vorsitzende Katrin Göring-Eckardt werben gerade in eigener Sache. Seitdem Grünen-Promi Özdemir und die Bremer Bundestagsabgeordnete Kappert-Gonther erklärt haben, gegen sie anzutreten, müssen beide für ihre sicher geglaubte Wiederwahl kämpfen. Welche Strategien stehen gegeneinander?

Hofreiter und Göring-Eckardt versprechen Harmonie und Geschlossenheit. Sie haben sich in eine bestimmte Rollenverteilung gefügt. Die charismatischen Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock, seit gut eineinhalb Jahren im Amt, dürfen auf dem grünen Oberdeck glänzen, die Fraktion versteht sich als Maschinenraum – und stellt die Expertise bereit. Diese Hackordnung ist ungewöhnlich, in der Grünen-Historie gab oft die besser ausgestattete Bundestagsfraktion den Ton an.

Gleichzeitig stimmen sich die beiden FraktionschefInnen eng mit der Parteispitze ab. Die Geschlossenheit wird von Hofreiters und Göring-Eckardts UnterstützerInnen als wichtiges Argument dafür angeführt, am Status quo in der Fraktion festzuhalten. Er sei sicher, „dass (…) unser Team-Play der Ausgangspunkt für unsere aktuelle Stärke ist“, schreibt Hofreiter in seinem Brief, der der taz vorliegt.

„Team-Play“ als Stärke

Hofreiter und Göring-Eckardt wissen, dass sie nicht unumstritten sind. Bei der Vorstandswahl vor zwei Jahren hatten beide jeweils nur rund zwei Drittel der Stimmen der 67 Grünen-Abgeordneten bekommen – ohne GegenkandidatInnen. Auch in ihrer ersten Reaktion auf die überraschende Konkurrenz fielen Schlüsselwörter wie „Zusammenhalt“ oder „Ausgleich“. Göring-Eckardt betonte vor gut einer Woche: „Toni und ich führen die Fraktion zusammen aus der Mitte heraus.“

Aus der Mitte heraus – auch in diesem Halbsatz stecken mehrere Botschaften. Einerseits halten sich Hofreiter und Göring-Eckardt zugute, als ChefInnen verschiedene Positionen integriert zu haben. Das Ende früher üblicher Flügelstreitigkeiten wird in der Partei als wichtige Ursache für ihren Erfolg gesehen. Dann wäre da ein kleiner Seitenhieb auf Özdemir. Viele erinnern sich noch daran, wie zerstritten die ehemaligen Parteivorsitzenden Özdemir und Simone Peter zwischen 2013 und 2018 waren.

Und nicht zuletzt zielt der Halbsatz auf die Abgeordneten, die am 24. September die Fraktionsvorsitzenden neu wählen. Mitte, das heißt: Hofreiter und Göring-Eckardt werben damit, die Interessen der Realos und Parteilinken gleichberechtigt mitzudenken. Das ist nicht unwichtig. Entscheidend ist es ja, Stimmen aus beiden Lagern, solche von Realos und Linken, auf sich zu vereinen.

Sich mittig zu positionieren, kann deshalb erfolgreicher sein, denn als eindeutig erkennbarer Flügelvertreter anzutreten. Das musste die Grüne Kerstin Andreae erfahren, die 2013 gegen Göring-Eckardt im Wettbewerb um den Fraktionsvorsitz antrat. Während Andreae, eine Reala aus Baden-Württemberg, dafür warb, Brücken zur Wirtschaft zu bauen, war Göring-Eckardt im vorherigen Wahlkampf mit sozialen Anliegen sichtbar – und somit eher für die Fraktionslinken wählbar. Göring-Eckardt gewann die Wahl damals deutlich.

Raus aus den Schrebergärten

Özdemir und Kappert-Gonther sind in der derzeitigen Konstellation die AngreiferInnen. Sie versprechen der Fraktion mehr Sichtbarkeit und Profil. Ihre AnhängerInnen verweisen darauf, dass Özdemir andere Milieus anspreche und ein glänzender Redner sei, der auf der wichtigen Bühne des Parlaments bessere Auftritte hinlege als Hofreiter oder Göring-Eckardt. Sie nehmen auch die Genervtheit mancher Abgeordneter auf, die finden, dass die Fraktion neben dem Parteivorstand allzu unauffällig vor sich hin werkele. Es gehe darum, „mit neuem Schwung der Gegenpol einer schwachen Regierung zu sein“, schreiben sie in ihrer gemeinsamen Bewerbung.

Außerdem versprechen sie einen anderen Führungsstil. Die Fraktion sei besonders erfolgreich, wenn Zusammenarbeit „nicht Zuarbeit aus fein parzellierten Kleingärten heißt“, sondern gemeinsames Einstehen für miteinander entwickelte Projekte. Das ist eine feine Spitze: Jeder Grünen-Abgeordnete bewirtschaftet im Moment kleine, voneinander mehr oder weniger sorgfältig abgetrennte Themenbereiche. Eine Tatsache, die immer wieder zu Eifersüchteleien und Ärger führt.

Um die Erwartungen an die Grünen zu erfüllen, brauche es „die Stärke der gesamten Fraktion“, sagt Kappert-Gonther, die bisher drogenpolitische Sprecherin der Fraktion ist. „Ich glaube, dass diese Stärke sich noch mehr entfalten kann als bisher.“ Inhaltliche Unterschiede sind bisher nicht erkennbar. Weder Özdemir noch Kappert-Gonther mahnen Kurswechsel in relevanten Themen an. Das ist bei grünen Wettbewerben um Ämter aber nicht unüblich. Als es vor vergangenen Wahlen um die Spitzenkandidaturen ging, musste man inhaltliche Differenzen mit der Lupe suchen. Die Personen stehen im Vordergrund.

Am 24. September geht es nicht nur um den Fraktionsvorsitz, sondern auch um die Aufstellung für die nächste Bundestagswahl. Wer die Fraktion führt, kann eine herausgehobene Position im Wahlkampf und später ein Ministeramt für sich beanspruchen. Am Ende könnte es deshalb auf eine strategische Entscheidung hinauslaufen: Entweder wollen die Abgeordneten eine Fraktionsspitze, die das bisherige Modell ruhig und harmonisch fortführt. Oder sie wollen, dass Cem Özdemir wieder in die erste Reihe rückt – und neben Habeck und Baerbock stärker das Bild der Grünen prägt.

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3 Kommentare

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  • Zitat: „..., in der Grünen-Historie gab oft die besser ausgestattete Bundestagsfraktion den Ton an.“

    Dass Ausstattungsmerkmale darüber entscheiden, wer etwas zu sagen hat, ist nicht typisch für die „Günen-Historie“. Dass Besitz Macht bedeutet, ist ein Erbe vordemokratischer Zeiten. An der Gretchenfrage, wie sie es mit der Beteiligung materiell Schlechtergestellter halten, scheiden sich konservative und progressive Geister.

    Özdemir und Kappert-Gonther outen sich mit ihrer Bewerbung als Konservative, Hofreiter und Göring-Eckardt als Progressive. Die Fraktion muss sich nun entscheiden: Will sie a) dem Zeitgeist folgen und eine Rolle rückwärts machen, oder traut sie sich b) zu, die Gesellschaft aus der Sackgasse zu führen, in die Neoliberale sie chauffiert haben?

    Für a) spricht, dass die Fraktion für eine kurze Zeit etwas heller strahlen würden unter Özdemir. Allerdings nur genau so lange, wie sie dem Alphatier nützlich ist. Für Möglichkeit b) spricht ihre Nachhaltigkeit. Die Chance, auch nach der übernächsten Wahl noch für die Grünen im Bundestag zu sitzen, ist unter Hofreiter und Göring-Eckardt deutlich größer.

    Team-Play ist tatsächlich Ausgangspunkt der aktuellen Stärke der Grünen. Sie sind die einzige politische Kraft, der ihre Wähler dank innerparteilichem Interessenausgleich und Schrebergarten-Kompetenz eine gewisse Glaubwürdigkeit unterstellen. Dass mehr Sichtbarkeit und Profil für Özdemir am Wahltag mehr Stimmen bringen als eine sachbezogene Politik, halte ich mit Blick auf die Grünen-Wähler für eher unwahrscheinlich. Vor allem, wenn sich herausstellt, dass Özdemirs Entscheidungen mehr seiner Eitelkeit geschuldet waren als der Vernunft.

    Unter Özdemir (und K-G) werden die Grünen wohl weniger „der Gegenpol einer schwachen Regierung“ sein als vielmehr ihre eigene Konkurrenz. Genau wie SPD und die Linke werden auch die Grünen an der (keineswegs fähigeren oder einigeren) Union scheitern, denn deren Wähler hätten sowieso viel lieber einen (eingeborenen) König.

  • Es ist jetzt eigentlich zu spät um kluge Ratschläge zu geben. Ich bin ziemlich sicher, dass es Özdemir nicht wird und dass er sich mit seiner Kandidatur weiter ins Abseits begeben hat. Die Fraktion dürfte ganz zufrieden sein mit den jetzigen Verhältnissen und die Fraktion dürfte auch nicht unbedingt sichtbarer werden weil ein Fraktionschef Özdemir sichtbarer wird. Die Sichtbarkeit des Parlaments an sich geht ohnehin immer weiter zurück. Bei Özdemir liegt auch eine gewisse Tragik darin, dass seine inhaltlichen Positionen nicht zu seinen rhetorischen Fähigkeiten passen. Er könnte Attacke, er vertritt aber Schon- Positionen und ist damit schon ein bisschen aus der Zeit gefallen.

  • Bei Wahlen ist es möglich, dass man wieder gewählt oder abgewählt werden kann. Das ist ein normaler demokratischer Vorgang! Die Mitglieder der Bundestagsfraktion werden entscheiden!