Mehr Lohn für Paketboten: Ausgebeutet, im Auftrag von…
Im Bund hat sich die große Koalition auf ein Gesetz geeinigt, das die Situation für Paketboten verbessern soll. Doch kann das funktionieren?
Ähnliche Schilder, die erklären, dass FahrerInnen „im Auftrag“ unterwegs sind, lassen sich vielerorts finden, mit den Namen fast aller Unternehmen, die mit Pakettransporten zu tun haben. Dahinter verbirgt sich ein Geschäftsmodell, das als Outsourcing bezeichnet wird. Die Subunternehmen bringen etwa für große Paketdienstleister Sendungen zum Paketzentrum und von dort weiter zum Verbraucher. Rund die Hälfte der Unternehmen in der Branche ist an solchen Nachunternehmerketten beteiligt.
Am Dienstag nun hat sich die große Koalition in Berlin darauf geeinigt, eine gesetzliche Lösung in Form einer Nachunternehmerhaftung umzusetzen. Das soll Sozialabgaben und faire Löhne garantieren. Der Grund sind die wiederholten Vorwürfe, das Beschäftigungsmodell der Branche würde ausbeuterische Arbeitsverhältnisse begünstigen.
Für das Prinzip der Nachunternehmerhaftung hatte sich neben Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auch die Landesregierung Niedersachsens im Bundesrat eingesetzt. „Wir müssen auf die schwarzen Schafe Druck ausüben, und den Druck können wir mit der Nachunternehmerhaftung erhöhen“, sagte Birgit Honé (SPD) der taz, die als niedersächsische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten die Initiative in den Bundesrat eingebracht hatte.
Schon lange in der Kritik
Auch die schleswig-holsteinische SPD-Fraktion hat das Thema für die heutige Landtagssitzung auf die Tagesordnung gesetzt und fordert die Landesregierung dazu auf, gegen „Missstände in der Paketbranche“ vorzugehen. „Wir begrüßen die Einigung für die Paketboten im Bund“, sagte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Wolfgang Baasch.
Seit Langem kritisieren Gewerkschaften die Missstände in der Paketbranche. Die Konkurrenz um die Aufträge der Generalunternehmer führt unter den Subunternehmern zu einem harten Preiskampf. Susanne Labusch, Betriebsrätin und seit acht Jahren für den Paketdienstleister DPD in Hamburg tätig, erklärt: „Fast alle alteingesessenen Subunternehmer sind weg. Die haben entweder aufgegeben oder sind insolvent gegangen.“
Matthias Haack, Finanzkontrolle Schwarzarbeit
Der Pressesprecher der DPD, Peter Rey, kann diese Tendenz zumindest bundesweit nicht bestätigen. Angesicht des Mangels an Arbeitskräften und Unternehmern in der Branche könne man sich kaum leisten, auf gute Unternehmer zu verzichten.
Klar ist: Die Schwächsten in der Kette sind am Ende die Botinnen und Boten. Bei Kontrollen stößt der Zoll regelmäßig auf Unterschreitungen des Mindestlohns oder nicht abgeführte Sozialabgaben. Beides könne ineinander übergehen, sagt Matthias Haack, der beim Hamburger Zoll für die Kurier-, Express und Paketbranche zuständig ist und unter anderem Schwarzarbeit kontrolliert. „Zum Beispiel wenn der Mindestlohn auf dem Papier eingehalten wird, die reellen Arbeitsstunden aber viel höher als angegeben sind.“
Ein früherer Mitarbeiter eines Subunternehmens bei Amazon, der nicht namentlich genannt werden möchte, bestätigte das gegenüber der taz. Er habe das Lieferauto vor jedem Schichtanfang von einem Schotterparkplatz im entfernten Gewerbegebiet in Hamburg-Billbrook abholen und später zurückbringen müssem. „Das waren gut eineinhalb Stunden unbezahlter Arbeit“, sagt er.
Flächendeckende Kontrolle unmöglich
Aber ist die angestrebte Nachunternehmerhaftung wirklich so vielversprechend? Zuständig für die Kontrolle des Gesetzes in Hamburg wären Haack und seine KollegInnen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Deren Sachbereichsleiterin Astrid Fiebelkorn erklärte, von ihrer Überprüfung würden Arbeitnehmer nur indirekt profitieren. „Wenn es optimal läuft, wären wir dazu in der Lage, die Arbeitgeber zur Auszahlung ordentlicher Löhne zu zwingen“, sagt Fiebelkorns Kollege Matthias Haack.
Auch ist ihre Abteilung des Zolls zwar dafür zuständig zu prüfen, ob die Unternehmen gesetzliche Bestimmungen einhalten, allerdings würden diese Kontrollen nicht flächendeckend durchgeführt, das sei personell nicht möglich. Man arbeite „risikoorientiert“, das heißt: Es werde dort geprüft, wo bereits ein Verdachtsmoment besteht.
Aber Fiebelkorn berichtet auch von weiteren Problemen. Aus verschiedenen Branchen erhalte der Zoll jährlich Tausende anonyme Hinweise. Diese seien aber selten belastbar, denn für eine Zeugenvorladungen meldeten sich die Hinweisgeber oft nicht mehr.
Die Post- und Paketbranche in Deutschland boomt, die Prognosen sind positiv.
Postdienstleister beschäftigten 2017 laut Bundesnetzagentur 482.464 Menschen – rund 2,9 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Für 2018 liegen noch keine Zahlen vor, man erwartet einen Zuwachs.
Die Postmärkte erzielten 2017 einen Umsatz von 26,3 Milliarden Euro, ein Zuwachs von 4,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Allein 16,6 Milliarden entfielen auf Kurier-, Express- und Paketdienste.
Knapp 2,8 Milliarden Pakete wurden im Jahr 2017 verschickt – Tendenz steigend.
Erfahrungen mit der Nachunternehmerhaftung gibt es in Niedersachsen. 2017 hatte eine Initiative des Bundeslandes zu einer ähnlichen Regelung für die Fleischindustrie geführt, auf die sich nun immer wieder berufen wird. „An dem Vorbild in der Fleischwirtschaft haben wir gesehen, dass es sich bewährt hat“, sagte zumindest Ministerin Honé.
Matthias Brümmer ist da skeptischer. Der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrungsmittel-Genuss-Gaststätten (NGG) in Oldenburg beschäftigt sich seit Langem mit der Fleischindustrie. „Auf dem Papier hört die sich gut an, in der Praxis kenne ich aber nicht einen einzelnen Fall, in dem ein Generalunternehmer haftbar gemacht wurde.“ Das liege auch daran, dass die Überprüfungen Jahre dauern könnten.
Hauptsache vom Tisch
Soweit komme es aber gar nicht erst, erzählt er: „Die Betriebe legen vorher Geld auf den Tisch, einigen sich gütlich und der Richter ist froh, dass er ein Verfahren vom Tisch hat. Dann wird ein Vergleich geschlossen und das war es: Es gibt kein Urteil.“ Ein Grund dafür sei die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer, die oft nur wenig Deutsch sprächen, das Rechtssystem nicht verstünden und von ihrer Arbeit finanziell abhängig seien.
Auch DPD-Betriebsrätin Labusch ist skeptisch, dass die Kontrollen ausreichen, um die Probleme im Betrieb zu lösen. „Ich würde es als sinnvoll erachten, wenn die Betriebsräte auch diesen Bereich mit abdecken können.“ Denn die Beschäftigten von Subunternehmen sind nicht Teil des Betriebes, der Betriebsrat des Hauptunternehmens ist somit nicht zuständig. „Es darf diese Abgrenzung nicht geben“, sagt Labusch. Noch einfacher ist es für Ministerin Honé: „Besser wäre es noch, wenn die Unternehmen direkt anstellen würden.“
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