piwik no script img

ZDF-Krimireihe „Schuld“Das Problem mit Schirach

Im ZDF startet die neue Staffel der Serie „Schuld“ nach Ferdinand von Schirach. Der Autor gilt als Genie – aber was, wenn er bloß Voyeurismus bedient?

Larissa Leibhold (Elisa Schlott) wird in der Krimiserie Opfer einer Gewalttat Foto: ZDF/Gordon Muehle

Manche Menschen werden in ihrem Leben zu Opfern. Wie zum Beispiel die 15-jährige Larissa Leibhold. Ein Nachbar vergewaltigt sie, Leibhold wird schwanger, neun Monate später gebärt sie ihr Kind auf der Toi­lette, verliert es genau da. Ein Gericht klagt sie später wegen Kindstötung an.

Oder Sheryl. Unbekannte überfallen sie beim Joggen im Park, vergewaltigen und töten sie.

Larissa Leibhold und Sheryl sind keine echten Personen. Sie sind Figuren in der neuen Staffel von „Schuld“, einer Krimiserie nach dem gleichnamigen Erzählband von Bestseller­autor Ferdinand von Schirach. Die Staffel startet am Freitag im ZDF.

Schirach, einst selbst Strafverteidiger, ist heute Mainstream-Autor. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, millionenfach verkauft und im Ausland auf die Bühne gebracht. Und obwohl seine Bücher letztlich Krimis sind, wie sie zu Tausenden in den Buchhandlungen liegen, umgibt den Namen „Schirach“ immer ein Hauch von Hochkultur.

Eine simple Formel

Was aber, wenn Schirach einfach Voyeurismus bedient, das Leid anderer zur einfachen Unterhaltung nutzt, und niemand es bemerkt?

Er selbst wird das nicht so sehen. Schirach inszeniert sich gerne als Kritiker, als einer, der nicht nur Blutgeschichten erzählt, sondern in seinen Büchern Fragen aufwirft über Moral und Schuld. Das ist richtig, Schirachs Geschichten gehen mehr in die Tiefe, zeugen von mehr Kenntnis des Rechtssystems, von einem Willen, dem Verbrechen wirklich nahezukommen, es nicht nur in grausligen Bestsellerfarben zu zeichnen. Und doch ist da ein zentrales Problem. Das Problem ist Schirachs Blick.

Entscheidend ist die Frage, aus welcher Position heraus Kunst entsteht. In einer aktuellen ZDF-Dokumentation über ihn heißt es, Schirach schaue lieber zu, am Rande. Denn da entstünden seine Geschichten über Abgründe, die Ambivalenz und die Würde des Menschen. Das klingt einleuchtend, aber bei näherer Betrachtung offenbart sich die Formel Schirachs als erschreckend simpel.

Frauen sind immer nur Opfer

Aus einer privilegierten Position – unbeteiligter, weißer, alter Mann am Rande des Geschehens – entsteht nichts weiter als die Abbildung vom Leid anderer. Ein Werk, das sich an Schicksalen bedient, sie sich für den Ruhm, für die Unterhaltung eines möglichst breiten Publikums zunutze macht. Denn bekannt ist, dass die Geschichten Schirachs nie nur reine Fiktion sind, er will sie so oder ähnlich in seiner Karriere als Anwalt erlebt haben.

Ein Werk, das sich an Schicksalen bedient, sie sich für den Ruhm, für die Unterhaltung eines möglichst breiten Publikums zunutze macht, ist nicht subversiv.

Diese Abbildung der Abbildung ist noch lange keine Kritik. Nichts daran ist subversiv.

Tatsächlich sind es oft Frauen, deren Schicksal es in „Schuld“ werden muss, Opfer von Gewalt und Verbrechen zu sein – und zwar einfach, weil sie Frauen sind. Es ist dieselbe einfache Rechnung, die sich durch einen Großteil der Krimiliteratur zieht: Du bist eine Frau, du bist ein Opfer. Schirach ist da in guter Gesellschaft in der männlich dominierten Branche. Autorinnen sind beim Krimi schlichtweg unterrepräsentiert.

Autoren dominieren die Literatur

Die Schriftstellerin Nina George hat in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medienforschung an der Universität Rostock eine Untersuchung zum Thema „Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“ veröffentlicht. George selbst hat lange Zeit renommierte Krimis unter einem männlichen Pseudonym veröffentlicht, denn sie wusste: Wer als Frau Krimiromane schreibt, wird vom Markt kaum beachtet. „Frauen schreiben fürs Herz, Männer fürs Hirn“, heißt es noch viel zu oft.

Die einzige Funktion der beiden zentralen Frauenfiguren in Schuld ist, Opfer zu sein

Auch das Ergebnis der Pilotstudie bestätigt das. „Autoren und Kritiker dominieren den literarischen Rezensionsbetrieb“, heißt es darin. 75 Prozent mehr Autoren als Autorinnen werden im literarischen Betrieb vorgestellt, 82 Prozent der Männer rezensieren am liebsten auch männliche Autoren im Genre Krimi. Also: Männer rezensieren Männer rezensieren Männer. Abbildung der Abbildung der Abbildung. Im Fazit heißt es: „Genres wie Sachbuch und Kriminalliteratur werden von Autoren wie Kritikern vereinnahmt.“

Nicht Ferdinand von Schirach muss dieses Problem lösen. Aber er ist eben auf unübersehbare Art auch Teil davon. Männliche Autoren wie Schirach produzieren Bücher, die viel zu oft vom sogenannten male gaze bestimmt werden, dem männlichen Blick auf die Wirklichkeit, auch auf die von Frauen.

Selbstreflexion allein reicht nicht

Der Begriff male gaze stammt aus der Filmtheorie. Sucht man diesen male gaze bei Schirach, stößt man schnell auf Larissa Leibhold und Sheryl, die beiden zentralen Frauenfiguren in der neuen Staffel „Schuld“ – deren einzige Funktion in der Geschichte ist, Opfer zu sein. Dieser male gaze mischt sich auf toxische Weise mit einem ausgeprägten Voyeurismus.

Dass Schirachs Krimiserie so erfolgreich ist, zeigt uns, wie unkritisch in der Kulturproduktion mit dem Leid anderer, mit Gewalterfahrungen von Frauen umgegangen wird.

Es braucht, auch in der Literatur und im Film, mehr Selbstreflexion. Es braucht einen Schirach, der anerkennt, welche Verantwortung er hat – als Ex-Strafverteidiger und als Autor. Und es braucht dringend mehr Frauen. Mehr echte, die schreiben und gelesen werden. Und mehr Frauenfiguren, die mehr sind als Opfer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Tatsächlich ein völlig überflüssiger Artikel. Schirach einen "male gaze" vorzuwerfen, ist absurd. Wenn die Autorin Schirach kritisieren möchte, so sollte sie sich tatsächlich die Mühe machen, seine Bücher zu lesen und nicht nur die Verfilmungen zu sehen, die NACH den Kurzgeschichten von Schirach entstehen, die Verfilmungen SIND eben nicht die Geschichten. Überdies würde ich der Autorin empfehlen, sich einmal mit den Essays von Ferdinand von Schirach zu befassen, z. B. in "Die Würde ist antastbar". Spätestens hier würde ihr vermutlich schnell klar werden, dass Schirach im Gegenteil eindeutig auf der Seite der Frauen steht, wenn er es z.B. begrüßt, dass eine Richterin ans Bundesverfassungsgericht berufen wurde, die eine Promotion zum Thema "Diskrimierung von Frauen am Arbeitsplatz" geschrieben hat. Das würde er wohl kaum tun, wenn er nicht über die ihm im Artikel abgesprochene Selbstreflexion diesbezüglich verfügen würde.

  • Ich glaube nicht das Schirach die Rolle der Frau als Opfer sieht. Fakt ist aber das Frauen die KÖRPERLICH schwächeren sind. Deswegen heute noch aber in früheren Gesellschaften viel öfter, zum Opfer wurden.



    Schirach setzt sich aber viel mehr mit der Frage auseinander: Wie gut oder schlecht sind unsere Gesetze. Die Folgen in Einzelfällen. Ich finde diesen Ansatz , ist Gesetz immer moralisch, sehr interessant. Klasse das hier ein Jurist schreibt.

  • Ich finde den Artikel auch für wenig überzeugend.

    • @Peter Hofmann:

      Ich habe bisher weder beim Lesen noch bei den Verfilmungen (als Frau) noch nie so empfunden. Im Gegenteil: Es entsteht Empathie mit Opfern und Tätern und innere Auseinandersetzung mit Schuld und Rechtsprechung und alles andere als Voyeurismus, weit entfernt vom Krimikonsum.

  • Offensichtlich hat die Autoren die Kurzgeschichten von Herrn Schirach, auf denen die Fernsehserie beruht, nicht gelesen. In ihrer Kritik bezieht sie sich auf die Fernsehserie, für die aber eher die Drehbuchautoren und Regisseure verantwortlich sind. Herrn Schirach allein aufgrund des Konsums der Fernsehserie einen "male gaze" vorzuwerfen ist daher absurd. Wenn schon, dann sollte die Autorin diesen Vorwurf an die Drehbuchautoren und Regisseure dieser Serie richten, zu denen auch zwei Frauen als Drehbuchautor und eine Frau als Regisseur gehören.

  • Wie sagt Schirach so schön: "Kritiken (...) letztlich ist es nicht bedeutungsvoll. Aus zwei Gründen: der eine Grund (...) sie selbst sind sich immer der größte Kritiker (...) und das Zweite ist, viel wichtiger als die Kritiker sind die Leser."



    Male gaze, Voyeurismus?



    Kunst muss in erster Linie berühren. Die Verfilmungen sind nicht schlecht, aber in erster Linie berühren (mich) seine Zeilen. Zumindest bei mir sprechen sie etwas tieferes an, als eine Faszination am Grauen. Es geht Schirach meiner Meinung nach um "Schuld" die mehr beinhaltet als einen einfachen Regelverstoß. Und sie spiegeln die verzweifelte Suche nach dem oftmals unbeantworteten Warum. Ich habe jetzt nicht durchgezählt, aber spontan fallen mir einige männliche Opfer seiner "Schuldreihe" ein. Dass sich in seinen Werken eine überbordende männliche Weltsicht Bahn brechen soll, kann ich schon gar nicht nachvollziehen.

  • Nun, nicht immer sind bei Schirach Frauen die Opfer. Zufällig habe ich gestern einen Film dieser Reihe gesehen, in dem die eigentliche Täterin ein Schulmädchen war, dass durch eine Falschaussage einen erwachsenen Mann in den Knast gebracht hatte. Aber wahrscheinlich wird die Autorin diese Filmepisode ebenfalls als Beleg für einen "male gaze" ansehen. Es ist also ganz egal ob Frauen als Opfer oder Täter dargestellt werden. Für die Autorin ist in Wirklichkeit ausschliesslich ausschlaggebend, dass Herr Schirach ein alter, weißer Mann ist.

  • Wenn das ein "male gaze" ist, Frauen immer nur als Opfer darzustellen, dann haben auch viele Feministinnen diesen "male gaze".