Debatte Hohe Mieten: Bauen, kaufen, deckeln
Die Enteignung von Immobilienkonzernen ist keine Akutmaßnahme gegen den Mietenwahnsinn. Es braucht anderes. Immerhin: Der Druck wächst.
M an reibt sich verwundert die Augen. 70 Jahre nach der Gründung der marktwirtschaftlich verfassten Bundesrepublik und 30 Jahre nach dem Ende der sozialistischen DDR wird in Deutschland erbittert über die Enteignung von Konzernen gestritten.
Die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat Wirtschaftsverbände sowie konservative und wirtschaftsliberale Politiker in Schnappatmung versetzt. Sie wähnen einen Angriff auf die Grundfesten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung – und müssen dabei erstaunt bis entsetzt feststellen, dass das Grundgesetz im bislang kaum beachteten Artikel 15 diese Möglichkeit ausdrücklich vorsieht.
Wenn es das Ziel der Initiative war, eine große gesellschaftliche Debatte über die sozial verträglichen Grenzen der Eigentumsfreiheit zu entfachen und drastische Maßnahmen gegen die für viele Menschen existenzbedrohende Mietenexplosion einzufordern, dann hat sie das bereits jetzt vollumfänglich erreicht. Das ist ein großer Erfolg für eine im besten Sinne linkspopulistische Kampagne, die an die Ängste und Nöte von Millionen Menschen unmittelbar anknüpft.
Doch was den konkreten Inhalt betrifft, lohnt es sich, ein bisschen genauer hinzuschauen. Ziel des Volksbegehrens ist keine Enteignung im Sinne von Vermögensentzug, sondern ein gesetzlich angeordneter Verkauf. Der Kaufpreis, der in diesem Kontext meistens als „Entschädigung“ bezeichnet wird, würde sich entweder am Ertragswert, am Verkehrswert oder am bilanziellen Marktwert orientieren und nach bisherigen Kostenschätzungen zwischen 9 und 35 Milliarden Euro betragen.
Es ist leicht auszurechnen, dass für diese Summen nicht nur temporär geförderter sozialer Wohnungsbau, sondern unmittelbarer kommunaler Wohnungsbau in erheblicher Größenordnung finanziert werden könnten. Ohne Rekommunalisierungen durch Ankäufe bagatellisieren zu wollen: Strukturell und nachhaltig kann die Wohnkrise in Berlin und anderen wachsenden Zentren nur durch forcierten Neubau überwunden werden.
„Die Linke“ bremst
Und da bekommt die Sache ein politisches Geschmäckle. Denn Die Linke, die die Enteignungskampagne als einzige Partei geschlossen und offensiv unterstützt, steht beim Neubau permanent auf der Bremse. Sie hat in den Koalitionsverhandlungen vor der Bildung des „rot-rot-grünen“ Senats Ende 2016 maßgeblich dafür gesorgt, dass das größte bereits geplante Stadtentwicklungsgebiet komplett gestrichen und eine Randbebauung des riesigen Areals am ehemaligen Flughafen Tempelhof quasi tabuisiert wird.
lebt als freier Journalist, Blogger und Buchautor in Berlin. Zuletzt erschien von ihm „Aufstehen – und wohin geht’s?“ (Das Neue Berlin, 2018).
Sie hat immer neue „Partizipationsschleifen“ in das Planungsgeschehen implementiert, was zu erheblichen Reduzierungen und Verzögerungen oder gar der Verhinderung von Neubauprojekten führt. Schon jetzt steht fest, dass die ohnehin wenig ambitionierten Neubauziele dieser Koalition verfehlt werden, vor allem im Segment des geförderten sozialen Wohnungsbaus.
Und statt alle vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um die Eigentümer baureifer Grundstücke zu zwingen, dort tatsächlich zu bauen, beziehungsweise begonnene Planungsverfahren zu beschleunigen, hat die von einer linken Senatorin geführte Stadtentwicklungsverwaltung bislang hilf- und tatenlos zugeschaut, wie sich dieses „Bauüberhang“ genannte Brachliegen von Bauland in Berlin mittlerweile auf 60.000 potenzielle Wohnungen ausgeweitet hat. Da kommt eine populäre Kampagne, die sich ausschließlich auf einen Teil der Bestandswohnungen bezieht, natürlich wie gerufen, um vom eigenen Versagen abzulenken.
Grobe handwerkliche Fehler
Als „Akutmaßnahme“ gegen den Mietenwahnsinn taugt das Volksbegehren eh nicht. Selbst bei erfolgreichem Verlauf wären juristische Auseinandersetzungen bis hin zum Bundesverfassungsgericht oder gar zum Europäischen Gerichtshof zu erwarten, die viele Jahre in Anspruch nehmen würden. Nach der ersten Stufe, der Unterschriftensammlung, wird sich das Landesverfassungsgericht in Berlin mit der Zulässigkeit der Initiative befassen, mit ungewissem Ausgang.
Das Volksbegehren weist zudem grobe handwerkliche Fehler auf. Die Grenze von 3.000 Wohnungen, von der an ein Unternehmen enteignet werden soll, ist relativ willkürlich und nicht genauer begründet. Auch die Herausnahme der sechs großen städtischen Wohnungsbaugesellschaften aus der Liste ist nicht stichhaltig, da es sich um Aktiengesellschaften und GmbHs handelt, die sich zwar im Landesbesitz befinden, aber dem Wirtschaftsrecht unterliegen. Diese Gesellschaften sind weder gemeinnützig noch unmittelbar weisungsgebunden. Warum wird nicht die Überführung auch dieser Gesellschaften in öffentliche Trägerschaft, also eine Anstalt öffentlichen Rechts, gefordert?
Immerhin: Das Volksbegehren setzt weit über Berlin hinaus die Frage der Sozialbindung des Eigentums auf die politische Tagesordnung und erhöht allgemein den Druck auf die Politik, konkrete Schritte gegen Wohnungsnot und Mietenwahnsinn zu unternehmen – und sei es auch nur, um der unerwünschten Debatte über „Enteignungen“ den Wind aus den Segeln zu nehmen und den sozialen Sprengstoff der Wohnungsfrage ein wenig zu entschärfen. Es wird wohl auf eine Art „Mietendeckel“ hinauslaufen, der befristet den Anstieg der Bestands- und Neuvertragsmieten dämpfen könnte. Um die Ausgestaltung dieses Deckels lohnt es sich erbittert zu streiten, zumal erste Vorschläge in Richtung „Weiße Salbe“ gehen.
Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat jedenfalls eine große gesellschaftliche Verantwortung übernommen. Ihr Erfolg wird letztendlich nicht an der temporären Mobilisierungsfähigkeit für eine linkspopulistische Forderung zu messen sein. Sondern daran, ob für Wohnungsuchende und Mieter nicht nur bei besonders dreist auftretenden Immobilienkonzernen etwas Greifbares herauskommt – und zwar ein Dreiklang aus öffentlichem Neubau, Rekommunalisierung und Mietenbegrenzung.
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