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Initiative für Inklusion in SachsenDas Volk will’s inklusiv

Das Bündnis „Gemeinschaftsschule in Sachsen“ hat 50.000 Unterstützer*innen. Dennoch stehen die Chancen für ein längeres gemeinsames Lernen nicht gut.

Inklusives Lernen: Kinder mit besonderen Bedürfnissen und ihre MitschülerInnen fördern einander Foto: dpa

Dresden taz | Diesen Erfolg kann dem Bündnis „Gemeinschaftsschule in Sachsen“ niemand mehr nehmen: Die Koalition, die nach der Landtagswahl in Sachsen am 1. September die Regierungsgeschäfte übernimmt, wird sich mit ihrem Gesetzentwurf befassen müssen. Am heutigen Freitag übergibt Bündnissprecher Burkhard Naumann dem CDU-Landtagspräsidenten in Dresden über 50.000 Unterschriften, die das Bündnis seit November letzten Jahres für den Volksantrag gesammelt hat.

Gereicht hätten auch 40.000, um das Thema längeres gemeinsames Lernen auch im Freistaat auf die politische Tagesordnung zu setzen. Nun ist es da – und mit ihm wird derzeit ordentlich Wahlkampf betrieben. Bislang sind Gemeinschaftsschulen in Sachsen nicht zugelassen. Und zwar selbst dann nicht, wenn sich Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen das wünschen.

Naumann und seine MitstreiterInnen wollen den Schulen die Möglichkeit geben, selbst zu wählen, ob sie SchülerInnen verschiedener Niveaus auch über Klasse vier hinaus unter einem Dach unterrichten wollen – oder eben nicht. Unterstützt dabei werden sie unter anderen von SPD, Grünen und Linkspartei, Verdi und der Bildungsgewerkschaft GEW. Ihr Gesetzentwurf sieht ein „optionales Modell“ vor. Demnach würde der Beschluss von Schulkonferenz und Schulträger reichen, eine Gemeinschaftsschule zu gründen. Umgekehrt soll auch künftig niemand einer Schule das gemeinsame Lernen aufzwingen können.

Naumann hofft, so die Skepsis vieler Eltern und den Widerstand der CDU zu brechen, die Gemeinschaftsschulen bislang kategorisch ablehnen. Die Wahlfreiheit geben andere Bundesländer ihren Schulen schon seit Jahren. Die Nachfrage nach der „Schule für alle“ scheint dies zu rechtfertigen. So hat sich die Zahl der Gemeinschaftsschulen in Deutschland zwischen 2007 und 2017 auf rund 2.100 verdreifacht. Zum Vergleich: Bundesweit gibt es etwa 3.100 Gymnasien. „Beim Thema längeres gemeinsames Lernen ist Sachsen noch nicht sehr weit“, sagt Bündnissprecher Naumann der taz.

Beim Thema gemeinsames Lernen ist Sachsen noch nicht weit

Burkhard Naumann, Bündnissprecher

Sächsische CDU setzt auf Leistungsstärke

Und das schiebt der Mitinitiator des Volksantrags vor allem auf die CDU, die das Land seit der Wende erst allein, dann in wechselnden Koalitionen regiert hat und ohne die eine Regierungsbildung auch dieses Mal kompliziert bis unmöglich werden dürfte.

Tatsächlich hält die sächsische CDU nichts von Gemeinschaftsschulen. Stattdessen setzt sie, wie das Wahlprogramm verrät, weiter auf Gymnasien für die Leistungsstarken, Oberschulen für die weniger Starken und Förder- und Sonderschulen für die Abgehängten. In kaum einem anderen Bundesland ist die Inklusionsquote so niedrig wie in Sachsen, bei gerade mal 33 Prozent. Bei Spitzenreiter Bremen sind es fast 90 Prozent.

„Keine Experimente“, hat der CDU-Kultusminister Christian Piwarz im Wahlkampf mit Blick auf die Gemeinschaftsschulen verkündet. Piwarz begründet die Ablehnung mit dem guten Abschneiden der sächsischen SchülerInnen bei Bildungstests. So liegt deren Leistungsniveau regelmäßig über dem Bundesschnitt, bei Lesen und in Mathe sind sächsische SchülerInnen oft in der Spitzengruppe. Allerdings ist der Anteil der GrundschülerInnen, die es aufs Gymnasium schaffen, nur Mittelmaß. Und wegen des überdurchschnittlich hohen Anteils an FörderschülerInnen verlassen in Sachsen überdurchschnittliche 8 Prozent der SchülerInnen ihre Schule ohne Abschluss.

Gemeinsames Lernen ist sinnvoll

Sabine Friedel erkennt hier dringenden Handlungsbedarf. „Wir sehen doch am Zulauf, den die Privatschulen hier erleben, dass viele Eltern unzufrieden mit dem staatlichen Angebot sind“, sagt Friedel der taz. Deshalb unterstützt die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag Naumanns Volksantrag. Dass ein längeres gemeinsames Lernen zu sehr guten Ergebnissen führt, hätten die neun Modellschulen gezeigt, die ab 2007 auf Wunsch der SPD (die damals ebenfalls mit der CDU koalierte) eingerichtet wurden.

Professor Wolfgang Melzer von der TU Dresden, der die Modellschulen wissenschaftlich begleitete, empfahl in seinem Abschlussbericht an das CDU-geführte Kultusministerium, das zweigliedrige System aus Oberschule und Gymnasium zu „flexi­bilisieren“ und um Gemeinschaftsschulen zu „ergänzen“. Unter Schwarz-Gelb (2009–2013) wurde das Modellprojekt jedoch eingestampft.

SPD-Politikerin Friedel sieht hier eine „ideologische Front“. Es sei „albern“, ein Projekt wissenschaftlich begleiten zu lassen und dann die Empfehlungen zu ignorieren. Wer nach der Wahl mit der SPD koalieren wolle, müsse der Änderung des Schulgesetzes für die Gemeinschaftsschulen zustimmen, verspricht Friedel. Vielleicht träumt Friedel davon, dass es in Sachsen doch irgendwie reicht für Rot-Rot-Grün. „Wir werden das Versprechen halten“, sagt sie jedenfalls. Das sei sie allein den neun Modellschulen schuldig, die gern als Gemeinschaftsschulen weitergemacht hätten.

Erweiterungsstunde für starke SchülerInnen

So wie die Parkschule Zittau, einer Kleinstadt im Dreiländereck mit Polen und Tschechien. Schulleiter Werner Dietzschkau klingt fast ein bisschen trotzig am Telefon: „Wir dürfen offiziell keine Gemeinschaftsschule mehr sein, machen aber weiter wie bisher.“ Das heißt: An der Parkschule werden nicht die schwächeren SchülerInnen gefördert, sondern die besonders guten. Ab Klasse fünf mit einer „Erweiterungsstunde“ in Mathe und einer in Deutsch. Ab der siebten Klasse dann als „Erweiterungskurse“, auch in Englisch.

So hätten überdurchschnittlich viele SchülerInnen nach der Klasse neun noch ein Jahr angehängt, um einen Realschulabschluss zu machen. Die Leistungen der guten SchülerInnen sei im Vergleich zu früher nicht abgesunken. Viele SchülerInnen der Parkschule hätten dann auch den Übertritt ins Gymnasium geschafft. „Die Ergebnisse sprechen für sich“, sagt Dietzschkau. „Das ist auch der Grund, warum wir extremen Zulauf hatten.“ Jedes Jahr hätte die Parkschule 20 bis 30 SchülerInnen ablehnen müssen. Natürlich würde er sich freuen, wenn die Gemeinschaftsschule formell eingeführt würde. Dann könnte er auch Erweiterungskurse für das Gymnasialniveau einführen.

AfD lehnt Gemeinschaftsschule ab

Ob die Gemeinschaftsschule kommt, ist jedoch höchst unsicher. Denn neben der CDU lehnt sie auch die AfD strikt ab. „Der schleichenden Abschaffung verschiedener Schulformen und der Entwicklung hin zur nivellierenden Einheitsschule bis zur Klasse 10 muss Einhalt geboten werden“, heißt es im Wahlprogramm. Gleichzeitig strebt die AfD widersprüchlicherweise ein „längeres gemeinsames Lernen bis zur Klasse 8“ an.

Für den Volksantrag sieht es also nicht allzu rosig aus. Allerdings gibt es für das Bündnis noch einen anderen Weg: Sollte der Antrag im Landtag keine Mehrheit finden, bliebe als nächster Schritt eine Volksabstimmung. Sie wäre ein Novum in Sachsen. Nötig wären dann aber 450.000 Unterschriften. Burkhard Naumann glaubt, dass das zu machen ist.

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6 Kommentare

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  • " In kaum einem anderen Bundesland ist die Inklusionsquote so niedrig wie in Sachsen, bei gerade mal 33 Prozent. Bei Spitzenreiter Bremen sind es fast 90 Prozent."

    Aus dem Bildungsmmonitor Deutschland 2019: Sachsen auf Platz 1, Bremen auf Platz 14. Was wollen uns diese Zahlen sagen?

  • Könnte es sein, dass die Überschrift irgendwie ein bisschen missverständlich ist?

    In dem Artikel geht es um Gemeinschaftsschulen, nicht um Inklusion.

    Das eine geht sehr gut ohne das andere.

    • @rero:

      Das kommt darauf an, was unter Inklusion verstanden wird. In der allumfassenden Definition schließt Inklusion ALLE Menschen, wie sie sind, mit ein, nicht nur "Behinderte". Es gibt mit dieser Definition quasi keine (gewollte und institutionelle) Exklusion - egal welcher Art. Somit ist die Trennung von Schularten und damit auch die Verteilung von Schüler/innen auf unterschiedliche Schulen nach "Leistungsprinzip" schon Eklusion, das gemeinschaftliche Lernen Inklusion.

      Integration hingegen bedeutet, dass jemand schon draußen am Rand der Gesellschaft/der Gruppe stehen/sein muss, um dann bestenfalls partiell wieder mit dazu geholt zu werden. Inklusion ist allumfassender und bezieht sich eben nicht nur auf "Behinderte", die es in diesem Sinne gar nicht gibt.

  • Von der Tatsache, dass mehr Eltern ihre inder auf Privatschulen anmelden zu schließen, dass diese Eltern mehr Inklusion wolen, ist aber etwas gewagt von Frau Friedel

    • @Chutriella:

      Diese Schulen in freier Trägerschaft organisieren das Lernen aber sehr oft bzw. meist gemeinsam bis zur 10. (oder sogar 12.) Klasse und bieten zudem manchmal auch anschließend eine Gymnasialstufe an.

      Daher passt die Aussage von Frau Friedel thematisch schon.

      • @Hanne:

        Hier muss ich Chutriella zustimmen, eine Anmeldung auf Privatschulen der Inklusion wegen ist eine Möglichkeit unter vielen.



        Persönliche Erfahrungen als Beispiel genommen melden die meisten Eltern ihre Kinder wegen besserer Leistungen auf Privatschulen an.

        Solange es da keine (offiziellen) Statistiken/Zahlen zu gibt, sind beide Begründungen wohl eher mit Blick auf die Ideologie des Empfängers zu betrachten.