Franzobel über Ibizagate: „Der Österreicher neigt zur Niedertracht“
Autor Franzobel über seinen Roman „Rechtswalzer“, die fiktive und die faktische Lage nach dem Ibiza-Video und dem Austritt der FPÖ aus der Regierung.
taz am wochenende: Auf dem inzwischen berühmten Ibiza-Video ist der mittlerweile als FPÖ-Chef und österreichischer Vizekanzler zurückgetretene Heinz-Christian Strache bereit, den halben ORF, die Kronen Zeitung und Österreichs Wasserreserven gegen illegale Parteispenden an eine vermeintliche russische Oligarchin zu verkaufen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat dann gesagt: „Wir Österreicher sind nicht so.“ Armin Thurnher von der Wochenzeitung Falter widerspricht ihm. Viele seien tatsächlich so. Wer hat recht?
Franzobel: Mein Roman „Rechtswalzer“ nimmt da doch einiges vielleicht vorweg: die Korruption, den Nepotismus, den Ausverkauf des Landes, auch wenn bei mir das Wasser an Saudi-Arabien verscherbelt wird. Die im Buch geschilderte Korruption in einer fiktiven Gemeinde, Untergrutzenbach, hat mir ein geschasster Gemeindesekretär geschildert. Und ich habe natürlich schon viele Politiker privat erlebt, deswegen hat mich das Ibizagate nicht wirklich überrascht. Die Verkommenheit mancher Volksvertreter in Österreich ist nicht neu. Es gibt hier nur wenige Politiker, denen man keine Falle stellen könnte. Ich denke etwa an Ernst Strasser, der als ÖVP-EU-Abgeordneter einem vermeintlichen Lobbyisten für 50.000 Euro versprochen hat, Gesetze durchzuboxen. Auch wenn man schaut, was Ex-Politiker machen, von welchen Konzernen sie sich als Lobbyisten bezahlen lassen, da zeigt sich eine haltungslose Unmoral, ein Verrat an den eigenen Werten.
Also alle gleich und niederträchtig?
Der Österreicher neigt zur selbstgerechten Niedertracht. Es gibt integre Personen wie Van der Bellen, dem man schwer eine Falle stellen könnte, außer man entzieht ihm das Nikotin. Hier herrscht eine moralische Verkommenheit, die man in Deutschland so nicht kennt. Ich glaube, die Deutschen sind aufgrund ihrer Mentalität, ihres Protestantismus und ihres Umgangs mit der Geschichte integrer als wir. Österreich ist da näher am Balkan und an Südamerika. Bestechlichkeit ist eine menschliche Schwäche, die nur in wenigen Ländern eingedämmt werden konnte, Österreich zählt da nicht dazu.
Wenn man etwas Fantasie entwickelt: Was würde ÖVP-Chef und Kanzler Sebastian Kurz in einer solchen Falle erzählen?
Sie wäre eine Bloßstellung seiner inhaltslosen Machtversessenheit, der Ähnlichkeit seiner Kamarilla mit Haiders Buberl-Partie. Ich hätte mir jedenfalls nicht gedacht, dass die Kurz-Regierung so schnell ins Schleudern kommt. Bei aller inhaltlichen Fragwürdigkeit hatte sie eine höchst wirkungsvolle Performance. Die Medien waren zur Hofberichterstattung degradiert und haben brav mitgespielt.
Viele Leser*innen in Österreich haben den Roman „Rechtswalzer“ als prophetisches Werk gesehen. Ist es Ihnen auch so gegangen, dass Sie plötzlich Dinge sehen, die Sie vorher als Dystopie geschrieben haben?
Ja, schon durch die Äußerungen des – Gottlob ehemaligen – Innenministers, der die Orbanisierung auf die Spitze getrieben hat. Dem ging es um die Aufhebung des Rechtsstaats, wenn er die seit Montesquieu bestehende Gewaltenteilung aushebeln wollte und sagte: „Das Recht hat der Politik zu folgen, nicht umgekehrt.“ Sein Umgang mit Asylbewerbern und der Plan, Flüchtlinge vorbeugend in Haft zu nehmen, da sind permanent provokant Bezüge zur Terminologie des „Dritten Reiches“ hergestellt worden. Unmittelbar vor seiner Abberufung hat er noch eine Verordnung erlassen, die den Stundenlohn von Asylbewerbern auf 1,50 Euro begrenzt.
geboren 1967 als Franz Stefan Griebl in Vöcklabruck, Oberösterreich, wurde als Schriftsteller bekannt, als er 1995 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann. Er hat zahlreiche Bücher und Theaterstücke geschrieben. Zuletzt „Das Floss der Medusa“ (2017) und den Kriminalroman „Rechtswalzer“ (2019).
Kommt durch den schnellen Abgang der FPÖ-Minister die Diskussion über die moralische Verkommenheit, die im Ibiza-Video zum Ausdruck kommt, zu kurz?
Die Österreicher sind vergessliche Menschen. Es kann sein, dass die momentane Stimmung bei FPÖ-Wählern in ein „Jetzt erst recht“ umschlägt. Dass man sich sagt: „Die haben uns eine Falle gestellt und vom Ausland lassen wir uns nicht dreinreden.“ Die Leute, die nun in der FPÖ ans Ruder kommen, werden sich distanzieren und mit den Verfehlungen ihrer Vorgänger nichts zu tun haben wollen. Österreich ist verstaatlichte Unschuld voll charmanter Niedertracht. Leute, die auf die moralische Verkommenheit hinweisen, werden eher als Nestbeschmutzer verunglimpft.
Wir haben eine seltsame Zwei-Mann-Show der designierten neuen Parteichefs und Ex-Minister Norbert Hofer und Herbert Kickl erlebt. doch wer repräsentiert denn die FPÖ wirklich: der sanft auftretende, verbindliche Norbert Hofer oder der rachsüchtige Herbert Kickl?
Hofer ist der Massentauglichere. Im österreichischen Bundespräsidentschaftswahlkampf hat er mit seiner Peter-Alexander-Ausstrahlung eine breite Wählerschicht angesprochen. Er mimt den braven Schwiegersohn mit dem ideologischen Angebot eines Billig-Supermarktes. Kickl ist gewiefter, strategischer, auch literarisch interessanter: ein Rumpelstilzchen-Goebbels. Ich glaube aber nicht, dass der eine breite Masse anspricht. Die will keine zu gescheiten Menschen. Er ist eher das bösartige Mastermind im Hintergrund, ein Intrigant, der sich geschmacklose, aber eingängige nationalistische Slogans ausdenkt.
Ist es noch denkbar, dass irgendeine Partei mit einer FPÖ, in der Kickl was zu sagen hat, in die Koalition geht?
Der Drang zu den Futtertrögen macht in allen Parteien blind. Aber für mich ist das momentan unvorstellbar.
Kurz gilt ja als strategischer Denker, der dieses Szenario sicher vorausgeplant hat. Die Gesprächsbasis mit der SPÖ hat er aber in der Vergangenheit mutwillig zerstört. Nun wird er sie ja vielleicht bald brauchen?
In Kurzens absolutistischer Weltvorstellung braucht er keinen Partner. Da ist er Alleinherrscher, Sonnenkönig und Heilsbringer. Das ist sein Mantra: dass Österreich ohne ihn stillsteht und zerbricht.
Die Kulturszene in Österreich ist ja linksgrün geprägt. Was ist so schlimm daran, wenn man, wie es die FPÖ getan hat, einen völkischen Maler wie Odin Wiesinger in einen Kulturbeirat setzt, der ohnehin wenig zu reden hat?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Eine Demokratie muss vieles aushalten. Jede Partei darf entsenden, wen sie will. Es ist nur ein äußerst bedenkliches Zeichen, wenn man einen offensichtlichen Verehrer des Dritten Reiches, der Wehrmacht, der Burschenschaften, einen nur mäßig talentierten Maler, der beinahe pathologisch an allen Wiederbetätigungsparagrafen kratzt und das Kunstverständnis eines hinterwäldlerischen Banausen hat, in eine öffentliche Position setzt. Das ist eine bewusste Provokation der FPÖ zur Ausweitung der eigenen Geschmacksverwirrung und zum Künstler-Bashing.
Straches größter Fehler, war es vielleicht, sich die Kronen Zeitung zum Feind zu gemacht zu haben.
Die Krone ist ein Archipel der Stammtischmeinung und zugleich der wahre Regent. Als Politiker hat man in Österreich keine Überlebenschance, wenn man die Krone zum Feind hat. Das haben seinerzeit die Sozialdemokraten Caspar Einem als Innenminister und Rudolf Scholten als Kulturminister zu spüren bekommen. Sie wurden beide von der Krone abgeschossen. Eine Mischung aus Prawda und Internetforum, in der die Welt so beschrieben wird, wie der Krone-Leser glaubt, dass sie ist. Die Krone ist staatstragend subversiv, dumpf progressiv, rassistisch, wehleidig, wütend – und vor allem unberechenbar. Aber vielleicht hat sie nun mit den Machern des Ibiza-Videos, denen ich einen Oscar gönne, ungeahnte Konkurrenz bekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Demokratie unter Beschuss
Dialektik des Widerstandes