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Sachsens Grünen-SpitzenkandidatinVom Punk zum Boom

Katja Meier könnte die Grünen in Sachsen zu einem Rekordergebnis führen. Für eine Koalition mit der CDU stellt sie schon mal Bedingungen.

Vor grünem Hintergrund und bei den Grünen: die Politikwissenschaftlerin Katja Meier Foto: reuters

DRESDEN taz | Wenn man bedenkt, dass Katja Meier, 39, die Grünen am Sonntag in Sachsen zu einem historischen Ergebnis führen dürfte; dass ihre Partei im Freistaat gerade nur so boomt vor lauter neuen Mitgliedern; dass sie möglicherweise bald mit CDU und SPD über eine Regierung verhandelt, in der sie dann die Chance hat, stellvertretende Ministerpräsidentin zu werden – wenn man das alles bedenkt, dann wirkt sie verblüffend ungerührt.

Sie sitzt auf einer Kiste, das Gespräch findet im sympathisch verschrabbelten Hof des japanischen Palais in Dresden statt, um Meier herum wachsen in Hochbeeten Kräuter, aus denen auch der Tee ist, den sie gerade gegen die Hitze trinkt. Meier sagt: „Man tritt ja an, was zu verändern.“

Ist Meier ein Profi? Ihre Zeit bei den Grünen begann jedenfalls mit Wahlkampf. Nach dem Politikstudium machte sie mit 25 Jahren ein Praktikum in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen. 2005, Gerhard Schröder hatte gerade Rot-Grün hingeschmissen, es gab Neuwahlen, die letzte Kampagne von Joschka Fischer lief. Plötzlich war jede Hand gefragt, Meier war dafür zuständig, die Plakate in ganz Deutschland zu verteilen. Danach bewarb sie sich als Referentin des hessischen Landesvorstands.

In Wiesbaden – so westdeutsch wie nur was – beim Vorstellungsgespräch waren die Grünen neugierig auf die Ostdeutsche mit dem Zwickauer Dialekt. Es passte. Weil im Kreisverband gerade der langjährige Vorsitzende aufgehört hatte, wurde sie auch noch Kreischefin.

2010 war eine Stelle in der Landtagsfraktion in Sachsen frei. Meier machte im Dezember noch die Vorstandsklausur in Hessen mit, am Sonntag fuhr sie im Schneetreiben ihren vollgepackten Wagen über die Autobahn nach Dresden. In Sachsen gab es weniger Budget, weniger Mitglieder, weniger Einfluss. Aber Meier war zu Hause. Wenn sie vom sächsischen Landesverband erzählt, jammert sie nie. Sie spricht nicht von den schmalen Verhältnissen, meidet die Querelen, lobt das kreative Potenzial, erzählt von einem Mentoring für Nachwuchspolitikerinnen, das sie organisiert hat.

Später, 2015, rückte sie selbst als Abgeordnete in den Landtag nach. Bei nur acht Abgeordneten musste jede und jeder gleich eine Menge Themen bearbeiten. Meier stand für Verkehr, Gleichstellung – und Rechtspolitik, in diesem Fachausschuss saß sie nicht nur unter lauter Männern, sondern auch als Politologin unter lauter Juristen.

Zu sehr Politprofi?

Politikstudium, Referentin, Abgeordnete – der Eindruck liegt nahe, dass Meier nicht zu wenig Politprofi ist, sondern zu sehr. Sie sagt, dass es auch auf die Herkunft ankommt, auf die Familie und was man sonst so gemacht hat. Herkunft: Ein Fünfgeschosser in der Plattenbausiedlung von Zwickau Eckersbach, der Vater war Ingenieur im VEB Sachsenring, in dem der Trabant hergestellt wurde, die Mutter arbeitete im VEB Plauener Gardine. Beide haben nach der Wende ihren Arbeitsplatz verloren. Katja Meier ging aufs Gymnasium. Sie spielte in einer Punkband namens Harlekins Bass, einzige Frau, die Haare grün getönt.

Es waren die Neunziger, als vielerorts in Sachsen die Neonazis tief in die Jugendkultur eindrangen. Meier sagt, dass sie schon aufgepasst habe auf dem Nachhauseweg, aber persönlich habe sie es zum Glück nicht mit Rechten zu tun bekommen. Studium in Jena, Münster und Tartu in Estland. Danach suchte sie lange vergeblich Arbeit, etwa anderthalb Jahre bekam sie Hartz IV, daneben jobbte sie beim Bäcker in Münster oder hospitierte bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Dortmund.

Damals in Dortmund beschäftigte sie sich erstmals richtig mit den Grünen. Sie hatte den Eindruck, dass die Partei Gleichstellungspolitik glaubwürdig betrieb. Das ist auch heute ihr Thema: „Den Frauen gehört die Hälfte der Macht – auch in Sachsen“, sagt sie. Klimaschutz im Großen und ein gutes Nahverkehrssystem im Kleinen seien essenziell. Eine Naturschutzexpertin ist sie nicht. „Mich dürfen Sie jetzt nicht nach lateinischen Froschnamen fragen.“

Von Hessen lernen

Die Grünen stehen in den jüngsten Umfragen zwischen 10 und 11 Prozent. Damit würden sie ihr Ergebnis von 2014 verdoppeln. Ob sie regieren will und welche Strategie man in Koalitionsgesprächen fährt, dafür hat Meier vielleicht ein paar Dinge aus Hessen mitgenommen. Dort handelten die Grünen unter Tarek Al-Wazir ein Bündnis mit SPD-Chefin Andrea Ypsilanti aus, toleriert von der Linken. Es scheiterte an vier SPD-Abgeordneten, die ihre Zustimmung verweigerten. „Eine krasse Nummer“, sagt Meier.

Dass die Grünen damals nicht in den Strudel des Scheiterns gerieten, lag auch daran, dass sie immer ihre eigenen Themen hochhielten. Heute regiert Al-Wazir, Meiers früherer Chef, in der zweiten Wahlperiode mit der CDU. Und? „Radwege, Reaktivierung von Bahnstrecken, das Tarifsystem: Man sieht in Hessen, dass was geht, wenn man will.“

Tatsächlich könnte eine Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen am Ende die einzige Option sein, die die AfD sauber aus der Regierung heraushält. Erfahrung in Bündnisverhandlungen hat sie nicht. Aber sie ahnt, dass die CDU sich trotz aller Verluste immer noch für tonangebend halten wird. Dagegen hat sie das Rezept Inhalte, Inhalte, Inhalte. „Je stärker wir Bündnisgrüne sind, desto weniger kommt auch die CDU an unseren Themen vorbei“, sagt sie. „Wenn es beim Klimaschutz, beim Polizeigesetz oder beim längeren gemeinsamen Lernen keine Bewegung gibt, gibt es keine Grundlage.“

Und wenn die CDU nach einem Scheitern von Verhandlungen ihren Vorsitzenden Kretschmer stürzt und seine Nachfolger doch die AfD in die Regierung holen? „Das möchte ich mir nicht vorstellen.“

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3 Kommentare

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  • »Und? „Radwege, Reaktivierung von Bahnstrecken, das Tarifsystem: Man sieht in Hessen, dass was geht, wenn man will.“«

    Das ist absolut zu wenig. Das ist nichts, das ist lächerlich. Die Grünen in Hessen sind unsichtbar. Es macht mich fassungslos, wenn die Hessen ein Vorbild sein sollen.

    • 0G
      06455 (Profil gelöscht)
      @Sandor Krasna:

      Kann Ihnen nur zustimmen.



      Das läßt nichts Gutes hoffen.

  • Vom Punk zum Boom - in den 90ern hieß das: Vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer. Und nun will man sich in Sachsen mit der CDU in die Kiste legen - Vorbedingungen: Nix zählbares im Artikel. Eine CDU die rechte Strukturen im Land ungehindert werkeln ließ - jetzt mit Grüner Sauce?! Post-konservative Mittelstandspartei - kenn ich schon aus Baden-Württemberg. Da kann ja der ausgewiesene Migrantenfreund Palmer aus Tübingen bald als Minischter in Dresden andocken. Ja ja, die Sachsen die sind Helle.....