piwik no script img

„Coral World“ soll nach RummelsburgEin „fatales“ Signal

Trotzt Kritik und Hunderter Demonstranten beschließt die BVV Lichtenberg einen umstrittenen Bebauungsplan für eine Brache an der Rummelsburger Bucht.

Bald vorbei mit Idylle: In der Rummelsburger Bucht haben Investoren große Pläne Foto: dpa

Berlin taz | „Wofür steht ihr? Für diesen lächerlichen Aquapark?“, fragt eine Aktivistin die Bezirksverordneten Lichtenbergs am Montagabend im Audimax der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Trotz hoch emotionaler Debatte, mehreren hundert Demonstranten vor dem Gebäude und weiterer 20.000 überreichter Unterschriften stimmte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des Bezirks Lichtenberg für den umstrittenen Bebauungsplan Ostkreuz. Damit ist nun endgültig der Weg frei für die Bebauung der Freifläche an der Rummelsburger Bucht, auf der unter anderem das umstrittene Aquarium „Coral World“ entstehen soll.

Gegner*innen des Bebauungsplans hatten zuvor zu Protesten mobilisiert, in der Hoffnung, die Bezirksverordneten doch noch umzustimmen – oder zumindest die Abstimmung zu vertagen. Bereits gegen 18 Uhr, zwei Stunden vor Beginn der Sitzung, versammeln sich rund 500 Menschen unter dem Motto „Rettet die Bucht!“ vor dem Campus der HTW, um gegen den umstrittenen Bebauungsplan zu demonstrieren.

Aus einem Lautsprecherwagen wummern Technobässe, auf Schildern ist zu lesen „Natur am Wasser statt Fische im Glas“ oder „Mit dem Deal verkauft ihr unseren Kiez, unser Vertrauen und eure Seelen“. Einige Demonstrant*innen tanzen, trinken Bier, dennoch sind die Wut und Unverständnis gegenüber der geplanten Bebauung groß. „Das, was jetzt gebaut werden soll, ist völliger Schwachsinn“, sagt Anwohner und Demoteilnehmer Michael Schönstedt, „wahrscheinlich werden wir es uns hier in ein bis zwei Jahren nicht mehr leisten können.“

Die Polizei ist schon frühzeitig mit mehreren Einsatzhundertschaften vor Ort und sperrt den Campus großräumig ab. Die Hochschule sagt alle Lehrveranstaltung nach 16 Uhr ab, die Sitzung wird aus Sicherheitsbedenken von der Aula ins Audimax verlegt. Obwohl die Sitzung öffentlich ist, werden nach kurzer Zeit nur noch Pressevertreter und Bezirksverordnete durchgelassen, nur ein kleiner Teil der Aktivist*innen kommt in den Saal. Die, die es nicht schaffen, stehen vor dem Eingang und skandieren: „Kein Gott, kein Staat, kein Aquapark!“

Eine junge Frau wird von der Polizei aus dem Saal getragen

Drinnen im Sitzungssaal ist die Stimmung aufgeheizt. Der Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses, Jürgen Hofmann (Linke), verteidigt die Empfehlung, dem B-Plan zuzustimmen. Sonst würde ein „stadtplanerischer Missstand an exponierter Stelle über Jahre verfestigt“. Eine Ablehnung des B-Plans hätte mehrere Jahre Stillstand zur Folge, an den Eigentumsverhältnissen würde sich nichts ändern. Die nötigen Schul- und Kitaplätze seien bereits an anderer Stelle geplant.

Den Kaufvertrag rückgängig machen können sowieso nur die Investoren, so Hofmann. Seine Rede wird von Protestrufen unterbrochen: „Verräter!“ oder „Korruption!“ sind immer wieder zu hören. Eine junge Frau wird nach mehrmaliger Ermahnung unter Polizeieinsatz aus dem Saal getragen.

Diskussionen ums Gebiet schon seit 1992

B-Plan XVII-4 „Ostkreuz“: Um die Zukunft der rund 30.000 Hektar großen Brache in der Nähe des Ostkreuzes wird schon seit 1992 diskutiert. Der am Montag beschlossene Bebauungsplan stammte in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahre 2003. Der damals noch rot-schwarze Senat verkaufte 2016 die Fläche für insgesamt 20 Millionen Euro deutlich unter Marktwert an verschiedene Investoren, darunter „Coral World“-Investor Benjamin Kahn und Immobiliengrößen wie Padovicz oder die Streletzki Gruppe.

Aquarium und Wohnraum: Das Aquarium „Coral World“ soll bis zu 500.000 Besucher*innen pro Jahr anziehen. Darüber hinaus, befürchten die Kritiker*innen, wird vor allem hochpreisiger Wohnraum durch private Investoren entstehen. Lediglich 80 preisgebundene Wohneinheiten werden sicher durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge entstehen. (jw)

Vielen Linken ist die Situation sichtlich unangenehm. „Dieser Bebauungsplan ist nicht das perfekte Produkt“, so Fraktionsvorsitzender Norman Wolf, „aber das Beste, was wir unter gegebenen Umständen erreichen konnten.“ Mehrere ­Mitglieder der Linksfraktion betonten während der Sitzung, vom Senat vor vollendete Tatsachen gestellt worden zu sein, da dieser mit dem Verkauf der Grundstücke an die Investoren bereits 2016 Fakten geschaffen habe.

Der Antrag der Bezirksverordneten Daniela Ehlers (Grüne), die Sitzung zu vertagen, wird mit tobendem Applaus begrüßt. So könnten auf Landesebene die Entwicklungsziele für das Gebiet noch mal überprüft werden. Und es bestünde keinerlei Dringlichkeit, den ­B-Plan jetzt zu beschließen. Ehlers kritisiert die CDU-Fraktion, die die Sondersitzung einberufen hat, vorschnell Fakten schaffen zu wollen. Doch Ehlers’ Antrag wird abgelehnt, kurz nach 23 Uhr stimmt die BVV-Lichtenberg mit nur fünf Gegenstimmen für den Bebauungsplan Ostkreuz.

Aktivist*innen wollen lieber bezahlbaren Wohnraum

Obwohl die Aktivist*innen mit diesem Ergebnis gerechnet hatten, sind sie sichtlich enttäuscht. „Es ist politisch ein fatales Signal, was gesendet worden ist“, sagt Florian Hackenberger, Mitinitiator der Initiative „Rummelburger Bucht retten!“ Er kritisiert vor allem, dass die Stimmen der Kritiker*innen auf Bezirksebene ignoriert worden sind: „Es ist faktisch nie passiert, dass mit uns gesprochen worden ist. Es gab nie eine sachliche Auseinandersetzung.“ Eine Infoveranstaltung, die zuletzt im März im Cinestar in Treptow stattfinden sollte, wurde abgesagt, weil die Kinomitarbeiter streikten.

Seit Monaten schon gibt es massive Proteste, den Bebauungsplan zu verhindern. Aktivist*innen der Initiative „Rummelsburger Bucht für alle“ sammelten über 40.000 Unterschriften in einer Online-Kampagne und 20.000 weitere in den letzten drei Wochen für eine Volksinitiative, organisierten zwei Großdemos mit über tausend Teilnehmern und arbeiteten mithilfe von Expert*innen einen alternativen Bebauungsplan aus.

Völliger Schwachsinn

Michael Schönstedt, Anwohner und Demoteilnehmer

Ginge es nach den Ak­ti­vist*innen, würden an der Rummelsburger Bucht statt eines Aquariums viel bezahlbarer Wohnraum, mehr Schul- und Kitaplätze sowie Natur- und Kulturräume entstehen. Derzeit wird die Brache von einem ­Obdachlosencamp genutzt, ebenso befinden sich auf der Fläche eine Kulturstätte, ein Boots­verleih sowie drei Wohnhäuser, die dem B-Plan weichen müssten.

Unterdessen wuchs auch der Widerstand auf Landesebene. Grüne- und Linksfraktion beschlossen Anfang März einen Antrag mit dem Ziel, die Entwicklungsziele des Gebiets noch einmal zu überprüfen. Denn nur so könnten die Investoren zu einem Rücktritt vom Kaufvertrag bewegt werden. Dieser scheiterte jedoch an mangelnder Unterstützung der SPD.

Nicht zuletzt sorgte die Kontroverse um den B-Plan auch innerhalb der Linken für Streit – denn Lichtenberg wird von der Linken regiert. Über 50 Mitglieder der Linkspartei wandten sich in einem offenen Brief mit deutlichen Worten an Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke): „Die geplante Beschlussfassung […] ist jedoch eine Ohrfeige für alle, die sich tagtäglich für ein anderes, demokratisches, alternatives, buntes und soziales Berlin einsetzen“, heißt es in dem Schreiben.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Soso, demokratische gewählte Abgeordnete entscheiden in einer Angelegenheit halt mal gegen die lauthals krakeelenden Aktivisten und die taz sieht darin bereits ein "fatales" Signal.

    Ich sehe darin eher ein Zeichen, dass die Demokratie noch funktioniert. In dieser Stadt hgeinnt man allzuoft den Eindruck, dass nur noch der zählt, der am lautesten aufschreit und diese Entwicklung irgendwann in einer Aktivistenkratie mündet.

  • Fasse zusammen | Gruen ueberprueft, SPD nickt ab, Links macht einfach mit. Kann bitte jemand eine aufrecht linke Partei gruenden, wuerde ja reichen erstmal in Berlin bei der naechsten Wahl anzutreten.