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Der Anti-Stoiber-Merkel-Bush

So gibt sich der Kanzler gern: als deutscher Patriot, Bewahrer der sozialen Gerechtigkeit, Kämpfer für den Frieden – und macht mit dem Iran Wahlkampf

AUS HANNOVER JENS KÖNIG

In Wahlkampfzeiten wird die Welt, scheinbar wie auf Knopfdruck, wieder übersichtlich, sie wirkt dann gar nicht mehr so kompliziert und bedrohlich wie sonst immer. Der Opernplatz in Hannover hängt voller Schilder mit Botschaften aus dieser schönen, hellen Welt. „Bafög.gerecht“ steht darauf oder auch „Der Mut ist links“. Am Rande des Platzes steht ein so genannter Aktionsbus der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft „60 Plus“. Die älteren Genossen davor, die nicht so aussehen, als hätten sie den Bus selbst hierher gefahren, verteilen Zettel, auf denen Politik ganz einfach erklärt wird. Die Papiere sind auf der linken Hälfte rot, auf der rechten Seite schwarz, darüber steht: „Sie müssen sich entscheiden …“ Man kann entweder links sein Kreuzchen machen, dann entscheidet man sich zum Beispiel „Für eine sozial verantwortliche Politik“, oder auch rechts, dann ist man allerdings „Für eine Politik, die Realitäten und Veränderungen in der Welt ignoriert“. Die Zettel kommen alle in einen großen Kasten, und wer sechsmal die rote Seite angekreuzt hat, gehört unzweifelhaft zu den „Friends of Gerd“.

Auch wenn an diesem Sonnabendnachmittag nicht jeder ein knallrotes T-Shirt mit dieser Aufschrift trägt, Friends of Gerd sind die 10.000 Menschen auf dem Opernplatz gewissermaßen alle. Die SPD feiert den offiziellen Wahlkampfauftakt mit ihrem Spitzenkandidaten Gerhard Schröder, Hannover ist immer noch dessen Heimatstadt, und auch wenn der Kanzler dem niedersächsischen SPD-Chef Wolfgang Jüttner vor zwei Jahren unverhohlen damit gedroht hatte, ihn und den gesamten Landesverband „fertig zu machen“ – der Gerd wird hier immer noch als einer der ihren beklatscht, als Sohn von Hannover gewissermaßen, und da Hannover SPD ist, muss auch der Gerd noch SPD sein.

Die Partei hat sich auch alle Mühe gegeben, ihre Anhänger nicht zu enttäuschen: Sie hat daran gedacht, die Veranstaltung auf einen Sonnabend zu legen, an dem Hannover 96 in der Bundesliga kein Heimspiel hat. Sie liefert eine professionelle Bühnenshow. Und sie bietet neben Schröder und SPD-Parteichef Franz Müntefering mehr als das halbe Bundeskabinett auf, wobei Doris Schröder-Köpf ganz selbstverständlich inmitten der Ministerriege steht, was darauf schließen lässt, wo die Kanzlergattin den ihr angemessenen Platz sieht.

Gerhard Schröder ist, wie immer in diesen Tagen, gut gelaunt. Wahrscheinlich hat er ständig eine Hörkassette mit Stoibers Reden dabei. Das wenigstens kann der Kanzler ja noch: die Stimmung wittern. Also gibt er jetzt den deutschen Patrioten. Seine Rede beginnt er mit dem Hinweis auf das heutige Datum, den 13. August, einen „wichtigen Tag der Deutschen“. Er spricht von der deutschen Teilung und erinnert daran, dass die Mauer von der Friedensbewegung in Osteuropa „eingedrückt“ worden sei, vor allem jedoch – man beachte die Formulierung – von den „Deutschen, die damals in der DDR gelebt haben“. Von da geht’s direkt zur Abteilung Attacke: „Kraftmeierei und Geschmacklosigkeiten von Stoiber und Führungsschwäche von Angela Merkel sind nicht geeignet, dieses Land zusammenzuhalten.“

Mehr als die Hälfte seiner halbstündigen Rede verwendet der Kanzler darauf, sich als Reformer und gleichzeitiger Bewahrer der sozialen Gerechtigkeit zu präsentieren. Er verteidigt die rot-grüne Politik, lobt gar die erneuerbaren Energien und warnt vor einer „Rolle rückwärts“. Den Rest der Zeit macht Schröder auf großer Staatsmann. Russland, Polen, Frankreich, Irak, die halbe Weltkarte geht er durch. Und ist schlagartig beim Iran. In lebendiger Erinnerung an seinen Wahlkampfcoup von 2002 warnt er die US-Regierung davor, den Iran anzugreifen. „Nehmt die militärischen Optionen vom Tisch, wir haben erlebt, dass sie nichts taugen!“, ruft er. Unter dezentem Hinweis auf den Irakkrieg macht Schröder deutlich, wohin die Reise mit Merkel und Westerwelle gehen würde. „Ich will nicht, dass an die Stelle freundschaftlichen Selbstbewusstseins wieder neue Willfährigkeit tritt.“

Die Massen toben. In der Hannover-Welt sieht es so aus, als könnte der Kanzler noch einmal gewinnen. Aber es ist nur Wahlkampf. Mehr auch nicht.

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