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Wisente in Nordrhein-WestfalenWaldbauern müssen duldsam sein

Freilaufende Wildrinder mindern den Wert von Buchenwäldern. Der Bundesgerichtshof gibt nun einer Herde in NRW eine Chance.

Rinde knabbernde Wisente sind bei Forstwirten nicht gern gesehen Foto: dpa

Einsperren, freilassen, einsperren, freilassen – das Hin und Her um die Wisentherde in Wittgenstein im Rothaargebirge geht in eine neue Runde. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom Frühjahr, die Rinder müssten hinter Gatter, um den Buchenforst der ansässigen Waldbauern zu schützen, hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe nun kassiert.

Die obersten Zivilrichter halten es für denkbar, dass die Waldbesitzer ihren Widerstand gegen das Artenschutzprojekt aufgeben müssen. Sie könnten zur Duldung der lange ausgerotteten Wildrinder verpflichtet sein, entschieden sie am Freitag. Die Tierschutzorganisation WWF Deutschland begrüßte, dass mit dem Urteil des BGH „weiteren Projekten zur Wiederan­siedlung bedrohter heimischer Tierarten höchstrichterlich keine Grenzen gesetzt“ werden.

Nun liegt das Verfahren wieder in Hamm. Das Oberlandesgericht dort müsse wohl einen Gutachter bestellen, sagt Michael Emmrich, Sprecher des Trägervereins „Wisent-Welt Wittgenstein“. Dieser müsse prüfen, ob die Rinder für die Betriebe der Waldbauern existenzgefährdend seien – und freilaufend somit nicht zumutbar. Die inzwischen mehr als 20 Tiere fressen die Rinde der Buchen und mindern so deren Wert. Dafür werden die Bauern zwar aus einem Fonds entschädigt, die Waldbesitzer halten das aber nicht für sinnvoll, weil die langfristigen Folgen der Wertminderung der Forste nicht berücksichtigt würden.

Während diese Frage von Sachverständigen untersucht werden muss, geht gleichzeitig der politische Prozess einer „Befriedung“ der Situation weiter. Moderiert vom nordrhein-westfälischen Umweltministerium beraten die Beteiligten darüber, wie sie die Rinder für drei bis fünf Jahre einzäunen können. In dem naturschutzrechtlich sensiblen FFH-Gebiet keine triviale Sache: Zu bauen sind kilometerlange Zäune, die von anderen Wildtieren wie Hirschen, Rehen oder Wildschweinen passiert werden können.

Der Streit über die Wisente geht vor Gericht, in Arbeitsgruppen des Ministeriums weiter. Allerdings: Die eigentliche Auseinandersetzung kommt noch. Denn der gesamte Rechtsstreit – und damit auch das BGH-Urteil – bezieht sich nur auf die sogenannte Erprobungsphase. Was danach passiert, muss noch entschieden werden. Entweder werden die Wisente dann endgültig in die Freiheit entlassen und für „herrenlos“ erklärt. Niemand wäre dann mehr für sie und ihr Tun verantwortlich – wie bei anderen Wildtieren, etwa Kaninchen. Oder das Projekt wird für gescheitert erklärt. (mit dpa)

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7 Kommentare

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  • Wald muss Almende sein!

    Eben weil unsere Bevölkerung inzwischen so dicht ist, dass eine persönliche Waldnutzung für jedermann nicht mehr zu verkraften ist, muss jede persönliche Waldnutzung dem Allgemeinwohl untergeordnet werden. Und das gilt nicht nur für den Wald, sondern für alle Flächen.



    Deswegen sind Naturschutzgesetze, die dem Allgemeinwohl dienen, aber Privatinetressen zuwider stehen, wichtig und richtig. Wir haben nur eine Welt, da können wir es nicht dulden, dass einige sich Teile dieser Welt unter den Nagel reißen und behaupten, sie hätten das alleinige Recht daran.

  • Zitat: „Die Tierschutzorganisation WWF Deutschland begrüßte, dass mit dem Urteil des BGH ‘weiteren Projekten zur Wiederansiedlung bedrohter heimischer Tierarten höchstrichterlich keine Grenzen gesetzt‘ werden“.

    Herr, bitte schmeiß Hirn vom Himmel!

    Die Autoritätsgläubigen vom WWF sollten sich nicht zu früh freuen finde ich. Ein Richter macht noch kein funktionierendes Öko-System. Schon gar nicht, wenn sich der Mensch einbildet, er hätte ein Eigentumsrecht an der Natur.

    Ein Wisent ist kein Kaninchen. Die Großrinder können unendlich viel mehr Schaden anrichten. Vor allem, wenn zu viele von ihnen auf einer zu kleiner Fläche leben. Für die Waldbesitzer bleibt in der direkten Konkurrenz womöglich nicht all zu viel Ertrag übrig. Wenn sie sich aber quasi enteignet fühlen von den Rindviechern und ihren „Schutzengeln“, könnte ihre Toleranz womöglich demnächst enge Grenzen finden. Auch vor Gericht. Dann ist es aus mit dem Wisent-Projekt, noch bevor Gevatter Wolf eine Gelegenheit hatte, die Größe der Huftierherden halbwegs an den Lebensraum anzupassen.

    Die Leute vom Trägerverein „Wisent-Welt Wittgenstein“ hätten sich womöglich fragen sollen, wieso das Wisent überhaupt verschwunden ist aus deutschen Wäldern, bevor sie zur aktivistischen Hochform auflaufen. Hilfreich hätte es auch sein können, sich anderswo umzuhören, wie da die Konflikte minimiert werden. Aber wer eine ganze „Wisent-Welt“ will, der macht sich wohl keine Gedanken darüber, wer sonst noch so lebt und ein recht auf Teilhabe zu haben glaubt. Konflikte? Sieht er gar nicht kommen. Er will ja nur richtig viel gutes tun.

  • Es gibt sie überall, die kleinen Bolsonaros mit ihrem "gehört uns/mir" Anspruch. Ob es nun der Regenwald, ein Buchenwald, ein Forst, eine Kiesgrube, ein Brunnen oder ein Grundstück ist, alles ist ökonomisch verwertbar. Natur und Umwelt sind schon lange nicht mehr Lebensgrundlagen, sondern zu Rohstofflager degradiert worden, aus denen sich ökonomische Wertschöpfungsketten schmieden lassen.

    Der Begriff "Nachhaltigkeit" zielt in diesem Denken logischerweise ausschließlich auf Renditen/Umsatz und Gewinn, nicht auf den nachhaltigen Schutz von Umwelt und Natur.

    An diesem Denken ändert sich nichts, solange für Kosten und Verluste die Allgemeinheit aufkommt. (Versöhnung von Ökologie und Ökonomie)

    Die Knechte des Geldes müssen lernen, dass Umwelt und Natur unsere Lebensgrundlagen sind, nicht ihr Eigentum!

    Die Wisente muss man herrenlos erklären! Denn sie sind und waren es schon immer: sie sind Teil der Natur!

    • 9G
      97088 (Profil gelöscht)
      @Drabiniok Dieter:

      Nee - zu kurz gesprungen. Aus meiner Sicht stellt sich einzig die Frage, ob in unserer dicht besiedelten Kulturlandschaft ( Natur gibt es hier seit Jahrtausenden nicht mehr) diese Auswilderungsformen ( die ja eigentlich auch keine „echten“ sind) nachhaltig funktionieren können? Und die Antwort kann doch nur ein Wild- und Weidetierintegrationsprogramm sein. Und eben das schlägt doch gerade fehl, weil die Nutzungsinteressen der KULTURLANDSCHAFT betroffen sind.



      Das gilt auch für Wölfe, die sich fröhlich an der Schafherde des Hobbyzüchters bedienen. Das ist keine „Versöhnungsfrage“ von Geld und Umwelt sondern eine knallharte Verteilungsfrage mit Gewinnern und Verlierern.

    • @Drabiniok Dieter:

      Das ist nur die in Deutschland übliche Verhinderungshaltung. Alles soll ökologisch und nachhaltig sein, es darf sich aber kein Grashalm auch nur im Wind bewegen, sonst wird durch alle Instanzen geklagt. Gegen den Fehmarnbelttunnel, der den Schienenverkehr voran bringen würde gibt es auch schon 12.000+ Einwände.

  • Ich finde das toll, die Waldbesitzer müssen allerdings entschädigt werden. Es kann nicht sein, dass unsere Wünsche Einzelne belasten. Das ist unfair.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Viele Fragestellungen werden vermischt - wie beim Wolf und eventuell beim Bären.



    Zuerst und ganz wichtig: In Deutschland gibt es keine Naturlandschaften. Jeder qm wurde in den letzten 2 - 3 tausend Jahren in unterschiedlicher Art und Weise „beackert“. Dann folgt: Darin dann Raum für Wildtiere zu schaffen, haben wir ebenfalls seit Jahrhunderten durch Jagd und Kultivierung unterdrückt. Wald und Wild, was wir jetzt sehen, ist Kulturlandschaft. Darin dann große Beutegreifer (Wolf) und Großwild (Wisent und Auerochse) „frei“ auszuwildern halte ich gelinde gesagt für ambitioniert. Das ist sehr schade - aber in unserem dicht besiedelten Land nun einmal Sachlage, die es nun zu lösen gilt.