Aufsehenerregende Kunstaktion: Bäume als Golden Goal
Klaus Littmann überführt im Klagenfurter Wörthersee-Stadion eine Zeichnung von Max Peintner von 1970 in eine dreidimensionale Intervention.
Ein paar Männer auf den Zuschauertribünen sind aufgestanden, so sehr nimmt sie das Geschehen auf dem Rasen mit. Auch Klaus Littmann stand, als er diese Szene das erste Mal sah, gewissermaßen auf. Littmann, in den 1970er Jahren Beuys-Schüler an der Kunstakademie in Düsseldorf und seither als international freischaffender Vermittler von zeitgenössischer Kunst unterwegs, wusste: Das Bild, das der österreichische Künstler Max Peintner in „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ entworfen hatte, musste er, Klaus Littmann, als dreidimensionale Installation realisieren.
Mehr als 30 Jahre später wird nun das Traumbild als Kunst im öffentlichen Raum wahr. Mit dem Wörthersee Stadion in Klagenfurt hat Klaus Littmann endlich das geeignete Stadion gefunden und mit Maria-Luise Mathiaschitz eine SPÖ-Bürgermeisterin, die seinem Projekt wohlwollend begegnete.
Dazu fand er die nötigen privaten Geldgeber und mit Enzo Enea einen Landschaftsarchitekten, mit dem sich nicht nur Bäume ausreißen, sondern verpflanzen lassen, und zwar so, dass sie keinen Schaden nehmen. Ein kleiner Wald mit 300 Bäumen, unter anderen Birken, Buchen, Tannen, Erlen oder auch Lärchen und Eschen, nimmt nun die Rasenfläche des Stadions ein. Und damit tut sich für die Zuschauer und Zuschauerinnen auf den Tribünen ein zauberhaftes, surreales Bild auf.
Das unwahrscheinliche Zusammentreffen von Naturidyll und technoider Arena-Architektur ruft prompt Assoziationen an die Floating Piers herauf, die Christo 2014 auf dem Iseosee verlegt hat. Auch wenn ein Andrang wie damals nicht zu erwarten ist, besteht selbstverständlich der Wunsch, die Kärntner Kunstaktion möge bis zum 27. Oktober die Schaulustigen in Massen nach Klagenfurt locken. Womit sich das Unternehmen freilich gewissermaßen ad absurdum führt. Denn Klaus Littmann mag noch so sehr betonen, seine Installation sei genuine Kunst, sie ist eben noch mehr. Sie ist – ob er will oder nicht – ein Denkmal.
Bis 27. Oktober, Wörthersee Stadion, Klagenfurt/Österreich
In Zeiten, in denen die Wälder des Amazonas brennen und Wald generell keine selbstverständliche Gegebenheit mehr ist, kommt man nicht umhin, in dem Klagenfurter Hain nicht nur eine Feier des Waldes, sondern auch ein Mahnmal gegen sein Sterben zu sehen. Zunächst ist er ganz sicher eine Hommage an die Bäume Mitteleuropas und ihr Grün, das uns die Luft zum Atmen gibt, zumal Enzo Enea die in Peintners Zeichnung streng beschnittenen Bäume eines Barockgartens durch natürlich gewachsene ersetzt hat.
50 Jahre alt, ragen sie schlank und rank rund zehn Meter in die Höhe und gemahnen gerade in ihrem gesunden Wuchs an die Verluste von Natur und Umwelt, die wir selbst mitverschulden, etwa durch die Flugreisen und Autofahrten nach Klagenfurt, um „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ zu erleben.
Für mehr Biodiversität
Kein Wunder, dass der lebhafte, 82-jährige Max Peintner während der Pressekonferenz auf der politischen Setzung besteht, als die er sein Idee gebendes dystopisches Szenario 1970/71 betrachtete. Zu denken gab ihm dann ein Freund, wie er weiter sagte, der ihm beibrachte, dass viele Leute seine Zeichnung nicht als Schreckensbild sähen, weil der Wald ihnen eh unheimlich und daher als Ausstellungsstück lieber sei. Die Realisierung erscheine ihm insofern spannend und richtig, bekannte Peintner zum Schluss, als er in der vom Stadion repräsentierten Technik inzwischen eine ganz wesentliche Ressource im Kampf gegen Klimawandel und für den Erhalt von Biodiversität sehe.
Dabei ist der ausgebildete Bauingenieur und studierte Architekt Max Peintner kein Technikfetischist, ganz im Gegenteil. Das zeigt die Ausstellung seiner faszinierenden Zeichnungen in der Stadtgalerie Klagenfurt. Wie der Titel eines 1969 von ihm herausgebrachten Heftes besagt, geht es in seinen Papierarbeiten um „Technik- und Zivilisationskritik unter dem Deckmantel der Utopie“. Und so ahnt 1970 ein Coca-Cola trinkendes Seglerpaar nicht, was sich hinter seinem Rücken auftut, nämlich „Die Verdunkelung Amerikas durch stationäre chinesische Satellitenkontinente. Anfangsphase. Ansicht vor der kalifornischen Küste“.
Und am „Mittag“ rast schon 1974 eine Linienmaschine direkt in das Bergmassiv der Alpen. Das Motiv fand dann 1978 auf einem Plakat zur Volksabstimmung gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf Verwendung, unter dem Motto „Der Kurs ist falsch“. Trotzdem, wir werden in die USA weiterhin nicht segeln, sondern fliegen. Verzicht allein, müssen wir vermuten, bringt uns nicht auf den richtigen Kurs.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Prozess zum Messerangriff in England
Schauriger Triumph für Rechte
Rückgabe von Kulturgütern
Nofretete will zurück nach Hause
Tarifverhandlungen bei Volkswagen
VW macht weiterhin Gewinn
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los