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Kommen und Bleiben

Vertriebene, Gastarbeiter, Vertrags-arbeiter: Der Historiker Jan Plamper erkundet in einer Tour d’Horizon die deutsche Migrationsgeschichte

Jan Plamper: „Das neue Wir“. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2019, 400 S., 20 Euro

Von Stefan Reinecke

Man greift etwas skeptisch zu „Das neue Wir“. Noch ein Buch über Migration? Gibt es etwas Neues? Jan Plamper, Historiker in London, derzeit in Berlin, hat indes eine doppelt originelle Perspektive. Er hat in Russland und den USA gelebt, schaut mit einem halb fremden Blick auf die Bundesrepublik und stellt verblüfft fest, das man Neuankömmlinge hierzulande mit einer Leitkultur-Debatte begrüßt. In den USA gab es eher Angebote an die Fremden, in Deutschland gibt es Anforderungen.

Zudem kombiniert er den Rückblick auf die Migration nach Deutschland, von Gastarbeitern bis zum Doppelpass, mit der Auswanderungsgeschichte der Deutschen – bis 1914 gen USA sieben Millionen. Die schotteten sich in den USA im 19. Jahrhundert in einer Parallelgesellschaft ab. „Sie geben sich nur wenig mit Amerikanern ab“, so der Landschaftsarchitekt Olmstedt 1857. Entsprechend argwöhnisch blickte die Mehrheit auf die Minderheit, die auch noch starrköpfig an rätselhaften Ritualen festhielt, wie Silvester Raketen abzufeuern. In Pennsylvania bildet sich eine hybride deutsch-englische Sprache mit pfälzischem Einschlag heraus, die an die türkisch-arabische Kanak Sprak in Neukölln erinnert.

Kurzum: Dass Mehrheitsgesellschaften panisch auf Migration reagieren, den Neuankömmlingen alle mögliche Gefahren andichten, ist nicht neu – ebenso wenig wie die Neigung der Minderheit, sich dem Anpassungsdruck zu entziehen und sich in einer Parallelgesellschaft häuslich einzurichten.

Plamper spannt einen historischen Prospekt auf. Er erzählt anschaulich Biografien von deutschen Migranten nach Russland und Südamerika, später von Arbeitsmigranten aus Portugal und Jugoslawien nach Westdeutschland. Seine Schlussfolgerung: Migrationsgesellschaften funktionieren besser, wenn die Mehrheit der Minderheit Angebote macht – und keine prompte Assimilation verlangt.

So galten die Vertriebenen aus dem Osten nach 1945 im Westen als „primitiv, schmutzig und faul“ (Rhein Neckar Zeitung 1949). Die Integration der 12 Millionen glückte wegen der boomenden Wirtschaft – und weil in den 1950ern die Mehrheit akzeptierte, dass die Flüchtlinge ihre heimische Kultur weiter pflegen konnten. Sie durften anders bleiben.

Weniger plausibel ist Plampers Versuch, die Formel „mit Migrationshintergrund“, die Neudeutschen semantisch den Weg in die 2. Klasse weist, durch „Plusdeutsche“ zu ersetzen. Zu Plus gibt es im assoziativen Echoraum stets ein Minus, womit hier die Alteingesessenen gemeint wären. Zu finden wären Worte, die weder Minderheit noch Mehrheit abwerten.

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