piwik no script img

Nächster EU-KommissionspräsidentOstblock verhindert Timmermans

Fünf Wochen nach der Wahl steht die EU blank da: Beim Gipfel wurde 17 Stunden um die Spitzenposten gerangelt – bis es zum Abbruch kam.

Schon am Mittwoch könnte es zur nächsten Krise kommen Foto: dpa

BRÜSSEL taz | Die Hoffnung stirbt zuletzt, auch in der Europäischen Union. Sie rechne immer noch damit, dass sich die EU auf ein neues Führungsteam verständigen kann, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem überraschenden Abbruch des EU-Gipfels am Montag in Brüssel.

Nach mehr als 17-stündigen, mehrfach unterbrochenen Verhandlungen hatten sich die 28 Staats- und Regierungschefs vertagt. Sie wollen nun eine Denkpause einlegen und am Dienstag weiter nach Lösungen suchen. Fünf Wochen nach der Europawahl steht die EU blank da – und ziemlich blamiert.

Dieses „Versagen“ werfe ein schlechtes Licht auf Europa, schimpfte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Die Bürger müssten den Eindruck gewinnen, dass die EU nicht seriös an Lösungen arbeite. Wenn alles vorbei sei, müsse man über „tiefgreifende Veränderungen“ nachdenken.

Doch noch ist nicht alles vorbei. Zuletzt lag sogar ein respektables Personalpaket auf dem Tisch. Demnach sollte der sozialdemokratische Spitzenkandidat für die Europawahl, der Niederländer Frans Timmermans, zum neuen EU-Kommissionspräsidenten ernannt werden.

Merkels Favorit Manfred Weber, der Listenführer der konservativen Europäischen Volkspartei EVP, sollte künftig das Europaparlament führen. Auch der Belgier Charles Michel (Außenpolitik) und die Bulgarin Kristalina Georgiewa (Ratspräsidentin) standen auf der Shortlist.

Ein Job für alle

Für Margrethe Vestager, die Favoritin vieler Europafreunde, war nur der Posten einer Vizepräsidentin der EU-Kommission vorgesehen. Immerhin hätten alle Spitzenkandidaten einen Job in der Führungsetage gefunden – ein Entgegenkommen gegenüber dem Europaparlament.

Timmermans ist kein Kompromisskandidat. Er ist sehr spaltend, er verstehtMitteleuropa nicht

Mateusz Morawiecki, Polen

Doch das Paket, das EU-Ratspräsident Donald Tusk in enger Abstimmung mit Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ausgearbeitet hatte, stieß auf Widerstand. Vor allem die Visegrád-Staaten und Italien stemmten sich mit aller Macht gegen Timmermans.

Für die Osteuropäer ist der derzeitige Vizepräsident der EU-Kommission, der Polen und Ungarn mit Rechtsstaatsverfahren zur Räson bringen will, ein rotes Tuch. Timmermans sei „kein Kompromisskandidat“, sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Er sei „sehr spaltend, er versteht Mitteleuropa nicht“.

Für Italien, aber auch für Kroatien, ist Timmermans dagegen schlicht zu links. Sie würden ihn am liebsten komplett von der Liste streichen. „Es ist noch alles offen“, sagte Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenković, nachdem der Deal geplatzt war.

Abwehrfront

Schon am Sonntag, noch vor Beginn des Gipfels, hatte sich eine Abwehrfront gebildet. Das Treffen der konservativen EVP-Chefs endete mit einer lautstarken Rebellion gegen Merkel. Es sei ein „Skandal“, dass Weber „demontiert“ worden sei, obwohl er doch die Europawahl gewonnen habe, empörte sich Daniel Caspary, der Chef der deutschen CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament.

Im EU-Ratsgebäude bekamen die Konservativen dann auch noch Rückendeckung der rechtskonservativen Visegrád-Staaten und aus Italien, wo der rechtspopulistische Vizepremier Matteo Salvini den Ton angibt. Gemeinsam machten sie Front gegen Timmermans.

Gipfelchef Tusk versuchte zwar noch, den Widerstand in Vier-Augen-Gesprächen – dem so genannten Beichtstuhlverfahren – zu brechen. Doch für eine Mehrheit reichte es nicht, am Ende wurde nicht einmal abgestimmt.

Sie wolle nicht „mit 65,01 Prozent“ eine Entscheidung erzwingen, sagte Merkel nach dem Scheitern, das sei doch „etwas karg“. Für einen Beschluss braucht es 21 der 28 Länder mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung.

Klima vergiftet

Wie es nun weitergeht, ist unklar. Denn das Klima ist vergiftet. Die EVP hat Merkel die Gefolgschaft aufgekündigt, die Visegrád-Staaten drohen mit Blockade und fordern Kompensatio­nen. Dass die Bulgarin Georgiewa künftig die EU-Geschäfte im Rat führen soll, stellt sie nicht zufrieden.

Derweil wird das Image der anderen Top-Kandidaten durch das Gezerre immer mehr angekratzt. Von Merkels einstigem Favoriten Weber hört man schon seit Tagen nichts mehr. Timmermans leidet unter dem Sperrfeuer der autoritären Staatenlenker aus dem Osten.

Sogar Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hat sich auf ihn eingeschossen. In einem Brief an die EVP tat er so, als könne er noch für das konservative Lager sprechen. Dabei ist Orbáns Fidesz-Partei seit seinen Attacken auf Noch-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker offiziell von der EVP suspendiert.

Die Lage ist verfahrener als 2014, bei der letzten Europawahl. Auch damals hat der Personalpoker die EU monatelang gelähmt. Doch immerhin stand das Europaparlament einmütig hinter Juncker, der als erster Spitzenkandidat der EU-Geschichte die Wahl gewonnen hatte.

Heute hingegen sind die Europaabgeordneten selbst tief zerstritten. Die Große Koalition zwischen Konservativen und Sozialdemokraten ist zerbrochen, nun ringen sie zusammen mit den erstarkten Liberalen um die Macht.

Das könnte schon am Mittwoch zur nächsten Krise führen. Dann soll nämlich ein neuer Parlamentspräsident gewählt werden. Bisher zeichnet sich jedoch keine Mehrheit ab – für niemanden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • *Lach*

    Toll - Wieder was dazu gelernt :

    Rechtsnationalisten - wie insbes. Ital. , Regierungspartei usw. , die wie im Artikel genannt u.a. das EU-Parlament lahmlegen - sind neuerdings `der Ostblock` , obwohl diese entgegen der eigentlichen Bedeutung des Ausdruckes Ostblock Nicht- Sowjetisch oder Kommunistisch sind und sich Italien eigentlich im Süden befindet . Im Gegensatz zum Konservativen Timmermann der angeblich Kommunistisch und im Westen ist , weswegen ihn die Nationalisten u.a. des Ital. Ostblocks auch nicht leiden können .

    Aber Schuld an Allem sind wie immer die Russen weil die gerade wieder vor der Tür stehen und sie den expandierenden Nato-Basen mit ihren festgelegten Landesgrenzen so auf dem Leib rücken .

  • Niemand spricht mehr bei dem Schmierentheater von diesem Operettenparlament, das ohnehin nichts zu sagen hat.

  • Worüber regt sich Macron so auf, er selbst hat das Problem dich mit angerichtet. Er hat gepokert und verloren weil er die Oststaaten nicht auf seiner Rechnung hatte.

  • Timmermans traf sich mit Ludmila Kozlovska, die mit ihrer "Open Dialogue Foundation" (= Soros) die polnische Regierung "ausschalten" wollte.

    pbs.twimg.com/media/D7ZupE2XoAA0VU4.png

    Blöd nur, dass die britische "Times" die Frau als 5. Kolonne von Putin und Geldwäscherin demaskiert hat.

    www.thetimes.co.uk...to-putin-p9zsjghsn

  • Die EU braucht dringend strukturell mehr Demokratie und dann zudem (das dann auch mögliche) Mehrheitsprinzip.

    Mit der Methode vom Kompromiss-vom Kompromiss-vom Kompromiss-vom Kompromiss-vom Kompromiss-vom Kompromiss-vom Kompromiss-vom Kompromiss-vom Kompromiss-vom Kompromiss

    mag zwar am Ende ein Kompromiss rauskommen, mit dem alle leben können.



    Nur in der Sache selbst kommen wir damit häufig nicht wirklich weiter.

    Auch das hat seinerzeit Schröder verbockt, statt die EU-Osterweiterung damals verbindlich an die Bedingung der EU-Verfassungsannahme zu knüpfen, mit beinhaltendem Mehrheitsprinzip.

    G. Schröder, wir preisen Dich für diese stolze Leistung, und natürlich für die Agendapolitik!

  • "Ostblock verhindert Timmermans"

    Späte Rache der Sowjets?

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Genau. Entspricht einem epigenetischen Effekt in der Biologie

      • @61321 (Profil gelöscht):

        Oder Herr Bonse hat sich mit dem Bildus Virus infiziert. Ob Penizillin hilft?

        • 6G
          61321 (Profil gelöscht)
          @warum_denkt_keiner_nach?:

          wenn er nicht allergisch ist, wär's zumindest ne Option