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Kommentar EU-Wahl in HannoverChance für eine Frau

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Die Grünen haben in Hannover phänomenal abgeschnitten, jetzt peilen sie das Amt des Oberbürgermeisters an. Im November wird gewählt.

Ein grüner Wahlsieg macht noch keinen Oberbürgermeister Foto: dpa

N och schwer im Restalkoholmodus. So in etwa könnte man die Stimmung der niedersächsischen Grünen angesichts der für sie sensationellen Ergebnisse bei der Europawahl bezeichnen. Sowohl bundesweit in großen Städten, darunter neben Berlin und München auch in der Landeshauptstadt Hannover, als auch in niedersächsischen Landkreisen konnte die bis dato häufig als ökodiktatorischer Haufen verunglimpfte Partei SPD und CDU hinter sich lassen.

Für Hannover, wo die Grünen mit über 31 Prozent die beiden „Volksparteien“ weit abhängte, ist das von besonderer Bedeutung. Die Stadt ist seit eineinhalb Jahren gebeutelt von der sogenannten Rathaus-Affäre um den früheren SPD-Oberbürgermeister Stefan Schostok. Der ist wegen dubioser Finanzverstrickungen vor einem Monat aus dem Amt ausgeschieden. Im November soll ein neuer Oberbürgermeister – oder eine Oberbürgermeisterin – gewählt werden. Und das könnte jetzt ja auch mal jemand von den Grünen sein. So jedenfalls stellt die Partei sich das vor.

Aber so einfach ist das nicht. Ein Top-Sieg auf EU-Ebene heißt nicht automatisch Durchmarsch auf kommunalem Terrain. Selbst wenn die SPD sich gerade selbst abschafft – im Bund durch Politik neben der Spur sowie innerparteiliche Grabenkämpfe und in Hannover mit einem selten dummen Skandal wie dem um unerlaubte Gehaltszuwendungen -, ist sie in der Landeshauptstadt trotzdem noch fest verankert. Natürlich hat sie kein Daueranrecht auf den Posten des Stadtoberhaupts, selbst wenn sie den seit 1946 ununterbrochen einnimmt.

Aber mit dem Stadtkämmerer Marc Hansmann hat die SPD einen OB-Kandidaten in den Ring geschoben, an dem die Grünen erst einmal vorbei müssen. Hansmann wird in der Stadt als kompetent und loyal geschätzt – auch von den Grünen. Und die politischen Machtverhältnisse in der Stadt ändern sich durch die EU-Wahl schließlich nicht. In den Ratsfraktionen bleibt alles so, wie es ist. Zumindest bis November, wenn die Oberbürgermeisterwahlen anstehen.

Bis dahin müssen die Grünen einen brillanten Wahlkampf hinlegen und die Hannoveraner*innen überzeugen. Es bleibt ihnen nichts anderes, als auf die Bürger*innen zu setzen, die den Oberbürgermeister – oder eben die Oberbürgermeisterin – direkt wählen. Vielleicht haben die Menschen in der Stadt mittlerweile selbst die Nase gestrichen voll von der seit 73 Jahre währenden Männerära – und eine grüne Kandidatin hätte schon deshalb eine Chance, weil sie eine Frau ist.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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2 Kommentare

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  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Ah - wieder ein kompetenter TAZ-Kommentar. Um was ging es gleich? Das Abschneiden der niedersächsischen Grünen bei der Europawahl. Ja - die neue Partei der Mitte kommt scheinbar gut an beim Volk. Was hat das mit der Neuwahl des Hannoveranischen Oberbürgermeisters und ggf. mit der Zusammensetzung des Stadtrates zu tun? Richtig - nichts! Und zur Richtigstellung: Herr Hansmann ist derzeit für den Wahlkampf beurlaubter Vorstand der enercity AG (vormals Stadtwerke Hannover AG) und NICHT Kämmerer der Landeshauptstadt Hannover. Kann man/frau/TAZ-AutorInnen nachlesen.

    • @97088 (Profil gelöscht):

      Ja, das ist richtig. 'Von 2007 an war Hansmann zehn Jahre lang Kämmerer. Seit April 2017 ist der Sozialdemokrat Vorstandsmitglied des kommunalen Energielieferanten enercity.'

      www.haz.de/Hannove...r-Kandidat-der-SPD