Open-Air-Ausstellung MS Artville: Wuchtige Statements
Bei der Hamburger Open-Air-Ausstellung MS Artville, dem Kunst-Beiboot des Pop-Festivals MS Dockville, müssen sich Skulpturen gegen Partys behaupten.
Die bildende Kunst allerdings war schon beim ersten Festival vor zwölf Jahren an den Rand gedrängt, wurde bald als „MS Artville“ ausgelagert und fand fortan im Vorfeld des Dockville statt. Wobei allerdings auch das Artville nach und nach musikalisch überformt wurde – die dreiwöchige Open-Air-Ausstellung ist nur noch teilweise von der Kunst geprägt, beherbergt auch den Poetry-Slam „Slamville“ an diesem Samstag, die queere Party „Vogelball“ am kommenden Samstag diverse Klubformate.
Das Artville lässt sich also als ständiges Ringen um Aufmerksamkeit für die Kunst lesen. Aus diesem Ringen heraus lässt sich dann auch die Entscheidung erklären, die „Richtfest“ genannte Vernissage vergangenen Sonnabend nicht mit einer Party, sondern mit einem Symposium zum Thema „Neue Formen und (digitale) Räume des Protests“ zu beginnen. Was das Artville so schnell auf Diskurshöhe mit aktuellen Entwicklungen der bildenden Kunst brachte.
Und dass das eigentlich bis 19 Uhr terminierte Symposium wegen einer Unwetterwarnung schon kurz vor 17 Uhr abgebrochen werden musste, war zwar schade, allerdings unvermeidlich: Open Air ist den Unwägbarkeiten des Hamburger Wetters schutzlos ausgeliefert und die Gewitterfront über dem Hafen schwemmte tatsächlich jegliche Diskussion hinweg.
Kaum Raum für Ausreißer
Bis zum Abbruch aber zeigte das Symposium eindrucksvoll den Zwiespalt auf, in dem sich das Artville befindet: Die Digitalberaterin Anne Wizorek skizzierte am Beispiel der #Aufschrei-Bewegung 2013 das Prinzip des Hashtag-Aktivismus und forderte dabei Safe Spaces jenseits der von toxischen Strukturen durchzogenen sozialen Medien ein. Und wenige Tage nach den Berichten über rechtsradikale Security beim Hip-Hop-Event „Splash!“ beschlich einen hier die Frage, ob Festivals in der Lage sein können, solche Safe Spaces herzustellen.
Die Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin Penelope Kemekenidou sprach unter dem Titel „Verkauf die Revolution“ über „liberale Tendenzen im zeitgenössischen Artivismus“, was ebenfalls einen spannenden Aspekt aufmachte: Der momentan extrem erfolgreiche Artivismus von Gruppen wie The Yes Men, dem Zentrum für Politische Schönheit oder dem Peng!-Collective mag zwar kapitalismuskritisch grundiert sein, funktioniert allerdings ausschließlich nach Kriterien kapitalistisch strukturierter Aufmerksamkeitsökonomie. Dass Kemekenidou, die selbst „artivistisch“ arbeitet, diesen Widerspruch thematisierte, zeigt, auf welch hohem Reflexionsniveau das Artville mittlerweile angekommen ist.
Womit sich natürlich auch das Festival selbst infrage stellt. Da mochte Wizorek noch so leidenschaftlich eine feministische Utopie beschwören, die sich aus der digitalen in die reale Welt ausdehnt, da mochte Kemekenidou noch so fundiert Kritik an der Martkförmigkeit der Kunst üben – das Artville selbst bleibt eine extrem homogene Veranstaltung, in der kaum Raum für Ausreißer ist.
Die Referentinnen jedenfalls erfüllten ebenso wie das Publikum die optimal vermarktbaren Kriterien: jung, cool, hip. Viel Platz für nicht-normierte Körperimages gab es hier bei aller postulierten Awareness nicht. Dass allerdings die Organisation sich dieser Problematik bewusst ist, ist ein großer Teil des Charmes dieses Festivals: Hier soll nicht alles stimmig sein, stattdessen ist das Gezeigte ein bewusst unfertig gehaltener Diskussionsprozess, der ständiges Neuaushandeln von Kriterien erfordert. Und hätte das Unwetter nicht das Symposium fortgeschwemmt, vielleicht wäre dieser Prozess schon ein Stück weitergegangen.
Ansonsten ging es auch um: Kunst. Meist in wenig subtilen Formen, die sich gegen die Wucht der Konzert- und Partyformate behaupten können: Street-Art etwa ist etwas, das im Open-Air-Kontext gut funktioniert. Der bemalte Container von Dzia, der ein comicartiges Fuchsgemälde zeigt, als Hommage an das auf dem Gelände herumstreunende Wildtier. Oder Arkanes großformatiges Porträt „Die weiße Rose“ von Hans Scholl und Traute Lafrenz, das zwar einerseits fotorealistische Konvention bleibt, andererseits aber durch sein politisches Pathos zum wuchtigen Statement wird.
Auch skulpturale Arbeiten haben hier ihren Ort, die verstörende Social-Media-Splitter-Installation des Kollektivs Mentalgassi etwa oder der aus Müll gebastelte Riesenmaulwurf „Plastic Mole“ von Bordalo II. Kunst, die nicht mit dem Florett kämpft, sondern eher mit der Keule, die aber für sich genommen ihre Qualitäten hat.
bis 10. 8., Hamburg, MS Dockville-Gelände, Reiherstieg Hauptdeich, www.msartville.de
Welche Qualitäten das sind, zeigt sich im Vergleich mit der Rauminstallation „Why bother with Reality?“ von Parse/Error oder dem Kreuzwort-Gewirr „Wordsearch Game“ von Alïda Gómez: Die werden im klassischen Pavillonumfeld des „Kubendorf“ genannten Ausstellungsbereichs präsentiert und können ihre Schärfe nur schwer zum Ausdruck bringen. Das Artville nämlich lebt nicht davon, ein Kunstort zu sein, sondern von der Durchdringung und dem Konkurrenzverhältnis der Sphären: Kunst hier, Party da, überwölbt durch den Zauber des Ortes, das Naturerlebnis, die gefährdete Schönheit des Hafens.
Von Jahr zu Jahr füllt sich das Gelände mehr mit Kunst, als Park ausrangierter Skulpturen, die der Witterung ausgesetzt bleiben und entsprechend im Laufe der Zeit angegriffen werden. Beim Richtfest allerdings hatte die Natur auch zur Folge, dass der geführte Kunstrundgang nach einer halben Stunde endete: Das Gelände wurde wegen des Unwetters evakuiert. Im Konkurrenzverhältnis mit der Natur kann die Kunst auch mal den Kürzeren ziehen, und sage niemand, dass so was nicht interessant sein kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!