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Heime müssen Menschen vor Heißwasser schützen

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs muss ein Richter erneut den Fall einer behinderten Frau prüfen, die sich beim Baden verbrühte. Sie fordert Schmerzensgeld

Zu heißes Wasser kann gefährlich sein für Menschen, die nicht mobil sind Foto: Yip Vick/Unsplash

Von Kaija Kutter

Es kommt vor, dass sich betreute Menschen in Wohn- und Pflegeheimen mit heißem Wasser aus der Leitung schwer verbrühen. Im Fall einer 50-jährigen Heimbewohnerin aus Bremerhaven entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, dass Heime verpflichtet sind, hilfebedürftige Menschen vor Gefahren wie heißem Wasser aus dem Hahn zu schützen. Mit diesem Urteil kann die geistig behinderte Frau auf Schmerzensgeld hoffen.

Ihre Geschichte ist tragisch. Die Frau bat, so die Schilderung des BGH, im April 2013 eine Betreuerin, ein Bad nehmen zu dürfen, worauf ihr eine mobile Sitzwanne in die Dusche gestellt wurde. Sie ließ darin Wasser ein, wobei die Temperatur über einen Einhebelmischer ohne Begrenzung der Heißwassertemperatur erfolgte. Anders als bei früheren Bädern war das ausströmende Wasser so heiß, dass die Frau Verbrühungen an Füßen und Unterschenkeln erlitt. „Sie schrie lautstark, konnte sich aber nicht selbst aus der Situation befreien. Dies gelang erst, als ein anderer Heimbewohner ihr zur Hilfe eilte, das Wasser abließ und eine Pflegekraft rief“, so die Richter im Urteil.

Im Krankenhaus mussten Hauttransplantationen durchgeführt werden, bei denen es zu Komplikationen kam. Laut dem BGH wurde die Klägerin mit einem multiresistenten Keim infiziert. Sie könne heute nicht mehr laufen, auch ihr psychischer Zustand habe sich verschlechtert, schreiben die Richter.

Vertreten durch ihre Mutter klagte die Frau auf 50.000 Euro Schmerzensgeld und eine Rente von 300 Euro, da das aus der Leitung austretende Wasser mit annähernd 100 Grad viel zu heiß gewesen sei. Denn eine seit 2005 gültige technische Regel namens DIN EN 806-2 für die Installation von Trinkwasserleitungen empfiehlt für Kliniken, Schulen und Altenheime eine Höchsttemperatur von 43 Grad, für Kitas und Pflegeheime gar nur von 38 Grad. Es sei deshalb von dem Heim „pflichtwidrig“ gewesen, die Frau allein und ohne Kontrolle der Temperatur baden zu lassen.

Das Landgericht Bremen und auch das Bremer Oberlandesgericht (OLG) wiesen die Klage im September 2017 und April 2018 ab. Denn die Frau habe sowohl früher zu Hause als auch in der Einrichtung, in der sie seit 2012 lebte, immer allein geduscht und sei in der Lage gewesen, sich die Wassertemperatur einzustellen. Auch sei sie in eine Bedarfsgruppe eingestuft, die einen hohen Grad an Selbstständigkeit verspreche. Bei der Einrichtung handele es sich nicht um ein Pflegeheim, sondern um eine Unterkunft, die auch die Selbstbestimmung der Bewohner zu fördern habe. Die Mitarbeiter hätten nicht damit rechnen müssen, dass sich die Frau mit der Mischbatterie verbrühe.

Und, das ist der Knackpunkt: aus besagter DIN Norm könne keine Pflicht abgeleitet werden, die Wasserhähne mit einem Temperaturstopp auszustatten. Die Hinweise seien vielmehr Empfehlungen, die erst 2005 und somit Jahrzehnte nach Bau der Wohneinrichtung in Kraft traten. Eine gesetzliche Pflicht zur Nachrüstung alter Mischbatterien „existiert nicht“, so das OLG.

„Der BGH hat anerkannt, dass eine Gefahrenquelle besteht, vor der Schutzbedürftige geschützt werden müssen“

Barbara Genius, Anwältin

Hier widerspricht nun Karlsruhe, wo die Klägerin Revision eingelegt hatte. Der III. Zivilsenat wies die Sache zur neuen Verhandlung nach Bremen zurück. Denn Heimbetreiber hätten die „Pflicht“, ihnen anvertraute Bewohner vor Gefahren zu schützen. In welchem Verhältnis diese Verpflichtung zum Freiheitsrecht des Bewohners stehe, könne nur unter Abwägung aller Umstände im Einzelfall entschieden werden. Dabei sei auch die DIN-Norm wichtig. Heimbewohner könnten erwarten, dass ein Betreiber sie vor den darin beschriebenen Gefahren schütze. Das Heim hätte entweder die Temperaturbegrenzung technisch sichern müssen oder dafür sorgen, dass ein Mitarbeiter das Wasser überprüft.

Verbrühungen kommen häufig vor. Erst im Januar stand in Hannover eine Pflegerin vor Gericht, deren Patientin beim Duschen Verbrennungen erlitten hatte. In einer Hamburger Klinik starb im März eine Patientin, die zu heiß gebadet wurde.

Ein Problem sei eben, dass aus Gründen der Hygiene eine Erhitzung des warmen Trinkwassers auf 60 Grad empfohlen werde, erklärte Anwältin Barbara Genius, die die Klägerin vertritt. „Der BGH hat vom Grundsatz anerkannt, dass eine Gefahrenquelle besteht, vor der schutzbedürftige Personen geschützt werden müssen, wenn das Wasser so heiß aus den Leitungen kommt.“ Das Bremer Gericht muss nun prüfen, wie schutzbedürftig die Klägerin war und welcher Schaden ihr entstand.

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