Kommentar Proteste in Hongkong: Macht, Ohnmacht & Gewalt
Die verzweifelten Aktionen der DemonstrantInnen in Hongkong spielen der Regierung in Peking in die Hände. Und die sitzt leider am längeren Hebel.
A m Montag, dem 22. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China, demonstrierten laut Veranstalterangaben 550.000 Menschen friedlich gegen das geplante Auslieferungsgesetz. Dieses dürfte Kritiker Pekings künftig der Gefahr aussetzen, nach China ausgeliefert und dort vor Gericht gestellt und womöglich gefoltert zu werden.
Doch gleichzeitig drangen in den Abendstunden auch einige hundert DemonstrantInnen gewaltsam in das Gebäude des Legistlativrates ein. Zuvor hatten sie über Stunden gegen Polizisten gekämpft und Panzerglastüren gerammt. Als die Polizei, die zuletzt wegen unverhältnismäßiger Gewalt in der Kritik stand, sich schließlich zurückzog, war der Weg in das Gebäude frei.
Dort randalierten die DemonstrantInnen, sprühten Parolen und hissten eine britische Kolonialflagge (!). Es machte nicht den Eindruck, als wüssten sie, was sie mit ihrer Besetzung anfangen sollten. Sie flohen denn auch schnell, als die Polizei in den Morgenstunden zur Räumung anrückte.
Der Frust der DemonstrantInnen über die eigene Ohnmacht und die Empörung über die Arroganz der prochinesischen Regierung und deren Pekinger Hintermänner sind allzu verständlich. Denn diese glauben, mehrere Großdemonstrationen mit bis zu zwei Millionen TeilnehmerInnen letztlich einfach aussitzen zu können. Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam hat taktiert, als sie das Auslieferungsgesetz suspendierte, aber nicht offiziell zurückzog. Ähnlich taktisch klebt sie selbst an ihrem Stuhl, obwohl sie gescheitert ist und jedes Vertrauen verloren hat.
Gewalt zeigt Spaltung und Dummheit
Doch die Parlamentsbesetzung war ein Pyrrhussieg. Achteten früher Hongkongs DemonstrantInnen nicht nur auf Gewaltfreiheit, sondern ließen nicht einmal Müll auf der Straße zurück, dürften die aktuellen Bilder von Chaos und Gewalt viele abschrecken. Dies war schon bei den Protesten der Gelbwesten in Frankreich zu beobachten. Die weckten zunächst große Sympathie, wirkten aber letztlich wegen der immer häufiger ausgeübten Gewalt abstoßend, obwohl auch hier die Polizei oft unverhältnismäßig reagierte.
Die Verantwortung für die Gewalt trägt letztlich die Regierung in Hongkong, weil sie meint, an der Bevölkerung vorbei regieren zu können. Aber auch sie dürfte jetzt von der Gewalt profitieren. Denn sie setzt Demokratie stets mit Chaos gleich und unterstellt den Chinesen, für Demokratie ungeeignet zu sein. Für Peking kam die Randale so gelegen, dass die Regierung sogar die Berichtsblockade in den kontrollierten Medien aufhob und nun genüsslich Bilder der Gewalt zeigte. Und Hongkongs Polizei, deren taktischer Rückzug sich fast schon als Falle deuten lässt, kann jetzt darauf verweisen, dass die Gewalt von den DemonstrantInnen ausging.
In den Bildern der Gewalt einiger weniger geht vor allem das Anliegen der friedlichen 550.000 unter. Sie dürften künftig darunter leiden, wenn Polizei und Regierung mit dem Verweis auf mögliche Gewalttätigkeiten versucht Proteste einzuschränken. Die gewalttätigen DemonstrantInnen ließen sich auch nicht von Abgeordneten aus der Demokratiebewegung abhalten.
Peking gewaltsam herauszufordern, kann nicht funktionieren, weil die Regierung dort und ihre Statthalter in Hongkong am längeren Hebel sitzen. Chinas Regierung kann nur auf smarte Weise ausgetrickst werden. Die Gewalt zeigt jetzt leider nicht nur eine Spaltung der DemonstrantInnen, sondern auch die Dummheit einiger.
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