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Flüchtlingsdeal zwischen UN und AULuftbrücke in die Menschlichkeit

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen haben Kontingentflüge für Flüchtlinge von Libyen nach Ruanda vereinbart. Ein immenser Fortschritt.

Aus Seenot Gerettete an der Küste Libyens in al-Chums Foto: dpa

E uropa ist ein Meister des Wegsehens. Afrika, unser Nachbarkontinent? Weit weg. Massensterben im Mittelmeer? Nicht unser Problem. Horror in libyschen Internierungslagern? Kann man nichts machen. Flüchtlingsandrang nach Europa? Hatten wir schon, das hat gereicht.

Vor diesem Hintergrund ist es ein immenser Fortschritt, was die Vereinten Nationen jetzt mit der Afrikanischen Union vereinbart haben: 500 Migranten aus libyschen Lagern dürfen UN-Flugzeuge nach Ruanda besteigen, um dort vorerst Aufnahme zu finden. Es ist eine Luftbrücke in die Menschlichkeit. Europa hätte das längst tun können, wollte aber nicht. Jetzt tut es Afrika.

Natürlich ist das Flüchtlingsdrama an der südlichen Mittelmeerküste damit nicht gelöst. Was mit den ausgeflogenen Migranten passiert, ist genauso unklar wie ihre eigene langfristige Wahlfreiheit und ihre Zukunft. Ob irgendwann wirklich alle Lagerinsassen Libyens in Sicherheit gebracht werden können, ist nicht sicher. Und natürlich hält diese Initiative Flüchtlinge nicht davon ab, weiterhin gefährliche Fluchtrouten zu wagen und in Libyen zu stranden. Aber all das ist kein Grund, Menschenleben nicht zu retten.

Vielleicht bietet der Vorstoß aus Afrika ja auch einen Anstoß, in Europa neu über eine menschliche und vernünftige Flüchtlingspolitik nachzudenken: eine Politik, die zunächst Menschen aus Gefahren für Leib und Leben rettet und dann auf europäisch-afrikanischer Ebene gemeinsam Mechanismen für einen humanen Umgang mit Migranten entwirft. Nötig wäre eine Zusammenarbeit, die Migration nicht länger als einzudämmendes Problem bekämpft, sondern als Motor der Verständigung und des globalen Fortschritts fördert und leitet.

Die Zeiten dafür stehen günstig wie selten. Was Europa angeht, gibt sich dieser Tage die EU eine neue Führung; in Italien übernimmt eine neue Regierung die Macht und setzt hoffentlich Salvinis unmenschlicher Flüchtlingspolitik ein Ende. Auf afrikanischer Seite ist ebenfalls viel in Bewegung – nicht zuletzt hat im Sudan, einem der wichtigsten Herkunfts- und Transitländer, erst am vergangenen Wochenende eine der Demokratie verpflichtete Übergangsregierung ihre Arbeit aufgenommen.

Die Erfahrung lehrt, dass solche Zeitfenster, in denen viele neue Akteure ihre Arbeit aufnehmen und plötzlich vieles möglich scheint, nicht lange offen sind. Die neue EU-Kommission, deren Zusammensetzung zufällig zeitgleich mit der Unterzeichnung des afrikanischen Flüchtlingsdeals bekannt wurde, könnte hier den Schritt zu einer neuen Politik wagen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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1 Kommentar

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  • 500 Menschen sind ein Tropfen auf den heissen Stein. Dabei darf es nicht bleiben.

    Ruanda muss viel mehr Geflüchtete aufnehmen, sonst bleibt es bei einem rein symbolischen Akt ohne fühlbare Erleichterung. Insbesondere sollten Menschen rechtzeitig nach Ruanda gebracht werden, bevor sie in den libyschen Internierungslagern landen, wo sexuelle Übergriffe und Folter drohen und damit eine lebenslange Traumatisierung. Die grosse Zahl in Richtung Nord-Libyen nachrückender Flüchtlinge muss frühzeitig aufgefangen und in Sicherheit gebracht werden, noch bevor sie zwischen die Fronten des libyschen Bürgerkriegs geraten.

    Ausserdem sollte sicher gestellt werden, dass, wie hier beschrieben, ...



    taz.de/Evakuierung...s-Libyen/!5621264/



    ... die Menschen, falls sie nicht langfristig in Ruanda bleiben wollen, in die USA ausreisen dürfen und nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden. Amerika ist für viele ein attraktiveres Ziel als die EU und 1000 mal besser als ein Leben im Elend in Ruanda.