: Kinder nicht im Blick
Auch Kinder werden Opfer häuslicher Gewalt – direkt und indirekt. Um sie zu schützen, müssen Einrichtungen deutlich besser zusammenarbeiten, sagen Bremer Expert*innen
Von Lotta Drügemöller
Bremen ist überproportional mit Einrichtungen ausgestattet, die Kinder vor häuslicher Gewalt schützen – das zeigt eine Studie, die das Bremer Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung (IPoS) im Rahmen eines bundesweiten Modellprojekts angefertigt hat. „Das hat uns überrascht“, so Forschungsleiter Trygve Ben Holland, „für jedes Problem gibt es eine spezialisierte Einrichtung.“ Es hake aber in der Zusammenarbeit, sagte Holland am Freitag bei einer Fachtagung zu Kindern als Opfer häuslicher Gewalt.
Das Hilfesystem in Bremen sei zweigeteilt: Frauenschutz und Kinderschutz würden von unterschiedlichen Einrichtungen betrieben. „Im Frauenhaus wurde lange vor allem auf die Frauen geschaut“, so Margaretha Kurmann von der Bremer Gleichstellungsbehörde ZGF. „Die Kinder waren nur dort, weil die Mütter da waren. Erst in den letzten Jahren nehmen wir sie als selbständig Betroffene in den Fokus.“
Der mangelnde systematische Blick auf Kinder als Opfer betrifft nicht nur Frauenhäuser, sondern auch Institutionen wie die Polizei. Das IPoS hat Akten der Staatsanwaltschaft ausgewertet. Das Ergebnis: Aus Polizeiakten zu Vorfällen häuslicher Gewalt wird oft nicht einmal klar, ob überhaupt Kinder in der Wohnung waren. Folgen der Gewalt werden nicht dokumentiert, wenn die Kinder nicht gerade selbst verletzt wurden. Dabei sind sich Experten mittlerweile einig: Auch indirekte Gewalterfahrung – etwa gegenüber der Mutter – bedeutet Gewalt gegenüber dem Kind.
Eine Folge der schlechten Aktenlage: Nicht immer wird das Amt für soziale Dienste zügig informiert. „Das muss man auch nicht immer sofort, wenn es bei häuslicher Gewalt andere Prioritäten gibt“, so Forschungsleiter Holland. „Doch, muss man“, widersprach Kurmann.
Der Dissens zeigt: Bis ein gemeinsames Vorgehen gefunden ist, kann es dauern. Dabei arbeiten in Bremen seit 2016 Vertreter verschiedener Ressorts und Hilfeeinrichtungen an einem Runden Tisch zu Häuslicher Gewalt und Kindern zusammen, um ein koordiniertes Vorgehen zu sichern. Auch deshalb ist der Stadtstaat 2017 Teil des bundesweiten Modellprojekts geworden, das untersucht, wie die Istanbul-Konvention zum Schutz vor häuslicher Gewalt umgesetzt werden kann. Die spezielle Aufgabe Bremens war dabei der Blick auf die Lage von Kindern und Jugendlichen.
Neben der Bedeutung, Kinder systematisch über Institutionen hinweg in den Blick zu nehmen, hat die Untersuchung weitere Handlungsbedarfe festgestellt. In Zukunft sollen Programme der Prävention gegenüber der Krisenintervention gestärkt werden. „Es gibt viele Projekte, aber damit werden bisher nicht systematisch alle Kinder erreicht.“ Kinder müssten lernen, welche Angebote es für sie gibt und dass nicht gleich ihre ganze Familie auseinanderfallen muss, wenn sie sich Hilfe holen.
Ein weiteres Problem: Wenn Hilfesuchende in einer Einrichtung nicht weiter betreut werden können, müssten sie schnell weitervermittelt werden. Doch laut Studie kommt es immer wieder zu Verzögerungen durch die langsame Weitergabe von Akten oder weil Informationen wegen Datenschutzbedenken gar nicht fließen. „Die Grundschullehrerin muss wissen, was sie weitergeben darf. Wir brauchen einen klaren Plan“, so Frauenbeauftragte Bettina Wilhelm. Eine unabhängige Koordinierungsstelle soll nun eine Strategie erstellen, die das Handeln aller Akteure abstimmt.
Den Forschungsergebnissen fehlt bisher der Blick von außen: Die 80 Experten des Fachtags kamen alle aus dem Land Bremen, auch die Forschung wurde aus bremischer Perspektive betrieben – nach der Projektvergabe durch den Bund gab es keine Zeit für eine externe Ausschreibung. „Wir unterliegen keiner politischen Einflussnahme und sind nicht weisungsgebunden“, verteidigt Holland vom Bremer IpoS das Konstrukt.
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