: Alle kriegen mehr
Der Kultur verspricht Rot-Grün-Rot Geld – vermeidet dabei aber konkrete Summen und wesentliche Details. Die taz nennt die wichtigsten Kultur-Eckpunkte des Koalitionsvertrages und trägt Reaktionen aus der Szene zusammen
„Unter dem Vorbehalt von Sollen und Wollen werden die kulturellen Partikularinteressen der kleineren Parteien und Klientelgruppen befriedigt, aber die große Linie ist bekannt und bleibt unverändert. Wenn Bildung, gesellschaftliche Teilhabe und (ökologische) Nachhaltigkeit wirklich die großen Themen für die zukünftige Stadtgesellschaft sind, dann muss das auch für die Kulturpolitik eine Rolle spielen und dann muss Kultur verzahnt mit Bildung, Sozialem, Stadtentwicklung und Wirtschaft gedacht werden. Dass die Museen als erfahrene Anbieter einer auf die diverse Stadtkultur zugeschnittenen kulturellen Bildung in diesem Kontext nicht genannt werden, ist dann mehr als nur ein Detail, sondern ein Zeichen dafür, dass noch entlang der alten Leitlinien gedacht wird.“
VonJan Zier
„Die genehmigungsrechtlichen Hürden für Zwischennutzung müssen abgebaut werden – und sollten nicht unbedingt seitenlange statische Berechnungen und Brandschutzgutachten nach sich ziehen. Neue Förderquellen etwa in Form einer Plattform zur Förderung von Projekten in der Szene könnten viele Hürden abbauen und neuen Ideen Raum bieten. Das Wichtigste ist die Akzeptanz und die Ermöglichung, die Toleranz aus der Verwaltung und der Politik. Wir wünschen uns unter anderem mehr Projektentwickler*innen, die nachhaltige und experimentelle Zwischennutzungen vor Augen haben und sich für diese gewollten Unplanbarkeitsbereiche öffnen. In diesen neoliberalistischen Smart-City-Zeiten des schnellen Agierens und Konsumierens ist es umso wichtiger, die demokratischen Prozesse aktiv zu fördern.“
Die Bremer Kulturszene soll in den kommenden vier Jahren überall mehr Geld bekommen – so sieht es zumindest der rot-grün-rote Koalitionsvertrag vor. Genaue Zahlen nennt er freilich nicht, und in der zehnteiligen, aber schon sehr umfassend gehaltenen „Pioritätenliste“, die unter dem Punkt „Finanzrahmen“ auf Seite 137 auftaucht, hat die Kultur gar keinen Platz gefunden.
„Der Koalitionsvertrag enthält im Bereich Kultur weitgehend jene Eckpunkte, die bereits im Vorfeld der Wahlen erarbeitet wurden. Nun gilt es allerdings, die Leitlinien konkret zu unterfüttern. Entscheidend wird die Höhe des Kulturhaushalts sein. Wenn man bedenkt, dass es bisher an allen Ecken und Enden fehlte, wird für die Mehrheit der Kulturakteur*innen zukünftig vermutlich nicht allzu viel Spielraum entstehen. Lediglich der Zuwachs der Projektmittel auf zwei Millionen Euro ist im Koalitionsvertrag bereits beziffert und absolut begrüßenswert. Bedenklich finde ich die Tatsache, dass nirgendwo explizit von direkter Künstler*innenförderung die Rede ist. Diese scheint mir nach jahrelangem Sparkurs zumindest im Bereich der darstellenden Künste dringend geboten. So würde das gerne beschworene „Kulturlabor“ halten, was es verspricht. Es gibt hier in der freien Szene großartige Künstler*innen, aber die meisten von ihnen arbeiten unter unsäglichen Bedingungen.“
„Die verlässliche Kulturförderung in allen Sparten wird fortgesetzt“, heißt es bei Punkt 1 unter dem Stichwort „Konkrete Maßnahmen“, dicht gefolgt von: „Die größeren Kultureinrichtungen sollen weiter gesichert werden“. Die Freie Szene solle „gestärkt“ werden und „schrittweise“ auch eine faire Honorierung bekommen, außerdem ein „Bremer Zentrum der Freien Szene“. Der Schwankhalle soll eine „stärkere Berücksichtigung des Personalaufwandes zugute kommen“, der Shakespeare Company wird eine verbesserte Altersabsicherung der MitarbeiterInnen zugesagt.
„Es ist gut, dass die Essenzen aus dem Kulturförderbericht in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurden. Hervorheben möchte ich die Stärkung der freien Szene und explizit genannt der Bremer Shakespeare Company, die verbesserte Förderung der kulturellen Bildung und die Kooperation mit Künstler*innen und Kultureinrichtungen in Bremerhaven. Ich vermisse jedoch seit geraumer Zeit die politische Kultur des offenen Diskurses oder die Reflexion im Kontext darüber, was der politische und gesellschaftliche Wandel auch für uns in Bremen bedeutet. Mit der Kunst verhält es sich ebenso wie mit der Demokratie: Sie braucht den dritten Raum, um Resonanz zu erzeugen, um damit Impulse zu setzen, welche die Menschen zum Weiterdenken auffordern.“
Der Kunsthalle und der Weserburg werden „erhöhte Zuwendungen“ gewährt, die Verträge für die Museen Böttcherstraße und Gerhard-Marcks-Haus werden „unter Berücksichtigung der Preissteigerungen der letzten Jahre“ verlängert. Das Überseemuseum bekommt zwar „zwingend notwendige Bedarfe“ finanziert, seine Provenienzforschung wird indes nur ganz allgemein „gefördert“. Immerhin in einen Prüfauftrag geschafft hat es die Idee eines regelmäßigen Tages mit freiem Museumseintritt. Nur ein „Ziel“ wiederum ist das Vorhaben, das öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen „klimaneutral und weitgehend plastikfrei“ sind.
„Vieles klingt doch nach der großen, alt bekannten Wundertüte, wo alles irgendwie Beachtung findet, aber nichts konkret wird. Immerhin ist diesmal ziemlich viel Ressortübergreifendes genannt und mehrfach von Schnittstellen die Rede – das macht aber nur Sinn, wenn das auch personell besetzt und durch Honorare, Ausschreibungen und Projektmittel aus den anderen Ressorts Realität wird. Wichtig wäre, dass jetzt konkrete Gelder, Stellen, Angebote, Projekte und Räume kommen, und echte Schnittstellen in diversen Ressorts.“
„Es freut uns, dass der zeitgenössischen Kunst im Koalitionsvertrag eine starke Rolle zukommt. Besonders schätzen wir, dass ein klares Bekenntnis zur Weserburg und zum Standort Teerhof formuliert wird. Wir gehen davon aus, dass sich die erhöhten Zuwendungen an den Standards vergleichbarer Häuser orientieren, damit wir die Weserburg gemeinsam zukunftsfähig aufstellen können.“
Dafür gibt es ein eigenes Kapitel für „Erinnerungskultur“. Darin haben gleich mehrere Denkmäler Platz: das von der taz initiierte „Arisierungs“-Mahnmal (für das nun zwei Orte zur Auswahl stehen), ein Gedenkort für die Novemberrevolution 1918, ein Dokumentationszentrum im Nelson-Mandela-Park für die Opfer des Kolonialismus sowie ein Mahnmal für die Opfer von Polizeigewalt. Es soll an Laye-Alama Condé erinnern, der 2005 an der zwangsweisen Vergabe von Brechmitteln gestorben war.
„Ein parteiübergreifendes Bekenntnis zur freien Szene ist das Beste, was Bremen passieren kann. Wenn sich diese positiven Entwicklungen auch in den Haushaltsverhandlungen belegen, kann Bremen seine Vorreiterrolle im Bereich der freien Kunst weiterhin behaupten. Die Zeit ist reif, dass sich eine neue Politik um die Versorgung der Menschen, die diese Arbeit seit langer Zeit machen, kümmert. Stichworte wie Honoraruntergrenze, Ausstellungsvergütungen, Verhinderung von Altersarmut, durchgängige Erwerbsbiografien müssen ins Zentrum des Dialogs. Die Förderstrukturen müssen sich verändern. Beratung sowie Fort- und Weiterbildungsangebote müssen erschaffen werden.“
Umgesetzt werden soll all das von Andreas Bovenschulte (SPD) – denn der Bürgermeister ist weiterhin auch Kultursenator.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen